Multilateralisme et Defis Geopolitiques (Jean Zwahlen)

Alors que la guerre sévissait encore, les puissances alliées réfléchirent à ce que devrait être idéalement un ordre multilatéral adapté aux besoins de la nouvelle constellation mondiale. Comme leur entente était alors cordiale, elles envisagèrent de créer un « Ordre Européen-Mondial Démocratique» – comprenant les Etats-Unis et le Canada – et de le faire gérer conjointement par les Etats-Unis et l’URSS, devenus les deux nouvelles grandes puissances mondiales.

Einladung zur Ringvorlesung „1848 – die Schweiz“

Eine Ringvorlesung des Historischen Instituts der Universität Bern (Abteilung Schweizer Geschichte) und des Historischen Vereins des Kantons Bern aus Anlass des Jubiläums «175 Jahre schweizerischer Bundesstaat»

Frühlingssemester 2023, Donnerstag, 18.15–20 Uhr, Hauptgebäude der Universität Bern, HS110 bzw. HS210

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Suisse-Union Européenne: Conséquences pour la Suisse de la stratégie numérique de l’Union Européenne (Philippe Nell)

L’objectif de ce document est de synthétiser la position de la Suisse face à celle de l’UE en matière de numérisation afin de voir dans quelle mesure un écart péjorant les personnes vivant en Suisse et les firmes suisses existerait déjà ou pourrait se créer.
Afin d’éliminer les obstacles qui entravent l’accès aux biens et services numériques en Europe, la Commission européenne a adopté, en mai 2015, la stratégie pour un marché unique numérique de l’Union européenne (UE).

Europa-Initiative: Initiativtext und Vortrag der ASE

Die ASE ist als Organisationen der Zivilgesellschaft nicht länger bereit, der Untätigkeit des Bundesrates zuzuschauen. Wir nehmen im Rahmen der Allianz für die Europa-Initiative unsere Verantwortung wahr.

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Daniel Woker: „Russland schwer getroffen“

Die westlichen Sanktionen gegen Russland waren und bleiben politisch unumgänglich, wirtschaftlich sind sie ein Erfolg. Die russische Wirtschaft wird in der Aussen- und der Binnenwirtschaft von den Sanktionen in zunehmendem Masse schwer getroffen. Der Rubel wird zur internationalen Schundwährung.

 

Den vollständigen Artikel können Sie >hier lesen.

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Daniel Woker: „Taiwan – die Ukraine Asiens“

Nimmt sich der chinesische Autokrat Xi Jinping ein Beispiel am russischen Autokraten Putin oder deuten der Verlauf und die weltwirtschaftlichen Konsequenzen des Ukrainekrieges auf das Gegenteil hin? Die geographischen und auch politischen Verhältnisse am östlichen Ende der gigantischen Landmasse von Eurasien sind anders. Wenn es der kampferprobten Armee der nuklearen Grossmacht Russland nicht gelingt, einen vergleichsweisekleineren Nachbarn zu Lande schnell und relativ schmerzlos zu besetzen, wie soll das der zwar riesigen, aber ohne Kriegserfahrung gebliebenen Armee der Volksrepublik übers Wasser nach Taiwan gelingen?

 

Den vollständigen Artikel können Sie >hier lesen.

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Feier zum Verfassungstag am 12. September 2022

version française ci-dessous

Seit einigen Jahren feiert die ASE den 12. September als Tag der Verfassung, an dem im Jahre 1848 die Bundesverfassung von der Tagsatzung in Bern angenommen wurde. Sie bildet die Grundlage der modernen Schweiz und bleibt ein Vorbild für die Europäische Integration. Der Vorstand der ASE freut sich erneut, zur diesjährigen Feier am Montag, 12. September 2022 einzuladen. Sie findet wieder am Ort der Annahme dieser Verfassung im Saal «Empire» des Restaurants «Zum Äusseren Stand», Zeughausgasse 17, im 1. Stock in Bern statt.

Wir treffen uns zwischen 18.15 Uhr und 19.00 Uhr zum Aperitif. Um 19.00 Uhr spricht der Historiker

Prof. em. Hans-Ulrich Jost, Lausanne, zum Thema:

«Der Mythos der schweizerischen Neutralität»

Hans-Ulrich Jost begleitet die Neutralitätspolitik seit Jahren und gehört zu ihren profunden Kennern. Nach Vortrag und Diskussion nehmen wir gemeinsam das Nachtessen ein und führen die Diskussion an den Tischen lebhaft weiter.

Der Beitrag an das Gedeck beträgt pro Person CHF 60. Wir bitten Sie, den Anlass mit Freunden und Bekannten zu teilen und sich bis am 31. August 2022 direkt bei Maximilian Rau per E-Mail für die Feier und den Vortrag anzumelden (maximilian.rau@suisse-en-europe.ch), mit allfälligem Vermerk für ein vegetarisches Menu oder von allfälligen Allergien. Wir bitten Sie, den Unkostenbeitrag vorgängig mit der Anmeldung auf das vorstehende IBAN Konto oder elektronisch das Spendenkonto der ASE zu überweisen (https://suisse-en-europe.ch/spenden/).


Depuis quelques années, le 12 septembre est célébré comme Journée de la Constitution, car c’est en ce jour en 1848 que la Constitution fédérale a été adoptée par la Diète fédérale à Berne. Elle constitue le fondement de la Suisse moderne et reste un modèle pour l’intégration européenne. Le comité de l’ASE a le plaisir de vous inviter à la célébration de cette année, le lundi 12 septembre 2022. Elle aura à nouveau lieu sur le lieu d’adoption de cette Constitution, dans la salle « Empire » au premier étage du restaurant « Zum Äusseren Stand », Zeughausgasse 17, à Berne.

Nous nous retrouverons entre 18h15 et 19h00 pour l’apéritif. À 19h00, le professeur émérite Hans-Ulrich Jost, historien à Lausanne, s’exprimera sur le sujet :

 „Le mythe de la neutralité suisse“

Hans-Ulrich Jost accompagne la politique de neutralité de la Suisse depuis des années et fait partie de ses fins connaisseurs. Après son exposé et une discussion sur celui-ci, nous dinerons ensemble et poursuivrons la discussion de façon conviviale autour des tables.

La contribution au repas s’élève à CHF 60 par personne. Nous vous prions de partager cet événement avec vos ami·es et connaissances et de vous inscrire pour la conférence et le repas directement auprès de Maximilian Rau par courriel jusqu’au 31 août 2022 (maximilian.rau@suisse-en-europe.ch), en mentionnant éventuellement un menu végétarien ou d’éventuelles allergies. Nous vous prions de verser au préalable la contribution aux frais avec l’inscription sur le compte IBAN ci-dessus ou par voie électronique sur le compte de dons de l’ASE (https://suisse-en-europe.ch/spenden/).

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René Rhinow: „Wie weiter mit der Neutralität?“

René Rhinow diskutiert in dieser bereinigten Fassung eines Vortrages von der Generalversammlung der ASE am 09. Juni 2022 zehn Thesen zur Neutralität der Schweiz.

  1. Vorrang der Verfassung

Bei der Ausarbeitung der ersten Bundesverfassung von 1848 lehnte es die Tagsatzung ab, die Neutralität unter den Zwecken des Bundes anzuführen, da man nie wissen könne, ob die Neutralität einmal im Interesse der Unabhängigkeit aufgegeben werden müsse. Wie weise waren unsere Verfassungsväter!  Die Schweiz ist völkerrechtlich nicht zur Neutralität verpflichtet; sie kann diese aufgeben. Auch in der aktuellen Bundesverfassung von 1999 figuriert die Neutralität nicht unter den aussenpolitischen Zielen.  Die Erwähnung der Neutralität in den Kompetenzkatalogen von Bundesversammlung und Bundesrat hat bloss die Bedeutung, die Zuständigkeiten im Falle einer Neutralität zu regeln.

Die Schweiz hat in erster Linie eine auf die Bundesverfassung abgestützte Aussen-und Sicherheitspolitik zu führen. So hat sich der Bund für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz und ihrer Wohlfahrt einzusetzen und namentlich beizutragen zur Linderung von Not und Armut in der Welt, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen.

Dem Bund obliegt es auch, die Interessen der schweizerischen Wirtschaft im Ausland zu wahren und die Versorgung des Landes mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen sicherzustellen. Das sind nicht immer kongruente, oft auch konfligierende Ziele, die im Rahmen der Aussenpolitik gegeneinander abzuwägen und zu optimieren sind. Insofern ist die Neutralität ein mögliches Instrument, das diesen Zielen dienlich sein kann, aber nicht sein muss.

  1. Aussenpolitik – nicht Neutralitätspolitik

Neutralitätsrecht und Neutralitätspolitik sind zu unterscheiden. Letztere umfasst alle Massnahmen, welche die Glaubwürdigkeit der Neutralität sicherstellen sollen. Die dem internationalen Recht fremde Kategorie ist in der Schweiz geboren und aufgebläht worden; sie hat auf weite Strecken als Surrogat einer eigentlichen Aussenpolitik gedient.

Das hat dazu geführt, dass  Sicherheitspolitik und Neutralitätspolitik oft synonym aufgefasst wurden. Heute kaum mehr verständlich: Edgar Bonjour hat die Geschichte der Schweiz von 1933 bis 1945 mit Neutralitätsgeschichte überschrieben!  Das hat auch damit zu tun, dass in der Geschichte der Schweiz Aussenpolitik ein Fremdwort war, mit Ausnahme der Aussenwirtschaftspolitik natürlich. Man war ja schliesslich neutral.

Dieses Verständnis, dass Aussenpolitik vor allem Neutralitätspolitik sei, schwingt in der aktuellen Diskussion über die Neutralität immer noch mit. Und verfehlt damit auch die eigentliche Dimension der Aussenpolitik, die nicht primär die Neutralität zu schützen, sondern die ihr in der Bundesverfassung vorgegeben Ziele anzustreben hat. Neutralität ist Nicht-Beteiligung im Krieg zwischen Drittstaaten, Neutralitätspolitik ist nur darauf ausgerichtet, die Nicht- Beteiligung an einem Krieg zwischen Drittstatten glaubwürdig erscheinen zu lassen.

Neutralitätspolitik ist kein eigenständiges Politikfeld, sondern eine Optik, ein mögliches Kriterium oder eine Schranke, welche bei der Sicherheitspolitik zur Anwendung kommen kann. Vieles, was heute unter Neutralitätspolitik abgehandelt wird, hat mit Neutralität wenig oder nichts zu tun. Es ist bequemer, zu fragen, ob eine bestimmtes Handeln mit der Neutralität vereinbar sei, als eigenständig eine aussenpolitische Haltung einzunehmen – nach innen und nach aussen, wohlverstanden. Wie peinlich wirkte kürzlich die verzögerte Übernahme der Sanktionen der EU gegen Russland, die vielerorts als Ergebnis ausländischen Drucks empfunden wurde. Die Schweiz braucht den Mut zur Aussen- und Sicherheitspolitik!

  1. Neutralität ist passiv

 Neutralität ist Nicht-Beteiligung, Enthaltung, per se etwas passives. Neutralität verzichtet auf Teilnahme an einem Krieg. Alles Aktive ist Aussenpolitik. Was die Schweiz positiv unternimmt, um die verfassungsmässig auferlegten Ziele zu erreichen, gehört zur klassischen Aussenpolitik. Immer wieder wurde und wird fälschlicherweise behauptet,  dass die Neutralität Voraussetzung für eine aktive Friedenspolitik bilde. Wenn die Schweiz trotz oder wegen der neutralen Passivität besondere Anstrengungen unternimmt, um zum Frieden beizutragen, braucht sie keine neutralitätspolitischen Krücken. Das gilt auch für die sog. Guten Dienste, die trotz aller bei uns üblichen und beliebten rhetorischen Höhenflüge nicht an die Neutralität gebunden sind, wie etwa die die aktive Rollen Norwegens und der Türkei als NATO – Staaten belegen. Wesentlich ist vielmehr, dass die Schweiz ein glaubwürdiger Partner ist, erfahren in der Diplomatie und der Vermittlung, ohne hidden agenda, ohne koloniale und imperiale Vergangenheit, ohne jegliche Aggressionsabsichten. Das soll auch so bleiben und ergibt sich auch aus der Bundesverfassung.

Wenn die Neutralität anstelle einer aktiven Aussenpolitik als Grund für ein schweizerisches Engagement ins Feld geführt wird, macht es den Anschein, als ob im Ausland Verständnis für die für Abstinenz der Schweiz geweckt werden soll. Das gilt auch für die Aufpolierung der Neutralität mit Beiwörtern, wie aktive oder nun auch kooperative Neutralität. Die Sicherheitspolitik soll aktiv sein, nicht die Neutralität! Diese wechselnden Zusätze wollen etwas Positives verheissen – aber zeugen sie nicht eher von einem schlechten Gewissen? Stiftet es nicht Verwirrung, wenn die schweizerische Neutralität immer wieder mit Suffixen  neu eingekleidet wird?

  1. Abschied vom Mythos der autonomen Verteidigung

Das Neutralitätsrecht setzt im Grundsatz voraus, dass sich Staaten selbst verteidigen können und auch sollen. Deshalb das Diktum der «bewaffneten» Neutralität. Gewiss ist Neutralität eines Staates nur glaubwürdig, wenn dieser über eine Armee verfügt, welche Neutralitätsverletzungen begegnen kann. Die Schweiz hat sich aber primär für eine schlagkräftige  Armee entschieden, weil sie diese für ihre eigene Sicherheit als notwendig erachtet, nicht der Neutralität zuliebe. Offen bleibt aber, welches Ausmass an Bewaffnung vom Neutralitätsrecht vorgeschrieben wird, um die Glaubwürdigkeit der Neutralität zu untermauern.

Dass beinahe alle Nationalstaaten schon seit langem nicht mehr in der Lage sind, sich autonom zu verteidigen, stellt eigentlich eine Binsenwahrheit dar, wurde aber in der schweizerischen Öffentlichkeit während langer Zeit liebevoll verdrängt. Auch die Schweiz ist auf Kooperationen, Rüstungszusammenarbeit und auf eine Interoperabilität angewiesen, die notgedrungen leichtere oder intensivere Parteinahmen mit einschliessen muss. Bereits der Sicherheitspolitische Bericht des Bundes 2000 wurde mit «Sicherheit durch Kooperation» überschrieben! Bei der Abwehr von Langstreckenraketen, beim Einsatz satellitenbasierter Systeme oder bei Nachrichtendiensten ist die Schweiz überfordert. Seit Ende des 2. Weltkrieges profitiert die Schweiz vor allem vom Schutzschirm der NATO, ungeachtet der vorherrschenden Unabhängigkeitsrhetorik. Unsere Sicherheit ist in erster Linie von den europäischen Staaten und der NATO abhängig. Hier hat die Neutralität keinen Platz, jedenfalls nicht, solange unser Umfeld im Rahmen der EU stabil bleibt. Ich erinnere mich an zahlreiche militärische Übungen, wo es galt, den bösen Feind aus dem Osten zu bekämpfen. Von der NATO war nie die Rede, nur vom heldenhaften Kampf ab Landesgrenze mit einstudierten Gegenschlägen.

Wenn die uns umgebende EU und ihre Mitgliedstaaten gemeinsame Massnahmen zur Erhöhung ihrer Sicherheit beschliessen, so ist nicht ersichtlich, wie eine abweichende Haltung der Schweiz unserer Sicherheit zu dienen vermöchte. Das Gegenteil kann der Fall sein. Bereits 1991 stellte der wohl beste Kenner des Neutralitätsrechts, Prof. Dietrich Schindler fest, die militärische Neutralität würde ihre Rechtfertigung weitgehend verlieren, «falls die Schweiz von lauter EG – Staaten umgeben sein wird».

Ich verweise auf einen Text, der im Bericht des Bundesrates zur Neutralität 1993, also vor fast 30 Jahren!, figuriert:

„Die sicherheitspolitischen und technologischen Veränderungen könnten in Zukunft unsere traditionelle, auf Eigenständigkeit beruhende Verteidigungspolitik immer mehr in Frage stellen. Sollte es soweit kommen, dass die Schweiz sich gegen neue Waffensysteme oder neue Bedrohungsformen auf autonomer Basis nicht mehr ausreichend schützen kann, müsste ihre bisherige Sicherheits- und Verteidigungspolitik den veränderten Verhältnissen angepasst werden. Dies betrifft auch das Neutralitätsverständnis.“

Es kommt hinzu: Nach klassischem Neutralitätsrecht darf ein Neutraler mit einer Kriegspartei kooperieren, wenn er selbst angegriffen wird. Erst dann, nicht vorher. Doch wann beginnt heute ein Angriff? Zur Zeit des Haager Rechts begann der Krieg an der Landesgrenze. Abgesehen davon, dass ein modernes Kriegsbild «grenzenlos» ist, stellt sich die Frage, ab wann angesichts des grossen Kooperationsbedarfs ein Neutraler mit einem Staat zusammenarbeiten darf, der möglicherweise einmal Kriegspartei wird.

Nochmals eine Rückschau auf den Neutralitätsbericht 1993:

„Die Neutralität soll die Sicherheit des Landes fördern, nicht die Verteidigungsfähigkeit schmälern. Sie darf den Neutralen nicht daran hindern, die nötigen Vorkehren gegen neue Bedrohungen zu treffen und allfällige Lücken in seinem Verteidigungsdispositiv durch grenzüberschreitende Vorbereitungen der Abwehr zu schliessen.“

Schliesslich übersteigen Konflikte rasch die militärische Dimension und dringen in andere existentielle Politikbereiche ein, wie die aktuelle Entwicklung überdeutlich aufzeigt. Die wirtschaftliche Verflechtung, die Versorgung mit Gütern des täglichen Lebens und mit Rüstungsgütern übersteigt die nationalstaatliche, ja oft die kontinentale  Dimension. Was bedeutet das für die Neutralität?

  1. Der Sicherheitswert der Neutralität ist heute zu beurteilen.

In der Diskussion wird ausdrücklich oder stillschweigend auf die «bewährte» Neutralität verwiesen. Niemand wird bestreiten, dass in den europäischen Kriegen unser Land – unter anderem – von der Neutralität profitiert hat. Vielleicht müsste man aber anfügen, dass dieser Erfolg auch damit zu tun hatte,  dass man es mit dem Neutralitätsgebot unterschiedlich streng nahm, ja dass man dieses auch ritzte oder zuweilen gar verletzte. In gut schweizerischer Manier, ohne es an die grosse Glocke zu hängen.

Wer heute einen Sicherheitswert der Neutralität behauptet, muss darlegen, unter welchen Voraussetzungen eine kriegsbezogene Neutralität den schweizerischen Interessen zu dienen vermag – und unter welchen dies nicht der Fall ist. Denn eine Neutralität, die den schweizerischen Sicherheitsinteressen widerspricht, kann und darf es nicht geben. Das wurde beispielsweise schon 1999 im Bericht 90 über die Sicherheitspolitik der Schweiz (SIPOL B 2000) klar zum Ausdruck gebracht:

«Die Neutralität allein, besonders wenn sie mit einem Verzicht auf sicherheitspolitische Kooperation mit dem Ausland gleichgesetzt würde, genügt nicht, um die Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten. … Für die Zukunft ist es wichtig, dass sich die Neutralität nicht zum Hindernis für unsere Sicherheit entwickelt.»

Es ist in Erinnerung zu rufen, dass die Neutralität von den Siegermächten am Wiener Kongress 1815 anerkannt wurde, weil sie auch im Interesse Europas lag. Die schweizerische Neutralität ist eng mit dem konfliktreichen Europa des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verknüpft, sie ist ein europäisches Gewächs. Sie beruhte auf der Vorstellung, dass diese Form der dauerhaften Nichtbeteiligung an einem Krieg von Drittstaaten im Interesse aller liegt, der kriegführenden Parteien in Europa und der Schweiz.

Fehlt es bei einer Partei an diesem Interesse oder verliert sie dieses, wie das etwa beim Überfall des neutralen Belgiens durch Deutschland der Fall war, ist die Neutralität nutzlos. Da stellt sich auch die bedrängende Frage, ob einem Staat, der offensichtlich bereit ist, Völkerrecht massiv zu brechen, vertraut werden kann, künftig die Neutralität zu respektieren?

Neutralität ist umfeld- und kontextbezogen. Sie ist geopolitisch nicht neutral. Wir müssen uns und unsere Nachbarn fragen, wer heute und morgen an der schweizerischen Kriegs-Neutralität ernsthaft interessiert und bereit ist, diese im Kriegsfall ernst zu nehmen. Da könnten wir böse erwachen. Unsere Neutralität ist in erster Linie auf die Interessen anderer europäischer Staaten angewiesen. Sind die Staaten der EU nicht eher an einem Kooperation der Schweiz interessiert als an einem Abseitsstehen?

  1. Unsere Neutralität wird, jedenfalls in Europa, kaum mehr verstanden.

In den letzten Jahrzehnten haben sich das globale und europäische, insbesondere auch geopolitische Umfeld, das Völkerrecht, die wirtschaftlichen Verflechtungen und die Art der Kriegsführung grundlegend verändert. Wir sind zusammen mit Österreich und Irland bald das einzige – im Sinne des Völkerrechts – neutrale Land der Welt. In der Wissenschaft wird die Neutralität seit langem nicht mehr gepflegt. Das Haager Abkommen ist teilweise veraltet, und das ungeschriebene internationale Recht eher diffus und hinkend. Es ist auch aus dem Bewusstsein der Staatenwelt und internationaler Organisationen verschwunden. Denn es wird nur noch von wenigen Staates angewendet, im Sinne einer dauernden Neutralität sogar nur von der Schweiz und gezwungenermassen von Österreich.

Denn nach der UNO – Charta sind Angriffskriege und Gewaltanwendung verboten, was zur Zeit des Haager Abkommens noch nicht der Fall war. Was bedeutet das völkerrechtliche Angriffsverbot für die Neutralität? Das Abkommen regelt nicht, ob es eine Neutralität im Falle eines gravierenden Bruchs des Völkerrechts durch einen Angriffskrieg überhaupt geben kann.

Anders formuliert: Was heisst «Krieg» im Sinne des Neutralitätsrechts – jeder Krieg? Was bedeutet das Verbot, sich an einem Krieg zu beteiligen, in Bezug auf Wirtschaftssanktionen? Können Sanktionen nicht einschneidender sein als die Lieferung einiger Waffen? Kann die Schweiz bei einem klaren Angriffskrieg neutral sein, bei jedem Krieg, auch gegen Europa? Oder soll sie differenzieren, etwa zwischen Kriegen in- oder gegen Europa, oder zwischen einem groben, gravierenden Angriffskrieg und kleineren bewaffneten Konflikten zwischen Staaten? Der Bundesrat begründete die Übernahme der EU – Sanktionen damit, dass Russland das Völkerrecht bei der Annexion der Krim in geringerem Ausmass verletzt habe als beim Angriff auf die Ukraine. Eine Differenzierung, die dem Völkerrecht fremd ist.

Es zeigt sich gerade bei dieser künstlich anmutenden, in der Praxis kaum umsetzbaren und vor allem nach aussen schwerlich vermittelbaren  Unterscheidung, dass das theoretisch und normativ nie aktualisierte internationale Neutralitätsrecht keine oder nur sehr beschränkte Antworten auf das moderne Konflikt- und Kriegsbild zu liefern vermag.

Im europäischen und internationalen Umfeld wird die schweizerische Neutralität diplomatisch-höflich respektiert, aber kaum mehr verstanden, sowohl was ihre Bedeutung, auch was ihre Anwendung betrifft. Dies wurde bei der Übernahme von Wirtschaftssanktionen oder dem Verbot einer Wiederausfuhr schweizerischen Kriegsmaterials deutlich.

  1. Entschlackung tut Not

Das Neutralitätsrecht wurde in verschiedenen Gesetzen konkretisiert, ja überkonkretisiert. Eine rechtliche Umschreibung der Neutralität in der Schweiz, erst noch in der Verfassung, wäre grober Unfug, weil sie die Sicherheitspolitik im Ernstfall in Fesseln legen würde. Im Fall der Kriegsmaterialexporte wurde der Handlungsspielraum des Bundesrates

über die neutralitätsrechtlichen Gebote hinaus eingeengt, vor allem was die sog. Re- Exporte, die Umschreibung der kriegsrelevanten Güter oder was die dual use Güter betrifft. Die Wiederausfuhr-Bewilligung hat mit Neutralität nichts zu tun. Die Schweiz ist auf Rüstungsgüter aus dem Ausland angewiesen, so wie andere Staaten an Produkten in der Schweiz interessiert sind. Eigentlich ist es paradox: Einerseits ist die eigene Rüstungsindustrie Voraussetzung der bewaffneten Neutralität, anderseits soll diese ein Verbot von Waffenlieferungen rechtfertigen.

Je enger Verbote erlassen und Auslegungsspielräume eingeengt werden, desto unglaubwürdiger wird die Neutralität im Ausland wahrgenommen, und umso mehr entstehen in der Praxis Widersprüche. Wie ist denn zu begründen, dass schusssichere Westen kriegsrelevant sind, Überflüge von Militärflugzeugen, die einem humanitären Zweck dienen, aber nicht? Kann ernsthaft behauptet werden, Verbandsmaterial sei nicht kriegsrelevant? Warum wird die Ausfuhr von Kriegsmaterial nicht auf eigentliche Waffen beschränkt? Güter zu Schutz von Leib und Leben sind vom Haager Abkommen nicht erfasst. Der Terminus «kriegsrelevant» ist zu verabschieden, denn was ist in einem modernen Krieg nicht relevant?

Angesichts der geopolitischen Unsicherheiten ist vor einer übermässigen Verrechtlichung der Sicherheitspolitik zu warnen. Diese muss primär in der Verantwortung des Bundesrates und der Bundesversammlung liegen. Die Ausfuhrbewilligung ist auf eigentliche Kriegsgeräte, insbesondere auf Waffen, die unmittelbar dem Kampf dienen, zu beschränken.

  1. Verzicht auf die Dauerhaftigkeit der Neutralität

Die schweizerische  Neutralität ist dauerhaft, ja «immerwährend». Die Schweiz ist  das einzige Land auf der Welt, das diesen Sonderfall der Neutralität gewählt hat. Diese unterscheidet sich von der gewöhnlichen Neutralität etwa Schwedens oder Irlands dadurch, dass sie für alle künftigen Kriege gelten soll.  Heute ist angesichts des diffusen Kriegsbildes und der ungewissen geopolitischen Umbrüche zu fragen, welchen Sicherheitswert die auf Kriege zwischen Nationalstaaten bezogene, selbstgewählte dauerhafte Neutralität der Schweiz heute und in Zukunft aufweist. Soll die Schweiz weiterhin ein globales Neutralitätsversprechen in eine ungewisse Zukunft hinein abgeben, ungeachtet Lage des Völkerrechts, der möglichen Konflikte und der Konfliktparteien? Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass die Schweiz bei einem Angriff auf Europa  oder ein benachbartes Land abseits stehen könnte, denn dann wäre ihre eigene Sicherheit offensichtlich und unmittelbar bedroht. Bereits heute wird mit gutem Grund die Auffassung vertreten, der barbarische und krass völkerrechtswidrige Angriff auf die Ukraine bilde einen Angriff auf die Werte Europas und damit auch der Schweiz.

Hierzulande wird die Unterscheidung zwischen gewöhnlicher Neutralität und der «dauerhaften» der Schweiz kaum näher thematisiert. Ein Verzicht auf die Dauerhaftigkeit würde der Schweiz gestatten, grundsätzlich neutral zu sein, aber je nach Konflikt darauf zu verzichten, wenn dies für ihre Sicherheit unausweichlich erscheint, beispielswese, indem sie mit der NATO eine engere Zusammenarbeit eingeht. Die Möglichkeit eines Verzichtes vermöchte ihr auch einen aussen- und sicherheitspolitischen Handlungsspielraum zu verschaffen, auf den sie angesichts der ungewissen Entwicklung der Bedrohungsszenarien angewiesen ist. Eine alte Weisheit ist in Erinnerung zu rufen: je ungewisser und komplexer die Entwicklung, desto wichtiger wird die Handlungsfreiheit. Ein Übergang zur gewöhnlichen Neutralität kann vom Bundesrat mit Einwilligung der eidgenössischen Räte erklärt werden.

Wie weitsichtig war der sicherheitspolitischen Bericht 2000:

«Das Festhalten an der dauernden Neutralität wird somit selbst bei der grösstmöglichen Ausnützung des neutralitätsrechtlichen Spielraums auch in Zukunft dahingehend zu hinterfragen sein, ob dieses Element unserer sicherheitspolitischen Strategie auch im 21. Jahrhundert geeignet ist, die aussen- und sicherheitspolitischen Interessen der Schweiz bestmöglich wahrzunehmen.»

  1. Kein absoluter Verzicht auf die Neutralität

Ich schlage deshalb vor,  dass die Schweiz auf die Dauerhaftigkeit ihrer Neutralität verzichtet und zur gewöhnlichen Neutralität übergeht, einer auf ihren völkerrechtlichen Kern reduzierte, im Inland «entschlackte» Neutralität als «Kriegs-Neutralität» unter dem Vorbehalt aussen- und sicherheitspolitischer  Interessen der Schweiz.

Mein Plädoyer für eine gewöhnliche Neutralität trifft sich mit dem Umstand, dass die Neutralität in der Schweiz eine grosse Beliebtheit geniesst. Das hat vor allem mit drei Faktoren zu tun: einmal handelt es sich um eine eher diffuse Vorstellung von Neutralität, vielleicht am einfachsten zu übersetzen mit «Sich im ureigenen Interesse nicht unnötigerweise in fremde Händel mischen». Sie knüpft so zweitens an die geschichtlichen Erfahrungen mit dem «Stillesitzen» an, die uns in den Genen zu liegen scheint. Und drittens ist diese Tradition quasi verlängert worden mit dem Erfolg der Neutralität in den grossen europäischen Kriegen. Der Stellenwert der Neutralität in der heutigen Zeit wurde in der Öffentlichkeit kaum hinterfragt, sodass ein eigentliche Diskussion über ihre Tragweite nicht stattfand. Vor allem haben  es die Behörden und Parteien unterlassen, die bereits seit den 90er Jahren praktizierte und problematisierte Neutralität zu thematisieren. Es dürfte sich empfehlen, auf die Beliebtheit einer wie auch immer verstandenen Neutralität Rücksicht zu nehmen, als Traditionsanschluss. Ein Übergang zur gewöhnlichen Neutralität  würde an der kriegsbezogenen Kernidee auch unter massiv veränderten Bedingungen im Grundsatz festgehalten, ihre Sicherheit aber im europäischen Kontext verankern und der Schweiz die notwendige Handlungsfreiheit verschaffen. Auch gegenüber dem Ausland soll der Eindruck vermieden werden, die Schweiz habe ihr Sicherheitskonzept grundlegend verändert und die Neutralität definitiv abgeschafft.

Ausdruck einer klugen Aussenpolitik des (politischen) Kleinstaates ist es, sich überlegt, wertebezogen und unter Wahrung der eigenen Interessen auf dem internationalen Parkett zu bewegen.  Die Schweiz geniesst einen guten Ruf, insoweit sie als Land ohne hidden agenda auftritt, als Land, das nie einen Krieg begonnen hat und dies auch nicht tun wird, das bereit ist, sich für Vermittlung und gute Dienste einzusetzen, so dies erwünscht ist, und das sich international für Frieden, Menschenrechte, Entwicklung und Sicherheit engagiert.

  1. These – eigentlich eine Hoffnung: Neutralität zur Reflexion über Europa

Wir diskutieren über die Neutralität. Doch eigentlich steht hinter oder besser über dieser sicherheitspolitischen Thematik eine essentielle Herausforderung für die Schweiz: Wie sieht sie ihre Stellung in Europa? Weist die Diskussion über die Neutralität nicht auch Züge einer Stellvertreterdiskussion auf? Oder pointierter formuliert: Kann die aktuelle Diskussion dazu beitragen, von der Lebenslüge einer unabhängigen Schweiz abzurücken und ebenso realitätsbezogen wie zukunftsoffen über die Chancen einer selbstbewussten und aktiven Schweiz in Europa nachzudenken? Das ruft nach einer aktiven Aussenpolitik, die sich nicht hinter den Mythen der Unabhängigkeit und dem Nebel der Neutralität verstecken kann. Und das Bekenntnis zu einer  aktiven Schweiz in und mit, nicht gegen Europa. «Unsere Heimat ist die Schweiz. Die Heimat der Schweiz ist Europa» (Peter von Matt)

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Thomas Cottier: „Abschied von der Neutralität“

Thomas Cottier* ruft in seinem persönlichen Beitrag die Geschichte der Neutralität in Erinnerung und stellt sich auf den Standpunkt, dass sie heute ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen kann für die  Sicherung des Friedens in Europa und der Verteidigung der Demokratie. Sie hat zur Isolation der Schweiz in Europa beigetragen. Der Abschied von der Neutralität schafft seiner Meinung  neue und bessere Voraussetzungen nicht nur für die Sicherheit des Landes, sondern auch für die Gestaltung des Verhältnisses zur europäischen Integration.

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse, Stufen, 4. Mai 1941

 

Geburt in Uneinigkeit und Schwäche

Die alte Eidgenossenschaft trat bis in die Anfänge des 16. Jahrhunderts in der Wahrung ihrer Interessen offensiv auf. Sie drängte Habsburg in seine Schranken und die Stadtorte Bern, Zürich und Luzern und Uri erwarben erhebliche Gebietsgewinne. In den Schlachten von Murten, Grandson und Nancy besiegelten die Eidgenossen das Ende Burgunds. Mit der Auflösung dieses Puffers zwischen Frankreich und Habsburg wurden die Grundlagen für spätere europäische Konflikte bis ins 20. Jahrhundert gelegt. Machiavelli anerkennt in Il Principe die in Italien gefürchtete militärische Macht eidgenössischer Orte, die nicht nur als Söldnerheere das Geschehen beeinflusst haben, sondern als Orte die Süderweiterung ennet dem Gotthard in Oberitalien vorantrieben und die Wehrfähigkeit auch kommunal-republikanischer Gemeinwesen unter Beweis stellten. Gleichzeitig zeigten sich Schwächen in der Uneinigkeit. Die Schlacht von Marignano wurde 1515 mitunter verloren, weil der französische König vorgängig mit Bern, Fribourg und Solothurn einen separaten Frieden abgeschlossen hatte, der die Militärallianz schwächte. Dieser Sonderfriede und die Niederlage legten die Grundlage für den Friedensvertrag von 1516 mit der Eidgenossenschaft und den Allianzvertrag von 1521. Er brachte in der Folge eine starke Bindung Berns und der weiteren Orte – mit Ausnahme von Zürich –  an Frankreich. Dies führte zu neuen Spannungen und Schwächen innerhalb der Eidgenossenschaft. Die fehlende Einheit der Eidgenossenschaft zwang sie fortan zu einer Neutralitätspolitik, die gleichzeitig als Geschäftsmodell die Grundlage für den Export von Solddiensten an die Höfe Europas diente. Neutralitätspolitik entstand somit aus Uneinigkeit, innerer Schwäche, Geschäftssinn und der Unmöglichkeit, alle in einem armen Lande zu ernähren und ihnen gute Lebenschancen zu bieten. Sie entsprach damals auch den Interessen der Fürstenhäuser Europas. Stecket den Zuun nicht zu wyt, lautete fortan die Devise von Niklaus von der Flue. Sie wird noch heute bemüht.

Im 18. Jahrhundert vermochte die Neutralitätspolitik der Orte den Angriffen des revolutionären Frankreichs nicht zu widerstehen. Der Wiener Kongress von 1815 verpflichtete die Eidgenossenschaft in Form einer Anerkennung zur immerwährenden bewaffneten Neutralität; dies ohne vorgängige Zustimmung der Tagsatzung. Das Territorium der Schweiz wurde im Westen und Norden arrondiert, um eine Verteidigung gegenüber Frankreich sicherzustellen. Aus diesem Grunde kamen Genf, Neuenburg und das Wallis sowie der Nordjura zur Schweiz. Man hätte in dieser Logik auch gern das katholische Nordsavoyen beigefügt, doch das protestantische Genf wehrte sich dagegen. Sinn und Zweck dieser Neutralität war es, einen Puffer zwischen Frankreich und Österreich-Ungarn zu schaffen, der in der Lage ist, kriegerische Angriffe abzuwehren und damit ein von keiner der beiden Mächte beanspruchtes Gebiet inmitten Europas zu schaffen.

Bewährung, Zweifel und Widersprüche

Diese Pufferfunktion hat sich im 19. und frühen 20. Jahrhundert bewährt. Nach der Erstarkung Preussens, der Bildung des deutschen Reiches und der Einigung Italiens erweiterte sich die Neutralität zur Abgrenzung der jungen liberalen Demokratie gegenüber den europäischen Monarchien, die alle im wesentlichen vergleichbare Prozesse der Konstitutionalisierung durchmachten und sich ideologisch nicht grundsätzlich voneinander unterschieden. Von daher war es sinnvoll, dass sich der junge liberale und demokratische Bundesstaat in mitten Europas aus den Händel der europäischen Monarchien und Kolonialmächten heraushielt und die Erhaltung des Gleichgewichts auf dem Kontinent anders als in früheren Jahrhunderten Grossbritannien überliess. Die Neutralität schützte das Gedeihen des jungen Bundesstaates. Sie war weder für Gottfried Keller noch für Konrad Ferdinand Meyer ein Problem. Die Schweiz überlebte dank ihrer Neutralität namentlich den deutsch-französischen Krieg von 1870/71 unbehelligt, obgleich sich bereits hier die Relevanz demokratischer Werte gegenüber autoritären Strukturen anbahnte.

Die Neutralität überlebte den Ersten Weltkrieg und die Gefahr einer Spaltung von Deutsch- und Westschweiz, deren Einheit Karl Spitteler in seiner berühmten Rede zum schweizerischen Standpunkt beschwor. Die ideologische Auseinandersetzung zwischen einem demokratischen Frankreich und England auf der einen Seite, und einem monarchisch-autoritären Deutschland und Österreich-Ungarns stand hinter dem Interesse zurück, die sprachliche und kulturelle Spaltung der Schweiz zu verhindern, das Land zu einigen und handlungsfähig zu behalten. Die Schweiz setzte sich nach dem Krieg für die Schaffung des Völkerbundes und einer differenziellen Neutralität ein, welche die Teilnahme an Sanktionen auch als neutrales Land ermöglichte. Sie nahm davon wieder Abstand, als der Völkerbund zufolge der Austritte Deutschlands, Italiens und der Sowjetunion ihre Funktion als Garant multilateraler Sicherheit nicht mehr wahrnehmen könnte. Die Schweiz kehrte ungeachtet der ideologischen Spaltung des Kontinents zur integralen Neutralität zurück.

Die neutrale Schweiz überlebte den Zweiten Weltkrieg und die ideologische Auseinandersetzung materiell weitgehend unbeschadet. Sie lieferte beiden Seiten Waffen und Rüstungsgüter, vorab Nazideutschland. Nach anfänglichen Erfolgen ihrer Flugwaffe in der Behauptung des schweizerischen Luftraumes ordnete der Bundesrat Zurückhaltung an und band die mutigen Fliegerstaffeln zurück. Gleichzeitig wurden alliierte Bomber im Überflug beschossen. Die Schweiz nahm in ihrer Staatsräson nicht offiziell Stellung in der ideologischen Auseinandersetzung zwischen liberaler Demokratie und Totalitarismus, Faschismus und Kommunismus. Sie wahrte ihre Neutralität und liess ganz wesentlich andere ihre Werte und damit auch das Überleben und Fortbestehen der Schweiz verteidigen. Manch alliierter Soldat hat sein Leben auch für die Schweiz gelassen. Man kann sich ausdenken, was aus der demokratischen Schweiz geworden wäre, hätte die Achsenmächte den Krieg für sich entschieden. Die Neutralität hätte das Land ebenso wenig wie Belgien und die Niederlande retten können. Das Territorium der Schweiz war im Kriege interessant als nachrichtendienstliches Zentrum und Zufluchtsort für alliierte Flugzeugbesatzungen. Dies stützte auch das Interesse der Alliierten an einer neutralen, unbesetzten Schweiz. In vollem Masse aber zeigte sich erstmals, dass sich die Neutralität als Staatsräson und Überlebensstrategie mit der Notwendigkeit, die Demokratie gegenüber Autokratien und Diktaturen zu verteidigen, nicht vereinbaren lässt.

Die Neutralität verlangt keine Gesinnungsneutralität. Sie setzt offenen Parteinahmen der Regierung in der Umsetzung aber enge Grenzen. Sie führt in unüberwindbare Widersprüche zwischen demokratischer und rechtstaatlicher Gesinnung und einer Staatsräson, welche diese Werte in den Aussenbeziehungen weitgehend neutralisiert und klare Stellungnahmen und Parteinahme und vor allem rechtzeitige, präventiv wirksame Allianzen ausschliesst. Hier zeigt sich, dass das Neutralitätsrecht die Verteidigung des Landes behindert. Vorgängige Absprachen mit ausländischen Armeen widersprechen ihr und verhindern eine rechtzeitige Zusammenarbeit. Der britische Feldmarschall Montgomery beurteilte die Kampfkraft der Schweiz nur vier Jahre nach Ende des Aktivdienstes als ungenügend für die Selbstverteidigung und Allianzfähigkeit. Nach einer eingehenden Inspektion durch die britische Armee im Jahre 1949 fiel das Urteil ernüchternd aus: «The swiss army, it is present state, is almost useless» (zit. nach NZZ vom 18.2.2019). Die Konzeption der Landesverteidigung und die Abwehrdoktrin von 1966 Jahre verstärkten zwar die Schlagkraft, litten aber lange unter einer ungenügenden Feuerkraft gegenüber mechanisierten Verbänden. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Armee so stark reduziert, dass eine nachhaltige eigenständige Verteidigung des eigenen Territoriums der neutralen Schweiz heute nicht möglich ist. Die bewaffnete Neutralität kann ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen.

Noch grundsätzlicher sprechen die Entwicklungen des modernen Völkerrechts gegen die Neutralität. Das mit dem Bryon-Kellogg Pakt 1930 zwischen Frankreich und den US eingeführten Angriffsverbot im Völkerecht fand seine Verankerung in der Charta der Vereinten Nationen. War früher militärische Gewalt als Fortsetzung der Politik ein rechtmässiges Mittel, verpflichtete die UN die Staatengemeinschaft auf die friedliche Streitbeilegung. Allen Staaten, und nicht nur Neutralen, ist militärische Aggression verwehrt. Ein Angriff ist sodann nicht nur ein Angriff auf das betreffende Land. Es löst das Recht der Selbstverteidigung des angegriffenen, aber auch der gesamten Staatengemeinschaft unter Art. 51 der UN Charta aus. Die Neutralität steht daher grundsätzlich mit der Idee der kollektiven Selbstverteidigung im Widerspruch. Das Neutralitätsrecht der Haager Konventionen von 1907 entstand im Zeitalter gleichgestellter und ideologisch weitgehend gleichgesinnter Staaten und Kolonialmächte. Es wurde durch das System der kollektiven Selbstverteidigung überholt. Diese Unvereinbarkeit ist einer der Gründe, weshalb die neutrale Schweiz den Vereinten Nationen so spät beitrat. Ihr Vorbehalt der Neutralität in der Beitrittserklärung vermag die grundlegende Unvereinbarkeit mit der Charta nicht zu beseitigen und erklärt die zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen die Neutralitätspolitik seit im Kalten Krieg bis in die Gegenwart immer wieder konfrontiert wurde.

Kosten der Neutralität und Vereinsamung

Die Neutralität im Zweiten Weltkrieg hatte in der Nachkriegszeit einen hohen Preis. Dieser zeigt sich eindrücklich in den Werken von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, die als Exponenten einer geistigen Schweiz mit vielen andern an diesem Erbe litten und das Unbehagen im Kleinstaat mit Max Imboden zum Ausdruck brachten. Die Fortsetzung der Neutralität führte die Schweiz in die aussenpolitische Einsamkeit. Die Siegermächte setzten die neutrale Schweiz unter Druck und verpflichteten sie zu Reparationsleistungen. Die Schweiz stand nicht auf der Seite der Sieger und musste dies bezahlen. Die Alliierten verweigerten ihr vorerst den Beitritt zu den Vereinten Nationen, obgleich sie Gründungsmitglied des Völkerbundes war. Machiavelli lehrt uns, dass der Neutrale immer auf der Verliererseite steht. Er hatte aus diesem Grunde davon abgeraten.

Andere Beschränkungen waren als Gegenreaktion selbst gewählt durch eine extensive Auslegung der Neutralität als Neutralitätspolitik. Sie prägte die Mentalität der Schweiz. Je weniger Aussenpolitik, umso besser, lautete die Devise. Und Aussenpolitik war essentiell Wirtschaftspolitik, und dies am besten unter der Flagge der Neutralität. Die Politik war so in den 1950 und 1960iger Jahren der Auffassung, dass diese einen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ausschloss. Diese Haltung beeinflusst und erschwert die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union bis heute.  Sie ist wesentlich dafür verantwortlich, dass sich die Schweiz bislang am europäischen Projekt der politischen Einigung nicht beteiligt. Mit Ausnahme der OEEC (heute OECD) verzögerte sich der Beitritt zu den wichtigsten multilateralen Organisationen. Das gilt für GATT, Weltbank und IMF und wie gesagt für die UNO.

Gleichzeitig verhinderte die Neutralität in ihrem Kernbereich eine wirksame Landesverteidigung. Obwohl allen klar ist, dass sich die Schweiz militärisch im Alleingang nicht nachhaltig durchsetzen kann, verunmöglichte sie weiterhin wirksame präventive militärische Kooperation mit den europäischen Nachbarn und mit den USA im Rahmen der NATO. Das Ideal der Schweiz als Igel im Réduit stand ideologisch im Kalten Krieg im Zentrum der Landesaustellung von 1964 und prägte erneut das Nationalbewusstsein. In den Stellvertreter-Kriegen der USA, die zumeist als verdeckte und unüberschaubare Bürgerkriege ohne klare Frontlinien ausgetragen wurden, blieb die Schweiz neutral, obgleich ihre wirtschaftspolitischen Interessen und ihre Gesinnung klar auf Seiten des Westens lagen. Das gilt für Vietnam, für Irak und Afghanistan, für Ex-Jugoslawien wie zahlreiche blutige Konflikte in Afrika. Die Möglichkeit, mit allen Geschäfte machen zu können überwog ungehindert und prägte die Staatsräson. Die frühe Anerkennung der Volksrepublik China verschaffte der Schweiz einen wichtigen Vorteil in der Öffnung chinesischer Märkte und für Investitionen. Die neutrale Schweiz leistete keinen Beitrag zur Überwindung der Apartheid und Einführung der Demokratie in Südafrika.

Die Neutralität erlaubte nach dem Ende des Kalten Krieges die weitgehende Demontage der Armee und führte zu ihrer Unfähigkeit, im Rahmen eines europäischen Konfliktes einen dem Land und seiner Wirtschaftskraft angemessen Beitrag zu leisten. Man verliess sich auf die geographische Lage. Die Schweiz profitierte von der NATO und nutzte sie als Free Rider und Trittbrettfahrerin inmitten Europas. Entsprechend konnten die Militärausgaben drastisch gesenkt werden. Sie betragen heute 0.7% BSP und liegen weit unter den Anforderungen der Allianz. Die Schweiz leistet heute keinen wesentlichen Beitrag zur Verteidigung Europas. Sie geht noch heute davon aus, dass Sicherheiten der NATO ohne Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung möglich sein werden. Gleiche Vorstellungen bestehen in Bezug auf die sich abzeichnende sicherheitspolitische Entwicklung im Rahmen der europäischen Integration. Das mag schlau sein. Klug ist es nicht, weil es der Reputation und Glaubwürdigkeit unseres Landes schadet. Selbst im humanitären Bereich fehlen heute die Mittel und der Wille, militärische Mittel in Krisengebieten zur Friedenssicherung zur Verfügung zu stellen. Die Schweiz stellte bislang keine Blaumhelm-Truppen im Rahmen der UNO für die Interposition. Sie beschränkte diesbezüglich ihr Engagement im Kosovo im Rahmen der Zusammenarbeit mit der NATO. Zur Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der Responsibility to Protect (R2P), notfalls im Verbund mit militärischen Mitteln, ist die humanitäre Schweiz heute nicht in der Lage. Eine aktive Neutralitätspolitik der humanitären Schweiz müsste anders aussehen, um glaubwürdig zu sein und die Anerkennung der Staatenwelt zu sichern.

Die Neutralität hat die Schweiz im Rahmen der Pax Americana der Nachkriegszeit und des Gleichgewichts des Schreckens schrittweise in die politische Isolation geführt, die man gerne mit dem wirtschaftlichen Erfolgsmodell zu überdecken sucht. Sie machte sie wesentlich zum Sonderfall, auf den sie sich gemeinsam mit ihren Werten des Föderalismus und der direkten Demokratie beruft. Die Schweiz ist in Europa zur Aussenseiterin geworden, die auf dem internationalen Parket nicht das Gewicht hat, das sie haben könnte, um ihre Interessen wirksam durchzusetzen und auf politischer Ebene eine kreative Rolle in der Lösung europäischer und globaler Probleme zu leisten. Die Neutralität hat das Land politisch marginalisiert. Während die Schweiz wirtschaftlich, kulturell und in der Wissenschaft seit der Gründung des Bundesstaates ein weltoffenes Land ist, wurde sie aussenpolitisch immer mehr zur quantité négligable. Man schätzt zwar ihre Beiträge, ihre Leistungen und ihre Zuverlässigkeit, begegnet ihre aber höflich mit benign neclect. Ihre aktive aussenpolitische Rolle beim Aufbau internationaler Organisationen am Ende des 19. Jahrhunderts hat sie weitgehend verloren; Ausnahmen bilden bestätigen die Regel. Sie ist trotz ihrer wirtschaftlichen Leistung nicht ständiges Mitglied der G-20. Sie hat Mühe, ihre Interessen auf dem internationalen Parket wirksam einzubringen und durchzusetzen und damit ihr Überleben langfristig zu sichern.

Die Neutralität hat somit das politische Potential der Schweiz zugunsten aussenpolitisch ungehinderter wirtschaftlicher Tätigkeit ihrer Unternehmungen und der Exportwirtschaft zurückgebunden. Das ging im Zuge der Globalisierung noch so lange gut, als schweizerische Auslandinvestitionen und der Aussenhandel ungeachtet der unterschiedlichen politischen Systeme florierten und die Notwendigkeit einer wirksamen Menschenrechtspolitik gerade auch zum langfristigen Schutz schweizerischer Interessen als entbehrlich erschien. Mit der zunehmenden Polarisierung der Welt hat sich dies verändert, am deutlichsten vorerst im Verhältnis zur Volksrepublik China. Grundwerte lassen sich im Verhältnis zu autoritären Staaten nicht mehr länger unter Rekurs auf die Neutralität verdrängen. Der Angriff auf die Ukraine bringt dies in aller Deutlichkeit zu Tage. Er lässt das Dilemma zwischen Staatsräson und Gerechtigkeit schmerzhaft spürbar werden.

Die Schweiz verurteilte zu Recht den offenen Angriffskrieg Russlands vom 24. Februar 2022 als Verletzung der Charta der Vereinten Nationen und des Völkerrechts. Sie übernahm die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Union. Gleichzeitig nimmt sie an der kollektiven Verteidigung gemäss Art. 51 der Charta nicht teil. Die Regierung wendet das Neutralitätsrecht auf restriktive Weise an. Das EDA verbietet eigenmächtig den Überflug kanadischer Lieferungen an andere NATO Staaten, obgleich diese neutralitätsrechtlich nicht Kriegspartei sind. Das SECO musste in Anwendung strenger Waffenexportregelungen die Verwendung schweizerischer Panzermunition in der Ukraine verbieten, obgleich in diesem gleichen Lande eine grosse Mehrheit hofft, dass Russland in seine Grenzen und Schranken verwiesen werden kann. Sie bezieht gleichzeitig Öl- und Gaslieferungen aus Russland. Sie unterstützt damit die nachhaltende Finanzierung der russischen Armee, ohne dass in Überlegungen der Neutralität gegenüber den Kriegsparteien einfliessen würde. Sie verstrickt sich mit der Neutralität in unlösbare Widersprüche, die sich mit dem Gewissen einer demokratischen Nation nicht vereinbaren lassen. Daran ändert die neue Terminologie der kooperativen Neutralität nichts. Lässt sich die Neutralitätspolitik zwar dehnen, so verwehrt das Neutralitätsrecht weiterhin die Arbeit in militärischen Allianzen im Rahmen der NATO und der EU und die hier notwendige Übernahme von Beistandsverpflichtungen zur Sicherstellung einer wirksamen Verteidigung Europas und damit auch unserer direkten Demokratie und Verfassung.

Notwendiger Abschied

Der offene Landkrieg in der Ukraine führt uns endgültig vor Augen, dass die Neutralitätspolitik der Schweiz und das Neutralitätsrecht im 21. Jahrhundert mit den grundlegenden Zielen der Verfassung und unserem Staatsverständnis nicht mehr vereinbar sind. Die Uneinigkeit der alten Eidgenossenschaft wie auch die Pufferfunktion in Europa sind Geschichte, ebenso machtpolitische Auseinandersetzungen europäischer Monarchien. Die Neutralität im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg leistete keinen Beitrag zur Wahrung der Demokratie. Heute ist die Welt erneut geprägt von klassischen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und der Herrschaft von Diktatoren und Tyrannen.

Das Überleben der Schweiz als direkte Demokratie und damit auch ihres relativen Wohlstandes hängt davon ab, ob sich Demokratie und Rechtstaat in der kommenden Epoche werden durchsetzen und behaupten können. Die Aussenpolitik der Schweiz muss so ausgestaltet werden, dass hier ein dem Land angemessener Beitrag in Europa  geleistet werden kann. Sie muss so ausgestaltet werden, dass die Glaubwürdigkeit und Wahrnehmung der Schweiz als verlässlicher Partner in diesen Auseinandersetzungen gewahrt wird. Die Neutralität war und ist nur so viel wert, wie sie von der Staatengemeinschaft als nützlich beurteilt und anerkannt wird. Ihre im Wienerkongress von 1815 geschaffenen Grundlagen haben sich überlebt und müssen einer neuen Aussenpolitik in Europa und der Welt Platz machen. Das ist heute ein Akt der Selbstbestimmung, der im Rahmen des Völkerrechts möglich. Niemand kann die Schweiz rechtlich daran hindern, ihre Neutralität aufzugeben. Im Gegenteil, die europäischen Demokratien werden die Schweiz in ihrem Kreis willkommen heissen.

Man wird einwenden, dass die Schweiz mit der Neutralität wirtschaftlich gut gefahren ist und sie dieser ihren Wohlstand mitverdankt. Man wird geschichtsvergessen einwenden, dass die immerwährende und bewaffnete Neutralität zur Genetik der Schweiz, ihrer Identität und dem Sonderfall gehört. Man wird einwenden, dass mit ihrer Aufgabe der damit die guten Dienste nicht mehr möglich sind. Das trifft alles so nicht zu. Die Neutralität der Schweiz hat ihre historischen Gründe in der Schwäche der alten Eidgenossenschaft und in den Interessen Europäischer Mächte, die heute anders gelagert sind und keinen Puffer mehr in mitten der EU brauchen. Die Geschichte lehrt, dass sie die Selbstverteidigung nie zu garantieren vermochte. Und gute Dienste werden nachgesucht, wenn sie im Interesse der betreffenden Staaten liegen. Sie sind nicht an die Neutralität gebunden. Vergleichbare Staaten wie Norwegen beweisen, dass eine aktive Aussenpolitik auch im Rahmen der NATO Mitgliedschaft möglich ist, ja durch diese auch ein erhöhtes Gewicht erlangen kann. Übrig bleibt die Neutralität als Mentalität und Mythos und als ein eigennütziges Geschäftsmodell der exportabhängigen Schweiz, das heute moderner Staatsräson und den Landesinteressen widerspricht und zunehmend auch die Wirtschaft in Schwierigkeiten bringt.

Der Abschied von der Neutralität als eine heilige Kuh und Teil schweizerischer Tradition und Identität wird nicht einfach sein. Die Geschichte prägt die Mentalität und das öffentliche Bewusstsein, das wesentlich aus den Erfahrungen der Weltkriege und der Verschonung des Landes vor Zerstörung beruht. Dennoch ist ein Abschied aus den genannten Gründen notwendig um die künftige Existenz der Schweiz und ihre Stellung in der Welt zu sichern. Anders als in der Frage der Souveränität geht es nicht darum, die Neutralität neu zu definieren. Das ist erstens eine Frage der Ehrlichkeit. Kein Volk und kein Land kann über längere Zeit in den Aussenbeziehungen seine grundlegenden Werte verleugnen unter Hinweis auf die Neutralität. Kein Land kann mit einer fortgesetzten Lebenslüge überleben, die heutige Rahmenbedingungen verkennt. Kein Land kann so seine innere Würde und den Respekt in der Staatengemeinschaft wahren. Es ist zweitens eine Frage der Sicherheit. Kein Land kann heute seine Sicherheit und den Schutz der Demokratie im Alleingang gewährleisten. Die Neutralität der Schweiz steht dieser Einsicht diametral entgegen. Die Neutralität war zentral und wichtig im 19. Jahrhundert. Mit dem zweiten Weltkrieg hat sie ihre Legitimität, ihren Sinn und Zweck verloren.

Wir alle müssen uns dieser Auseinandersetzung stellen. Das Völkerrecht und die eigene Verfassung erlauben uns dies und stellen keine Hindernisse in den Weg. Verfassungsrechtlich wird die Neutralität in der Präambel der Bundesverfassung nicht erwähnt. Sie gehört nicht zum Zweckartikel der Eidgenossenschaft in Art. 2 BV. Ebenso wenig wird sie in den Zielen der Aussenpolitik in Art. 54 BV aufgeführt. Ihre Erwähnung in Art. 173 Abs. 1 BV erfolgt im Rahmen der Befugnisse der Bundesversammlung. Das gleiche gilt in Art. 185 Abs. 1 BV für den Bundesrat. Die Neutralität ist verfassungsrechtlich lediglich ein Mittel, um die vorgenannten Ziele der Verfassung sicherzustellen: Den Schutz der Freiheit, die Rechte des Volkes, die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes, seine Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung und den inneren Zusammenhang und die kulturelle Vielfalt. Daran ist sie zu messen. Neutralität ist Mittel zum Zweck, und wo das Mittel dem Staatszweck nicht mehr dienen kann, verliert es seine Bedeutung auch in den genannten Kompetenzbestimmungen. Bedarf die Wahrung der Demokratie, der Unabhängigkeit und Freiheit einer kollektiven Sicherung und Verteidigung in einer bipolaren Welt, muss die Neutralität zurückstehen und einem neuen Ansatz weichen, der das Überleben des Landes und seiner Werte unter veränderten Verhältnissen abzusichern vermag. Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

* Prof. Dr. iur. Dr h.c. mult., emeritierter Ordinarius für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern; Präsident der Vereinigung La Suisse en Europe. Ich danke Christian Etter, Jean-Daniel Gerber, André Holenstein, Philippe Nell und Daniel Woker bestens die Durchsicht des Textes. Der Beitrag gibt ausschliesslich die persönliche Auffassung des Autors wieder.

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Philippe G. Nell: „Relations avec l’UE : un présent marqué par le passé. Une référence de choix : Documents diplomatiques suisses 1991“

Philippe G. Nell*, Ambassadeur honoraire, Membre du Comité de l’Association la Suisse en Europe et du Conseil de la Fondation Jean Monnet pour l’Europe

Le centre de recherche Documents diplomatiques suisses (Dodis) a publié au début de l’année un ouvrage intitulé « Diplomatische Dokumente der Schweiz Documents diplomatiques suisses  Documenti diplomatici svizzeri » comprenant 62 documents émanant de divers organes de la Confédération couvrant l’année 1991, la période de protection légale de 30 ans ayant expiré. Cet ouvrage est accessible gratuitement par voie électronique ainsi que tous les documents qui y sont publiés et référenciés dans de nombreuses notes de bas de page (DDS 1991 | Dodis).

Parmi les documents publiés, 15 portent sur les négociations de l’Espace économique européen. Chacun d’entre eux dispose d’un bref résumé et de notes de bas de page renvoyant à d’autres documents, portant le nombre total de documents cités et directement accessibles sous forme de PDF à plus de 300. Le soussigné les a classés chronologiquement avec leur cote de référence et une brève mention de leur contenu. Des séries de documents spécifiques ont aussi été classés sous des thèmes clés dont « adhésion à la CE » et « libre circulation des personnes ».

Les 15 documents publiés dans les Documents diplomatiques suisses de 1991 concernant les négociations sur l’Espace économique européen sont les suivants :

  • Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats zu den Verhandlungen über ein Verkehrsabkommen mit der EG, 25.03.1991.
  • Le Président de la Confédération F. Cotti au chef du DFEP, le Conseiller fédéral J.-P. Delamuraz sur les négociations EEE (Dans une lettre adressée à M. J.-P. Delamuraz, F. Cotti partage ses doutes sur le processus, les négociations sont vécues comme une suite d’humiliations ; il pose la question d’abandonner l’EEE et d’adhérer directement à la CE), 28.03.1991.
  • Discussion du Conseil fédéral sur les négociations sur l’EEE. (Le Conseil fédéral est sceptique s’agissant des chances de succès lors d’une votation populaire), 22.04.1991.
  • Gespräche des Vorstehers des EDA, Bundesrat R. Felber, mit dem deutschen Aussenminister Genscher in Bern (La République fédérale allemande est intéressée à un rapprochement de la Suisse vers la CE), 06.05.1991.
  • Discussion du Conseil fédéral sur l’intégration européenne (Malgré la dernière proposition inacceptable de la CE, la Suisse doit poursuivre les négociations ; le Conseil fédéral n’est pas uni sur la portée à donner au traité), 14.05.1991.
  • Entretiens du Président de la Confédération F. Cotti et du Conseiller fédéral J.-P. Delamuraz avec le Président français F. Mitterrand à Lugano (La France maintien une position ferme face aux hésitations suisses dans le dossier de l’EEE), 10.06.1991.
  • Gespräch von EVD-Staatssekretär F. Blankart mit dem Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EG, H. Krenzler, in Paris (Die Schweiz verfüge «across the board» über ein Modernitätsdefizit von 30 Jahren. Ein Beitritt der Schweiz könne nur mit dem Zwischenschritt via EWR vollzogen werden), 26.06.1991.
  • Argumentarium der Arbeitsgruppe Eurovision des EDA für einen EG-Beitritt der Schweiz (Katalog von Argumenten für einen EG-Beitritt und wie mögliche Gegenargumente entkräftet werden können), 31.07.1991.
  • Exposé liminaire du Chef du DFAE, le Conseiller fédéral R. Felber, à la Conférence des ambassadeurs, 20.08.1991.
  • Exposé du Directeur du 3ème Département de la BNS, le Directeur général Zwahlen à la séance du Comité de banque du 23 août 1991 à Zurich sur la Situation économique et monétaire.
  • Note de discussion du DFEP et du DFAE au Conseil fédéral sur la question d’une adhésion de la Suisse à la CE (Argumentation en faveur d’une adhésion rapide pour participer aux transformations prévues par la CE), 18.09.1991.
  • Sitzung des Interdepartementalen Ausschusses für die europäische Integration über den EWR-Vertrag (Der Bundesrat muss einen Grundsatzentscheid über den EWR und einen EG-Beitritt treffen), 30.09.1991.
  • Ausserordentliche Sitzung des Bundesrats zum EWR-Vertrag und zum Beitritt der Schweiz zur EG (Trotz seinen Schwächen wird der EWR als wichtige Etappe einer Schrittweise Annäherung der EG eingeschätzt), 19.10.1991.
  • Séance de la Commission des transports et du trafic du Conseil des Etats sur l’Accord de transit avec la CEE (Présentation des principaux points de l’Accord par le Conseiller fédéral A. Ogi), 04.11.1991.
  • Séance de la Commission des affaires étrangères du Conseil des Etats sur le résultat de l’EEE (L’acceptation de l’Accord sur l’EEE et l’objectif d’adhésion à la CE sont salués), 27.11.1991.

L’année 1991 a été marquée par la conclusion des négociations sur l’EEE au niveau politique le 22 octobre à Luxembourg et la décision du Conseil fédéral de fixer l’adhésion à la CE comme objectif de sa politique d’intégration. Depuis que l’administration suisse reconnut l’impossibilité d’obtenir un régime de codécision équilibré en février 1991, l’option de l’adhésion ne cessa de gagner en importance. Elle seule aurait permis de participer pleinement aux décisions conduisant à de nouvelles règles pour le marché intérieur.

Les documents diplomatiques désormais disponibles méritent une lecture attentive car ils concernent les trois options stratégiques auxquelles la Suisse et actuellement confrontée : a) le renforcement des relations institutionnelles avec l’Union européenne selon un modèle s’apparentant à celui de l’Accord sur l’Espace économique européen ; b) une adhésion de la Suisse à l’Union européenne ; c) l’érosion de la voie bilatérale.

Les débats au sein de l’administration suisse en 1991 avec leurs doutes, leurs inquiétudes et leurs critiques sur le régime de l’EEE sont très utiles afin de mieux comprendre la situation actuelle de la politique d’intégration de la Suisse et ses contraintes.

Au cours des 30 dernières années, la Suisse a bien progressé avec l’UE par le biais des accords bilatéraux I et II, même si près de 10 ans se sont écoulés entre le lancement du processus des bilatérales I et leur entrée en vigueur.

La difficulté pour la Suisse de franchir le palier supérieur d’un encadrement institutionnel rigoureux des accords bilatéraux liés au marché intérieur de l’UE a de profondes racines. Celles-ci peuvent être mieux perçues en parcourant les procès-verbaux des séances du Conseil fédéral et les documents internes de l’administration.

* Philippe G. Nell a assumé la fonction de secrétaire du Groupe de direction des négociations sur l’EEE pour la délégation suisse participant aux négociations au niveau des chefs négociateurs et des ministres. Il a notamment publié un ouvrage sur le déroulement des négociations vu de l’intérieur : Suisse-Communauté Européenne. Au cœur des négociations sur l’Espace économique, Economica (Paris) et Fondation Jean Monnet pour l’Europe (Lausanne), 2012 (422 p.).