Auf in die Koalition der Willigen! von Daniel Woker

Angesichts von Putin und Trump ist eine Änderung unserer Aussenpolitik geboten. Allein im Einklang mit Europa kann sich die Schweiz behaupten.

Anstatt im Zollstreit mit den USA allein auf eine Sonderbehandlung durch Washington zu setzen, sollte die Schweiz eine selbstbewusste Politik betreiben, auch auf der Basis von eigener Macht. Denn allein dies und nicht vorauseilender Gehorsam ist es, was US-Präsident Donald Trump respektiert.

Genug Macht, um dem amerikanischen Frontalangriff gegen die bisherige westliche Ordnung zu begegnen, hat aber allein Europa als Ganzes. Die EU macht das richtig, sie verhandelt mit Trump über Zölle, ohne zu verhehlen, dass sie auch anders kann, beispielsweise mit Massnahmen gegen US-Dienstleistungsexporte. Die europäischen Nato-Staaten machen das richtig, indem sie bereit sind, Russland mit eigenen Mitteln und ohne aktive Teilnahme der USA die Stirn zu bieten.

Der grösste Feind von Politik und Wirtschaft ist Verunsicherung. Angesichts der globalen Unordnung ist momentan unklar, wie die Schweiz sich besser schützen kann. Und Schweizer Wirtschaftsakteure wissen nicht mehr, wie und wo sie zukünftig investieren und produzieren sollen.

Vorreiterrolle einnehmen

Die Diskussion über die schweizerische Teilnahme im EU-Binnenmarkt hat sich bislang in endlosen Kleinigkeiten verheddert. Einzelne Nato-Staaten haben wir durch Vorbehalte zur Verwendung von schweizerischem Kriegsmaterial gegen den russischen Angriff auf die Ukraine verärgert. Die vom Ständerat kürzlich verabschiedete Liberalisierung von Kriegsmaterialexporten ist ein erster, zaghafter Schritt, dem aber weitere folgen müssen, um im In- und Ausland sichtbar zu machen, dass die Schweiz zu Europa gehört. Und damit die europäischen Sorgen angesichts von Wladimir Putins Aggressionen – ganz zu schweigen von russischen Kriegsverbrechen – teilt und, wie die EU, dem trumpschen Handelskrieg nicht tatenlos zusehen will. Als Sitzstaat der Welthandelsorganisation WTO und traditioneller Champion des Freihandels muss die Schweiz da eine Vorreiterrolle einnehmen. Das mit der EU fertig ausgehandelte Verhandlungspaket der Bilateralen III liegt vor. Darüber kann – wenn wir das nur politisch wollen – möglichst rasch und noch vor den nächsten nationalen Wahlen abgestimmt werden. Ausser bei der nationalistischen Rechten herrscht Einigkeit, dass diese Vorlage dem Souverän mit guter Aussicht auf Annahme vorgelegt werden kann.

Gegen die Isolation

Die von Grossbritannien und Frankreich angestossene «Koalition der Willigen» ist eine von mehreren Anstrengungen der Länder Europas, einem Ausverkauf der Ukraine durch die USA Massnahmen entgegenzusetzen und auf mittlere Sicht eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik zu entwickeln. In dieser Koalition machen auch die Neutralen Österreich und Irland mit, ebenso die Nicht-EU-Mitglieder Grossbritannien, Norwegen und sogar Island. Mitmachen bedeutet nicht, direkt Waffen an die Ukraine zu liefern oder der Nato beizutreten. Es bedeutet aber, den Prozess eigenständiger europäischer Sicherheitspolitik zu billigen und dafür auch Leistungen zu erbringen, etwa finanzieller Art.

Die nationalistische Rechte, so die SVP und national-konservative Wirtschaftskreise, haben Volksinitiativen mit verschiedenen Etiketten lanciert, so etwa jene gegen die 10-Millionen-Schweiz und die Kompassinitiative. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie nicht nur jede Annäherung an die EU verhindern, sondern die Schweiz noch stärker von dieser isolieren würden. Eine frühzeitige Annahme der Bilateralen III würde als Signal und völkerrechtliche Verpflichtung diese Obstruktion gegenstandslos machen.

Gehören wir zu Europa? von Daniel Woker

«Wir gehören zu Europa», sagte Aussenminister Ignazio Cassis bei der Präsentation der Bilateralen III am 13. Juni 2025 in Bern. Wirklich? Jetzt sind mehr als Worte fällig.

Die Worte markig, die Richtung klar. Bei der Präsentation der Bilateralen III, dem umfangreichen Verhandlungspaket zwischen der Schweiz und der EU, nahm unser Aussenminister für einmal kein Blatt vor den Mund. Mehr als Worte sind aber notwendig, um im Innern der Schweiz und gegen aussen die europäische Zugehörigkeit der Schweiz unzweideutig erscheinen zu lassen. Und dies hier und heute, weil wir im Moment als europäische Aussenseiter dastehen.

Wirtschaftlicher Aussenseiter

Europa ist heute die EU. Nicht-EU Staaten am östlichen Rand Europas wollen beitreten, wenn sie von dieser akzeptiert werden. Querschläger mit autokratischer Tendenz innerhalb der EU, aktuell Ungarn und die Slowakei, werden einerseits durch innenpolitische Widersacher, andererseits durch Zwangsmittel der EU mittelfristig auf den demokratischen Pfad zurückgebracht. Das Brexit-UK unter Premierminister Keir Starmer strebt ein möglichst enges Nahverhältnis zur EU an. Die EWR-Länder, so insbesondere Norwegen, aber auch unser nächster Nachbar Liechtenstein, geniessen einen Sonderstatus in ihren Beziehungen zur EU.

Nur die Schweiz bleibt aussen vor und muss sich ihren Platz im europäischen Binnenmarkt immer wieder mit dem Flickwerk von bilateralen Lösungen erkämpfen. Im Moment sind dies die Bilateralen III. Sie sind die einzige Chance, unseren derzeitigen Wohlstand – Binnenmarkt, Personenfreizügigkeit, Forschungszusammenarbeit – zu erhalten.

Politischer Aussenseiter

Mit Blick auf die unmittelbare Bedrohung Europas durch Wladimir Putins Russland ist die schweizerische Armee aktuell nicht in der Lage, die Schweiz autonom zu verteidigen. Diese unbefriedigende Lage kann, neben angemessenen Erhöhungen des Armeebudgets, nur durch verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Nato verbessert werden. Ebenso mit dem sich angesichts der Präsidentschaft von Donald Trump beschleunigt entwickelnden sicherheitspolitischen Arm der EU, der PESCO (Permanent Structured Cooperation). Dass da die Schweiz im Rahmen des Projektes Military Mobility (also Infrastruktur, die im Kriegsfall grenzüberschreitende Bewegung erlaubt) mittut, ist erfreulich, allerdings nur als erster zaghafter Schritt zur Vertiefung der Zusammenarbeit zu werten.

Konkrete Möglichkeiten zur umfassenden sicherheitspolitischen Anbindung der Schweiz bestehen. Eine davon ist die «Koalition der Willigen», der neben den EU-Ländern auch und gerade die EU-Nichtmitglieder Grossbritannien, Norwegen und Island angehören. Sie wurde als Plattform aller europäischen Demokratien geschaffen, um den Beistand an die Ukraine zu koordinieren; ihre Bedeutung geht aber weit darüber hinaus. Die Teilnahme ist Symbol für die Erkenntnis, dass Europas Sicherheit durch Putin unmittelbar und durch die Geringschätzung von Europa durch die Trump-Regierung zumindest mittelfristig bedroht ist. Da hilft auch die traditionelle schweizerische Neutralität nicht weiter.

Und die Neutralität?

Die schweizerische Neutralität ist kein Staatsziel, sondern ein Mittel unter anderen, um das Ziel einer sicheren Schweiz zu erreichen. Bestimmend für die schweizerische Aussenpolitik ist unsere Verpflichtung zur Uno-Charta, die ein Gewaltverbot und die Bestrafung eines Aggressors vorsieht. Damit ist auch gesagt, dass es keine wirtschaftliche Neutralität geben kann. Das in der sogenannten «Neutralitätsinitiative» enthaltene Verbot von Sanktionen ist widersinnig, völkerrechtlich verboten und würde einen Aggressor belohnen.

Angesichts der Uno-Charta gelten die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bestimmungen der Haager Abkommen von 1907 als überholt. Sie werden international nicht mehr anerkannt. In der innerschweizerischen Diskussion ist umstritten, ob sie für die schweizerische Aussenpolitik überhaupt noch gültig sind; sicher nicht im Ukrainekrieg.

Brücke jetzt bauen

Wenn Aussenminister Cassis, und mit ihm der gesamte Bundesrat, wirklich die Zugehörigkeit der Schweiz zu Europa demonstrieren wollen, muss die Brücke der Bilateralen III jetzt nach Brüssel geschlagen werden und nicht erst 2028. Erst dann soll das Volk mit einfachem Mehr über die Bilateralen III entscheiden, entsprechend dem gewohnten Kriechgang der schweizerischen Entscheidungsfindung. Das ist zu langsam. Was kann bis dann in der Welt von Putin, Xi Jinping und Trump nicht alles passieren! Wir müssen uns daran gewöhnen, dass das Weltgeschehen keine Rücksicht nimmt auf helvetische Innenpolitik, hier insbesondere den Unwillen, vor den Parlamentswahlen 2027 über «Europa» auch nur ernsthaft zu diskutieren.

Rechtliche Gründe, sei es in der Bundesverfassung oder beim Vertragspartner EU, bestehen keine, welche eine Vorverschiebung der Abstimmung spätestens bis Anfang 2026 verunmöglichen würden. Wenn das Europäische Parlament, auf Antrag der EU-Kommission voraussichtlich im Frühling 2026 über die Bilateralen III entscheiden wird, so wäre eine volle schweizerische Zustimmung vor diesem Datum ein wichtiger Fingerzeig, dass es die Schweiz diesmal ernst meint in ihrer Partnerschaft mit der EU.

Lehren aus den Verhandlungen Schweiz-EU von Philippe G. Nell

ASE-Vizepräsident Philippe G. Nell untersucht in seinem neuen Buch «Négociations Suisse-Union Européenne: regard critique sur deux grands échecs et nouveaux espoirs» drei wichtige Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU. Zwei dieser Verhandlungen scheiterten, die letzte gibt Anlass zu Hoffnungen. Im Folgenden fasst der Autor das Buch kurz zusammen.

Die im Herzen Europas gelegene Schweiz verfolgt seit Ende der 1950er-Jahre eine aktive Integrationspolitik. In den ersten Phasen war sie sehr erfolgreich, konnte jedoch mit der plötzlichen Beschleunigung nicht Schritt halten, die Ende der 1990er-Jahre durch die Verwirklichung des Binnenmarktes der Europäischen Union (EU) und den Zusammenbruch des Ostblocks ausgelöst wurde. Warum eigentlich?

Wären das Scheitern des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) 1992 und das Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU im Jahr 2021 vermeidbar gewesen? Welche Rolle spielte der Antrag auf einen EU-Beitritt? Welche Faktoren waren ausschlaggebend? Wer waren die wichtigsten Akteure und aus welchen Gründen? Wie stehen die Aussichten für die Ratifizierung der 2025 abgeschlossenen Abkommen (Bilaterale III) zur Stabilisierung und zum Ausbau der Beziehungen zur EU?

Der Autor vergleicht die Situation des EWR und des institutionellen Rahmenabkommens. Er hebt insbesondere die Fragen der 2025 abgeschlossenen Abkommen zur Stabilisierung und zum Ausbau der Beziehungen zur EU, die institutionellen Fragen, die Ausnahmen von den EU-Regeln und die Rolle der Souveränisten bei der Entstehung einer wachsenden Kluft zur EU hervor. Die Partikularinteressen der Gewerkschaften zeigen auch die Rolle der Machtelite und ihren enormen Einfluss auf das Parlament und die Wirtschaftsverbände. All dies führte 2021 zum Scheitern des institutionellen Rahmenabkommens.

Doch zur allgemeinen Überraschung kam Bundesrat Ignazio Cassis mit einer neuen Strategie zurück, welche die EU überzeugte und kurz vor Weihnachten 2024 von Erfolg gekrönt war. Ein Geniestreich, der diesmal massive Unterstützung aus Wirtschaftskreisen erhielt, die sich in einem Machtkampf mit den Gewerkschaften befanden.

Für die Schweiz eröffnen sich neue Perspektiven. Die Verhandlungsergebnisse der Bilateralen III sind für sie weitgehend günstig. Sie hat fast alle ihre Ziele und dabei wesentliche Verbesserungen gegenüber dem institutionellen Rahmenabkommen erreicht. Im Anschluss daran einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber am 21. März 2025 auf einen Kompromiss über interne Massnahmen zur Sicherung der Löhne und erfüllten damit eine wesentliche Voraussetzung für die Annahme des Abkommenpakets.

Angesichts eines von allen Seiten unter Druck stehenden Europas hat die EU die Vorteile erkannt, einen in jeder Hinsicht so wichtigen Partner in ihrem Lager zu verankern. Sie hat es verstanden, dort, wo es für den Erfolg notwendig war, über ihre sakrosankte rechtliche Homogenität hinwegzusehen.

Unsere Zukunft liegt eindeutig in Europa. Das Buch richtet sich an alle Bürgerinnen und Bürger und enthält abschliessend dreissig gut illustrierte Verhandlungslektionen, die sich sowohl an Regierungsvertreter als auch an die Wirtschaft richten. Es soll dazu beitragen, die Annahme des Abkommenpakets Bilaterale III durch das Parlament und anschliessend der Bevölkerung in einem Referendum vorzubereiten. Die Integration in die EU hat eine lange Geschichte; sie kann nicht aufhören und muss fortgesetzt werden. Ein Blick auf zwei Misserfolge soll helfen, einen dritten zu vermeiden, der eine gewaltigen Kluft zu Europa öffnen würde.

Über den Autor

Philippe G. Nell ist Absolvent der Universitäten Freiburg (Lizentiat in Wirtschaftswissenschaften), Carleton in Ottawa (Master in Internationalen Beziehungen) und Denver (Master und Ph.D. in Internationalen Studien). Er ist heute Privatdozent an der Universität Freiburg. Seit seinem Eintritt in den Dienst der Eidgenossenschaft im Jahr 1985 hat er seine Karriere der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik gewidmet und war direkt an den Verhandlungen über den Europäischen Wirtschaftsraum und die engmaschige Begleitung der darauffolgenden Schritte beteiligt. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen in diesem Bereich, die er 23 Jahre lang an der Universität Basel weitergab und derzeit jedes Jahr an den Universitäten Freiburg und Lausanne als Gastdozent weitergibt. Er ist Ehrenbotschafter und Vizepräsident der Vereinigung «La Suisse en Europe/Die Schweiz in Europa» (ASE).

Philippe G. Nell: Négociations Suisse-Union Européenne: regard critique sur deux grands échecs et nouveaux espoirs. Éditions Slatkine, Genève 2025.