Bundesrat Beat Jans

Bilaterale III: Sommerlicher Sturm im Wasserglas von Martin Gollmer

Justizminister Beat Jans und Altbundesrat Ueli Maurer vertreten in der NZZ unterschiedliche Meinungen zu den Bilateralen III. Die Journalisten freuts. Sie greifen die Kontroverse zwischen den beiden Politgrössen angesichts des Sommerlochs in Bundesbern noch so gerne auf.

 

Scheinbar Unerhörtes ist geschehen in der schweizerischen Europapolitik: Ein Mitglied der Landesregierung, nämlich Bundesrat Beat Jans (SP), hat in einem Gastkommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ; 23. Juli 2024) eine Lanze gebrochen für das neue bilaterale Vertragspaket, über das Bern und Brüssel gegenwärtig verhandeln. «Warum wir die Bilateralen III brauchen», heisst der Titel des bundesrätlichen Meinungsartikels. Darin stellt Jans allerlei «falsche Behauptungen» richtig, die in den Medien und in der weiteren Öffentlichkeit kursieren – etwa zur Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Streitbeilegung, in der dynamischen Rechtsübernahme und in der Zuwanderung.

Jans’ Ausführungen gipfelten in der Aussage, dass man in einer vernetzten und komplizierten Welt die Souveränität stärke, wenn man die Beziehungen zu wichtigen Partnern kläre, verstetige und verbessere. Das gelte ganz besonders für ein kleines Land wie die Schweiz. «Wir bleiben (beziehungsweise werden) souveräner – also handlungsfähiger –, wenn wir unsere Beziehungen mit dem grossen Nachbarn regeln.»

 

«Sämtliche Alarmglocken läuten»

 

Das rief Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP) mit einer Replik unter dem Titel «Berns EU-Kurs muss gestoppt werden» auf den Plan. Jans’ Meinungsbeitrag lasse «sämtliche Alarmglocken läuten», schrieb er ebenfalls in der NZZ (26. Juli 2024). Der Bundesrat sei nämlich in den laufenden Verhandlungen mit der EU-Kommission drauf und dran, die im Jahr 2021 im geplatzten institutionellen Rahmenabkommen bestrittenen Forderungen der Europäischen Union zu übernehmen. «Jetzt scheint der Wind zu kehren», vermutet Maurer.

Als «schon fast eine bösartige Verzerrung der Fakten» bezeichnet Maurer Jans’ Aussage, mit den Bilateralen III werde die helvetische Souveränität gestärkt. «Wie soll die Souveränität, die Selbstbestimmung der Schweizerinnen und Schweizer, gestärkt werden, wenn Entscheidungen statt bei uns in Brüssel gefällt werden?», fragte der pensionierte SVP-Magistrat provokativ.

Maurer stiess sich in seiner Replik auch daran, dass Jans in seinem Meinungsbeitrag das Wort «Bilaterale III» im Titel verwendete. «Offensichtlich bemüht der Justizminister einen positiv besetzten Begriff, um dem ungeliebten Vertragspaket Akzeptanz zu verschaffen», mutmasste Maurer.

 

«Gut eidgenössischer Zoff»

 

Ein Teil der Medien nahm angesichts des politischen Sommerlochs in Bern die Kontroverse zwischen Jans und Maurer dankbar auf. «EU-Frage sorgt für gut eidgenössischen Zoff», titelte etwa der «Blick» (27. Juli 2024). «Es ist verhandlungstaktisch höchst ungeschickt, wenn Beat Jans als nicht dossierzuständiger Vertreter der Landesregierung der Gegenseite noch vor Verhandlungsabschluss und Positionsbezug des Gesamtbundesrats signalisiert, dass die Schweiz quasi jedes Resultat brauche und folglich akzeptieren würde», zitiert die Boulevardzeitung in ihrem Artikel FDP-Präsident Thierry Burkart.

Aber auch Maurer kriegt sein Fett weg. Burkart ärgert sich im «Blick», dass ein ehemaliger Bundesrat sich in die Diskussion einmischt und einem aktiven Bundesrat öffentlich widerspricht. Beide, Jans und Maurer, würden reine Parteipolitik machen und hätten «ihre Rolle als Bundesrat und als ehemaliger Bundesrat offenbar noch nicht gefunden», meint Burkart. Sie würden «nicht magistral» agieren.

Der «Blick» lässt auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zu Wort kommen. Sie glaubt nicht, dass der öffentliche Positionsbezug von Jans den Verhandlungen schadet. Dieser widerspiegle nur den Stand der Dinge, wie er nach dem Ende der Sondierungsgespräche zwischen Bern und Brüssel im sogenannten Common Understanding festgehalten worden sei. «Es ist wichtig, dass wir schon jetzt eine breite Debatte zu diesem Thema führen, nicht erst, wenn das Abkommen ins Parlament kommt», urteilt Schneider-Schneiter. Angesichts der Negativkampagne der SVP und weiteren nationalkonservativen Kreisen sei es «notwendig, dass auch gewichtige Befürworter sich zu Wort melden».

 

Warum Jans und nicht Cassis?

 

Die rechtsliberale Elitezeitung NZZ liess es nicht bei den Gastkommentaren von Jans und Maurer bewenden. Sie zog mit einem Artikel mit dem Untertitel «Der Altbundesrat greift den Justizminister wegen dessen Aussagen zur Europapolitik frontal an» nach (27. Juli 2024). Darin resümiert sie nochmals die Positionen der beiden Politiker. Und sie schreibt, hinter dem öffentlich ausgetragenen Krach stecke mehr als das berüchtigte Temperament des ehemaligen SVP-Präsidenten. Denn die Aussagen von Jans seien nicht nur Maurer in den falschen Hals geraten. Auch in anderen EU-kritischen Kreisen würden sie hitzig diskutiert. So habe etwa der Transportunternehmer Hans-Jörg Bertschi von der Vereinigung Autonomiesuisse Jans’ Ausführungen zum EuGH als «Fake News» bezeichnet. Die NZZ erwähnt auch noch die rechte Satirezeitschrift «Nebelspalter», die den Bundesrat zum «Löli des Tages» ernannt hat.

Die NZZ orakelt schliesslich darüber, warum Jans und nicht der dossierzuständige Ignazio Cassis (FDP) das Plädoyer für die Bilateralen III geschrieben hat. Mit diesem und der Bundeskanzlei sei der Text «offenbar abgesprochen» gewesen, meint die NZZ zu wissen. Vielleicht habe der seit Monaten schweigende Aussenminister seinen Kollegen sogar ermuntert den Artikel zu schreiben und dabei den Begriff «Bilaterale III» einzuführen. Cassis habe sich bisher nicht getraut, das zu tun, weil die EU die Bezeichnung nicht gern höre. Cassis bildet zusammen mit Jans sowie dem Wirtschafts- und Forschungsminister Guy Parmelin (SVP) den Europaausschuss des Bundesrats.

 

Wozu all die Aufregung?

 

Die Aufregung über den Meinungsbeitrag von Jans überrascht. Der Justizminister hat nichts anderes getan als für ein geplantes Vertragspaket mit der Europäischen Union einzustehen, das die Landesregierung in ihrer Mehrheit will. Sonst würde sie nicht mit der EU-Kommission darüber verhandeln. Ebenso unverständlich ist das Aufheben über die Kontroverse zwischen Jans und Maurer. Dass Verfechter unterschiedlicher Standpunkte ihre Meinung öffentlich in den Medien kundtun, gehört zum Wesen der Demokratie. So gesehen haben Jans und Mauerer wohl nur einen sommerlichen Sturm im Wasserglas verursacht.

Dies gesagt, ist es von bleibendem Wert weit über den Sommer hinaus, dass Jans als Bundesrat Leadership im besten Sinn zeigt und dabei all den Zögernden im Lande sachlich die Argumente für die Notwendigkeit der Bilateralen III darlegt. Dass dies als Fake-News bezeichnet und mit Blick auf den 1. August postwendend als Angriff auf die Vorherrschaft der SVP in der Europafrage abgetan wird, belegt das heute tiefe Niveau der schweizerischer Debattenkultur. Ohne sich mit den Argumenten von Jans eingehend auseinanderzusetzen, ohne neue Argumente vorzutragen, geht man entweder zum Zweihänder über oder hält sich gut eidgenössisch bedeckt. Der differenzierte Artikel von Jans ist deshalb ein höchst willkommener Beitrag zur Debatte über die Bilateralen III. Erstmals hat sich damit seit 2021 ein Bundesrat öffentlich für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der EU eingesetzt und sein Engagement für das angestrebte bilaterale Vertragspaket offengelegt.

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