Beitrag von ASE-Vorstandsmitglied Jean-Daniel Gerber “Das Europa Dossier unter Führung der Bundespräsidentin oder des -präsidenten”

Von Jean-Daniel Gerber, ehemaliger Staatssekretär für Wirtschaft

Der Bundesrat hat die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen. Es wird indes unvermeidlich sein, unsere Beziehungen in absehbarer Zeit in einer strukturierten und umfassenden Form festzulegen, denn die Interessen der Schweiz und der EU stimmen in vielerlei Hinsicht überein. In der Zwischenzeit steht der Bundesrat vor Herausforderungen: Er muss seine Glaubwürdigkeit gegenüber der Europäischen Kommission wieder herstellen, erläutern, wie er die Beziehungen zur EU ausbauen will, seine Absichten ankündigen, wie Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Bevölkerung vor Diskriminierung geschützt werden sollen und – vor allem – die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.

Diese sind zahlreich. Die ungeschickten, im Voraus vermittelten roten Linien: sie haben zu der Unnachgiebigkeit der Gewerkschaften geführt. Das Wecken falscher Erwartungen: die längere Zeit unwidersprochene Aussage vom 23. November 2018 von EU-Kommissar Hahn «die Verhandlungen sind abgeschlossen», und das Schreiben von Präsident Maurer vom Juni 2019, das den Entwurf des Abkommens insgesamt als positiv bewertet. Das lange Schweigen des Bundesrats, anstatt der Bevölkerung die Vorzüge des Abkommens zu erklären: die Kommunikation wurde weitgehend den Gegnern des Abkommens überlassen, und weitere Fehler.

Ein Problem ist jedoch in den unzähligen Kommentaren über das Scheitern des Rahmenabkommens unbemerkt geblieben: die Bearbeitung des Dossiers durch ein einziges Mitglied des Bundesrates. Bis 2012 zeichneten für das Integrationsdossier zwei Departemente verantwortlich, das Departement für Auswärtige Angelegenheiten und das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Damals wurden die Vorschläge zur Europa-Politik dem Bundesratsgremium gemeinsam von zwei Bundesräten vorgelegt. Mit der Auflösung des ehemaligen “Integrationsbüros” und der Zuweisung der Verantwortung an ein einziges Departement wurde das Dossier Europa politisch geschwächt. Seitdem kümmert sich nur eine Abteilung des EDA um Europa, das nota bene auf der gleichen hierarchischen Ebene wie die Abteilung Afrika oder Eurasien.

Diese Einreihung ist nicht sachgerecht, denn alle sieben Departemente befassen sich mit der Vielfalt der Beziehungen Schweiz-EU. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Verwaltung und Koordination auf hoher Ebene unter einheitlicher Führung eine Notwendigkeit sind. Mit dem neuen Vorschlag des Bundesrates, einen regelmässigen politischen Dialog mit der EU aufzunehmen, ist dies noch wichtiger geworden. Wer führt diesen Dialog? Wer setzt die Tagesordnung fest und wer definiert die zu verfolgenden Politik?

Aufgrund der überragenden Bedeutung der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU muss dieser Dialog auf der präsidialen Ebene der EU und der Eidgenossenschaft geführt werden. Daher sollte das Dossier Europa in die Zuständigkeit der Bundespräsidentin oder dem Bundespräsidenten fallen. Wegen des jährlichen Wechsels unserer Präsidentschaft könnte die Kontinuität der Bearbeitung des Dossiers beispielsweise durch ein neues „Staatssekretariat für europäische Angelegenheiten“ gewährleistet werden, das der jeweiligen Präsidentin oder dem Präsidenten untersteht, oder durch die direkte Beteiligung des Präsidiums an allen europapolitischen Vorschlägen, die vom EDA oder einem anderen Departement dem Bundesratskollegium zugeleitet werden. Die Aufgabe des Präsidiums wäre es, Impulse zu geben, die Koordination der europäischen Dossiers zwischen den verschiedenen Departementen sicherzustellen, die globale Kohärenz anzustreben und für eine zentrale Kommunikation besorgt zu sein. Die sieben Departemente würden ihre jeweiligen Zuständigkeiten behalten, aber die Vorschläge an den Bundesrat zu Europa Fragen sollten über das Präsidium gehen, das die Angelegenheiten dem Bundesratsgremium unterbreitet und in der Öffentlichkeit und gegenüber der EU vertritt. Dies würde dem Thema “Europa” die gebührende Bedeutung verleihen, die Verantwortlichkeiten klären und die strategische Führung des Dossiers stärken.

*Bei diesem Text handelt es sich um eine Übersetzung des französischen Artikels welcher am 04. Juni 2021 im Le Temps erschienen ist.

“Die Souveränität der Schweiz in Europa: Mythen, Realitäten und Wandel” von Thomas Cottier und André Hollenstein

Lettre ouverte de Maurice Wagner, membre de l’ASE, à l’intention des membres des gouvernements cantonaux: ” Il est temps de montrer courage, énergie et cohérence”

Der Bundesrat muss den Rahmenvertrag endlich unterschreiben und dem Parlament mit seinem Antrag weiterleiten. Als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben wir ein Recht darauf, dass er im Parlament debattiert wird und in der Folge dem einfachen Referendum unterstellt wird.

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Gastbeitrag von ASE-Mitglied Markus Mohler: “Rahmenabkommen: Es droht ein demokratiepolitischer GAU”

Sollte die EU nicht zu weiteren Verhandlungen bereit sein, droht Ungeheuerliches: Mit Blick auf das Treffen von Bundespräsident Parmelin mit EU-Kommissionspräsidentin van der Leyen wurde im Voraus von einem Scheitern geschrieben und geredet. Bestimmte Kreise fordern unumwunden den Abbruch der Verhandlungen. Was bedeutet das?

Thomas Cottier: “Rahmenabkommen: Der Bundesrat muss jetzt das Gesamtinteresse in den Vordergrund stellen”

Nach dem Treffen vom 23. April 2021 zwischen Bundespräsident Parmelin und EU-Kommissionschefin von der Leyen drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass die Mehrheit der Regierung in ihrer heutigen personellen Besetzung das Rahmenabkommen nicht will.
Doch damit verkennt der Bundesrat einen zentralen Punkt: Nur das Rahmenabkommen wird es der Schweiz ermöglichen weiterhin privilegierten à la carte Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu haben und ein Mitspracherecht bei der Ausgestaltung eben diesen hat. Die Gesamtinteressen der Schweiz müssen in den Vordergrund gestellt werden!

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Christian Etter: “10 Falschaussagen zum Rahmenabkommen und ihre Richtigstellung”

In einem kurzen Argumentarium befasst sich Christian Etter mit den 10 häufigsten Missverständnissen rund um das Rahmenabkommen.
Das Rahmenabkommen garantiert der Schweiz nämlich einen privilegierten und massgeschneiderten Zugang zu ausgewählten Sektoren den EU-Binnenmarkts und die Möglichkeit eines Opting-Outs zu fairen Bedingungen.

Das komplette Argumentarium, welches laufend aktualisiert wird, können Sie >hier lesen.

Thomas Cottier: “Rahmenabkommen: das Streitbeilegungsverfahren ist die Lösung”

Auf Druck von Parteien, Verbänden und Kantonen sucht der Bundesrat in Brüssel heute in Nachverhandlungen des Rahmenabkommens nach Lösungen. Seine Forderungen schliessen die Immunisierung zentraler Bereiche des Abkommens ein. Sie sind zum Scheitern verurteilt, da sie die Funktion des Rahmenabkommens und Kernanliegen der Union missachten.

Thomas Cottier : “Der Rechtsschutz im Rahmenabkommen Schweiz-EU: Kernstück des Abkommens und Instrument schrittweiser Rechtsentwicklung”

Das Rahmenabkommen bietet im Ergebnis eine differenzierte und für die Schweiz vorteilhafte Regelung der rechtlichen Streitbeilegung. Sie ist ein Meilenstein in den Beziehungen und gegenüber der heutigen Rechtslage ein wesentlicher Fortschritt. Sie schützt die Schweiz vor willkürlichen Sanktionen und erlaubt ihr, de facto ein Opting-out wo sie an ihrem eigenen Recht festhalten will, das einem Mitgliedstaat der Union nicht zusteht. Die EU ist der Schweiz hier stark entgegenkommen. Sie gewährt ihr einen massgeschneiderten Zugang zum Binnenmarkt à la Carte und nimmt Rücksicht auf die direkte Demokratie. Nirgends mehr kommt dies bei Licht besehen als im Streitbeilegungsverfahren des InstA zur Geltung.

Thomas Cottier: Die Zugeständnisse der Europäischen Union im Rahmenabkommen mit der Schweiz

Von Thomas Cottier*

Die Europäische Union kommt der Schweiz und ihren Besonderheiten im Rahmenabkommen vom 23. November 2018 in mancher Hinsicht entgegen. Das wird mit Blick auf die Rechtsstellung der Mitgliedstaaten deutlich. Die EU gewährt ihrer viertgrössten Handelspartnerin, die mehr als die meisten Mitgliedstaaten vom europäischen Binnenmarkt profitiert, eine Sonderbehandlung. Sie verzichtet darauf, die Schweiz vor die Wahl entweder-drinnen- oder-draussen zu stellen, oder auf einen Standard-Freihandelsvertrag mit Drittstaaten zu verpflichten. Sie hat das auf die direkte Demokratie zugeschnittene Baukastensystem der bilateralen Verträge anerkannt, obgleich die Schweiz deren Grundlage und Ziel eines künftigen EU Beitritts 2016 aufgegeben hat. Anders als die Mitgliedstaaten kann die Schweiz unter dem Rahmenabkommen weiterhin einzelne Verträge abschliessen, ohne an das Gesamtprojekt der Integration und selbst des Binnenmarktes gebunden zu sein.

Voller Zugang zum Binnenmarkt in Teilbereichen
Die Europäische Union gewährt der Schweiz mit dem Rahmenabkommen vom 23.11.2018 in fünf einzelnen Bereichen weiterhin den vollen Zugang zum Binnenmarkt: Die Personenfreizügigkeit für Schweizerbürger in den Mitgliedstaaten, im Bereich des Verkehrs zu Luft, auf Strasse und Schiene, im Handel mit landwirtschaftlichen Gütern, ohne aber Agrarfreihandel zu verlangen, und bei der gegenseitigen Beseitigung technischer Handelshemmnisse, was für KMUs in der Schweiz von zentraler Bedeutung ist. Sie verzichtet darauf, das Freihandelsabkommen von 1972 bereits heute einzuschliessen, obgleich dies die eigentliche Grundlage der Beziehungen bildet. Sie verzichtet darauf, den freien Dienstleistungsverkehr zu verlangen. Sie ist bereit, dass diese Fragen schrittweise angegangen werden. Im Vergleich zu den Mitgliedstaaten geniesst die Schweiz damit eine starke Rücksicht auf ihre tradierten und gewachsenen Wirtschaftsstrukturen und ihre politische Kultur.

Rücksicht auf Schweizer Anliegen
Die EU kommt der Schweiz in den einzelnen Bereichen entgegen. Sie anerkennt mit dem Rahmenabkommen die Existenz der Flankierenden Massnahmen im Bereich der Entsendung von ausländischen Arbeitnehmern und Dienstleistern (FLAM), die unter dem bestehenden Freizügigkeitsabkommen gerichtlich anfochten werden können und unsicher sind. Sie gewährt – anders als in den Mitgliedstaaten – der Schweiz die Möglichkeit der Voranmeldung solcher Arbeiten vier Tage vor der Einreise. Sie erlaubt – erneut über das EU Recht hinaus – die Möglichkeit, gegen säumige Unternehmer eine Kaution zu verlangen. Das geht zwar hinter die gegenwärtige Anmeldefrist von acht Tagen und eine allgemeine Kautionspflicht zurück, wird aber durch den Zugang zur Amts- und Rechtshilfe im Rahmen des europäischen Binnenmarkt Informationssystems IMI kompensiert. Die vertragliche Anerkennung der FLAM an sich ist aber das wichtigste Zugeständnis, das man hierzulande nicht zu schätzen weiss.
Die Union hat nicht darauf bestanden, dass die sog. Unionsbürgerrichtlinie explizit aufgenommen wird. Sie war bereit, diese Frage ausgesteuerter Personen einstweilen offen zu lassen und allenfalls einer Lösung im Rahmen Streitbeilegung anzugehen. Sie war bereit, mit den Neuverhandlungen zuzuwarten und damit auch mit dem Einbezug neuer Themen, insbesondere des Freihandels in der Landwirtschaft und die Abschaffung der Agrarzölle, die Liberalisierung der Dienstleistungen und neue Regeln über das Wettbewerbsrecht und von Investitionen. Diese Fragen können in der Folge schrittweise mit dem Modell der bilateralen Verträge angegangen werden. Bereits mit der Paraphierung des Rahmenabkommens ist die EU bereit, weitere Vertragsverhandlungen zu führen (Stichwort Forschung und Medizinaltechnik). Die Debatte im Parlament und eine Volksabstimmung muss nicht abgewartet werden.

Mitsprache
Die EU hat der Schweiz als Nichtmitgliedstaat Mitsprache in der Entwicklung des betreffenden EU-Rechts eingeräumt. Es ist klar, dass Mitbestimmung den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben muss. Aber auch mit Mitsprache können die Interessen der Schweiz wirksamer als heute wahrgenommen werden. Die Power of the Pen kommt auch so zum Tragen. Die Schweiz kann die im Schengener Abkommen gemachten Erfahren auf weitere Bereiche ausdehnen, neue Erfahrungen in der Zusammenarbeit sammeln und die Isolation auf operativer Ebene überwinden. Regelmässige Kontakte sind nicht nur mit der Bundesverwaltung und den Kantonsvertretungen vorgesehen, sondern auch zwischen der Bundesversammlung und dem Europäischen Parlament. Das Bundesgericht wird neu einen regelmässigen Austausch mit dem Europäischen Gerichtshof führen können.

Vorbehalt der Volksrechte
Die Übernahme von Anpassungen des EU Rechts im Rahmen der fünf Abkommen – und vorläufig nur hier – ist dynamisch, aber nicht automatisch. Die EU anerkennt die demokratischen Entscheidungsprozesse in der Schweiz und respektiert insbesondere die Pflicht, Gesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse in Umsetzung von Richtlinien dem Referendum zu unterstellen, wie das heute schon für Schengen zugesichert ist.

Kein Zwang zur Rechtsübernahme
Vor allem, und das steht über allem: Anders als ein Mitgliedstaat, kann die Schweiz nicht gezwungen werden, EU-Recht zu übernehmen. Der Vertrag respektiert die Souveränität des Landes. Ein Schiedsgericht und der Europäische Gerichtshof können eine Rechtsverletzung feststellen, aber nicht gegen den Willen der Schweiz durchsetzen. Die Innenpolitik der Schweiz hat das nicht verstanden, wenn sie rote Linien setzt und Nachverhandlungen verlangt. Vielmehr ist es so, dass dort, wo sie am eigenen Recht festhalten will – sei es im Lohnschutz, sei es im Armenrecht, sei es künftig bei den Subventionen – die Schweiz allenfalls bezahlbare Ausgleichmassnahmen gewärtigen muss, die aber wiederum der Prüfung der Verhältnismässigkeit durch ein Schiedsgericht unterworfen sind. Die EU verzichtet mit andern Worten auf politische Sanktionen. Die Schweiz kann unter dem Abkommen auch erstmals selbst gerichtlich gegen Vertragsverletzungen in der EU und den Mitgliedsstaaten vorgehen.

Das Rahmenabkommen ist so ein massgeschneidertes Abkommen für die Schweiz, das in gegenseitigem Respekt ausgehandelt wurde. Wer das verneint, verkennt wie stark die EU der Schweiz in diesen Verhandlungen mit Goodwill entgegengekommen ist. Wer das verneint, verkennt die Vorteile, welche es für unser Land mit sich bringen wird. Wer hier noch zusätzliche Konzessionen verlangt, verkennt, dass die schweizerischen Unterhändler geschickt und hart verhandelt haben.

* Emeritierter Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern; , Präsident der Vereinigung La Suisse en Europe.

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Offener Brief an den Bundesrat von ASE-Mitglied Maurice Wagner : Unterzeichnung des CH-EU-Rahmenabkommens

In einem offener Brief appelliert ASE-Mitglied Maurice Wagner an den Bundesrat, das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU zu unterschreiben, denn “in Ermangelung von Maßnahmen wird der Bundesrat für die Schwächung der Schweizer Universitäten und der Medizintechnik in der Schweiz verantwortlich sein.”

Den vollständigen Brief können Sie hier lesen.

Vous pouvez lire la lettre complète ici.