EU-Sanktionen ignoriert – die Schweiz schadet sich selbst von Daniel Woker

Die Nichtteilnahme der Schweiz an Sanktionen der EU gegen Personen und Unternehmen aus Unrechtsstaaten wie China, Russland und Nordkorea ist ethisch inakzeptabel, wirtschaftspolitisch höchstens kurzfristig nützlich, sicherheits- und europapolitisch falsch und für das internationale Ansehen der Schweiz verheerend.  

Dank unabhängigen schweizerischen Medien wie der Neuen Zürcher Zeitung und dem Tages-Anzeiger ist ein veritabler Skandal aufgedeckt worden: Laut offiziell bestätigten Berichten hat der Bundesrat bereits vor rund zehn Monaten und ohne Orientierung der Öffentlichkeit beschlossen, eine rund 1000-seitige Liste der EU mit Hunderten von überführten Straftätern aus Unrechtsstaaten zu ignorieren. Diese haben sich gravierender Verbrechen im Bereich der Menschenrechte, des Terrorismus, der chemischen Kampfstoffe und der Cyberkriminalität schuldig gemacht.

Ein Beispiel daraus sind Chinesen, die individuell für genozid-ähnliche – dieser Wortlaut stammt aus einem Bericht der UNO-Menschenrechtskommission, der die Schweiz angehört – Straftaten gegen ihre uigurische Minderheit verantwortlich sind. Sie werden dafür von den EU-Staaten mit Sanktionen belegt. Der Entscheid des Bundesrates, hier nicht mitzutun, ist offensichtlich ethisch inakzeptabel, was keiner weiteren Erklärung bedarf, aber auch kurzsichtig, weil er für die Schweiz nur Nachteile bringt.

Aus Rücksicht auf Wirtschaft und Neutralität

Wirtschaftsinteressen und Neutralität werden von den zuständigen Bundesbehörden angegeben, um den Entscheid zu rechtfertigen. Jedoch ist die schweizerische Neutralität völkerrechtlich überholt, findet im westlichen Ausland keine Anerkennung mehr und existiert nur noch als helvetische Trutzburg. Eine wichtige Rolle bei diesem Entscheid haben offensichtlich Interventionen der chinesischen Regierung gespielt, die Konsequenzen für die schweizerische Wirtschaft androhen. Soweit sind wir also: Wilhelm Tell’s Söhne kuschen vor dem Drachen aus Peking.

Dies ist nicht nur beschämend, sondern mittel- und längerfristig auch nutzlos. Denn die schweizerische Wirtschaft ist so eng mit den westlichen Partnerländern verflochten, dass in Deutschland oder den USA verhängte Sanktionen auch von schweizerischen Unternehmen vollzogen werden müssen – sei es als Tochter oder als Besitzer der betroffenen Firmen in Industrie und Dienstleistung oder auch nur wegen Abwicklung eines Geschäftes in Dollar. Soviel sollte man eigentlich aus den zahlreichen Affären etwa in der helvetischen Finanzwirtschaft gelernt haben.

Das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China (FTA) – das bei Teilnahme Berns an den Sanktionen allenfalls von Beijing in Frage gestellt werden könnte – bietet  höchstens temporäre Vorteile. Falls die EU ihrerseits mit China ein FTA oder ähnlich abschliesst, ist das schweizerische Pendant überholt. Falls dies nicht eintreffen sollte, wird Brüssel kaum zusehen, wie aus der Schweiz heraus operierende Wirtschaftsakteure gegenüber EU-Mitgliedern dauerhaft bevorteilt würden.

Kontraproduktiv für Sicherheits- und Europapolitik

Ausser bei der SVP und bei auf dem anderen politischen Flügel naiven Pazifisten hat in der schweizerischen Politik mit dem Ukrainekrieg ein sicherheitspolitisches Umdenken eingesetzt: Eine engere militärische Zusammenarbeit mit NATO und auch EU wird im Rahmen erhöhter Leistungen für die Landesverteidigung für unverzichtbar angesehen. Die Schweiz ist hier weitgehend Bittsteller und auf das Wohlwollen westlicher Partnerländer angewiesen. Keine Sanktionen gegen bekannte Terroristen oder auch chinesische Übeltäter zu ergreifen, und damit den Bemühungen dieser beiden Organisationen in den Rücken zu fallen, widerspricht dem Ziel sicherheitspolitische Annäherung diametral. Es ist kein Zufall, dass die für den negativen Entscheid leitende Bundesstelle im vom SVP-Bundesrat Guy Parmelin geführten Volkswirtschaftsdepartement angesiedelt ist.

In jüngster Zeit sind sowohl von der EU-Kommission als auch vom EU-Parlament längst bekannte Signale an die um andauernden Zugang zum Binnenmarkt kämpfende Schweiz nachdrücklich wiederholt worden. So wird es keinen Weg geben um die grundsätzliche Akzeptanz herum von Eckpfeilern der europäischen Architektur wie etwa dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dies gilt ebenso für den von der EU angenommenen Grundsatz, dass das unter Xi Jinping zunehmend totalitäre China neben Handelspartner eben auch systemischer Rivale ist. Was bedeutet, dass gravierende Menschenrechtsverletzungen sanktioniert werden, ungeachtet und gleichlaufend mit Handelserleichterungen. In einem Moment, wo die bilateralen Beziehungen zwischen Bern und Brüssel ohnehin bis zum Zerreissen angespannt sind, erscheint das unnötige Ausscheren Berns aus der beschriebenen Sanktionsfront europapolitisch kontraproduktiv.

Das internationale Ansehen des Landes leidet

Von zentraler Bedeutung für uns ist das Ansehen der Schweiz im westlichen Ausland, beruhend auf der Überzeugung anderer, dass Helvetien demselben Wertekanon verpflichtet ist. Und nicht wie wir in Moskau, Peking, Teheran und anderen Hauptstädten gesehen werden, wo ohnehin Macht vor Recht gilt und damit auch nur Ersteres im bilateralen Verhältnis zählt. Die vage Vorstellung, die Schweiz könne als weisser Vermittlungsritter in und aus Europa im globalen Strategieumfeld eine Rolle spielen, ist illusorisch. Unser Land wird vielmehr allseits immer stärker als reiner Profiteur gesehen, der alle Vorteile des von der EU geschaffenen europäischen Umfeldes geniesst, ohne entsprechende Verpflichtungen zu übernehmen.

Wer etwas anderes behauptet, kennt unser gegenwärtiges internationales Umfeld nicht. Wie Ungarn, Polen unter nationalistischen Regierungen und allenfalls jetzt auch die Slowakei werden wir zunehmend als Bremsklotz auf dem Weg zu einer grösseren europäischen Autonomie gesehen. Ein entsprechendes Beispiel liefern kürzliche Gespräche mit offiziellen Stellen und der Zivilgesellschaft in den baltischen Staaten, die mir aus erster Hand zugekommen sind. Die zögernde und weitgehend kümmerliche Teilnahme der Schweiz an den Bemühungen zugunsten der Ukraine wurden als arttypisches Beispiel bezeichnet des nur auf Profit ausgerichteten Aussenseiters.

Noch vor 20 Jahren wurden wir in Brüssel als reicher, wenn auch bedächtiger Teilnehmer an der  europäischen Einigung von Allen mit Wohlwollen gesehen. Das dürfte sich spätestens seit dem Ukrainekrieg ins Gegenteil verkehrt haben: Wir sind jetzt ein im besten Fall lästiger Beifahrer, auf den letztlich auch verzichtet werden kann. Ausser bei verhockten Nationalisten und wolkigen Idealisten dürfte allen klar sein, was das für die Schweiz bedeutet.

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