COVID-19: Notwendige Überprüfung der Grenzkontrollen
22.04.2020
Die vom Bundesrat eingeführten strengen Grenzkontrollen setzen den freien Personenverkehr sowie das Schengener Abkommen faktisch ausser Kraft. Grenzübertritte sind, soweit überhaupt erlaubt, mit zeitraubenden Kontrollen verbunden und auf das Notwendigste beschränkt. Alltägliche Verrichtungen im Grenzraum werden erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Familien werden getrennt. Systemrelevante GrenzgängerInnen haben trotz Vorzugsbehandlung längere Arbeitswege und damit weniger Erholungszeit vom Spitaldienst. Der Landwirtschaft fehlen die ErntehelferInnen. Es können keine neuen Fachkräfte aus den Mitgliedstaaten rekrutiert werden. Die Kontrollen im Warenverkehr verzögern die Versorgung und gefährden Lieferketten. Diese Massnahmen waren anfänglich angesichts einer unklaren Bedrohungslage verständlich, müssen aber heute dringlich überprüft und angepasst werden.
Der Bundesrat beruft sich in der COVID-19 Verordnung auf die Ausnahmen des Freizügigkeitsabkommens und den Schengener Kodex von 2016, der auch für die Schweiz in Kraft ist. Ausnahmen im Freizügigkeitsabkommen sind nach konstanter Rechtsprechung auf Einzelpersonen beschränkt und können nicht auf ganze Personengruppen Anwendung finden. Der Schengener Kodex begrenzt solche Massnahmen im Ausnahmezustand auf maximal 6 Monate, unterstellt sich aber einer periodischen Überprüfung. Weder die WHO noch die EU Kommission haben solche Grenzmassnahmen empfohlen. Sie tragen gemäss Studien nur wenig gegen die Ausbreitung des Virus bei, das keine Grenzen respektiert. Sie verletzten aber staatsvertragliche Verpflichtungen und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Dass auch die Mitgliedstaaten im Grenzraum mit Abschottungen und Verletzungen des EU-Rechts operieren, ist für die Zukunft nicht massgebend und weiterführend. Mit der allgemeinen Einführung von Beschränkungen der Bewegungsfreiheit im Inneren sind Grenzmassnahmen in diesem Ausmass nicht mehr erforderlich und sinnvoll.
Es ist an der Zeit, dass die Frage auf europäischer Ebene aufgenommen und besser koordiniert wird. Es ist zu hoffen, dass die EU-Kommission hier für die Zukunft aktiv wird und gemeinsame Lösungen und Verhaltensregeln entwickelt. Die Schweiz kann und soll sich hier im Interesse ihrer Grenzgebiete und der gesamten Wirtschaft einbringen. Warum etwa kann die Einreise nicht einfach vom Nachweis eines aktuellen Negativ-Tests abhängig gemacht werden? Wegleitend ist sodann, die Bekämpfung der Pandemie in grenzüberschreitenden Regionen anzugehen, Ressourcen zu poolen und sich gegenseitig über die Grenze in Solidarität zu unterstützen. Die heutigen Grenzkontrollen tragen dazu nicht bei. Im Gegenteil.
Thomas Cottier
Präsident ASE