Thomas Cottier: “Rahmenabkommen: das Streitbeilegungsverfahren ist die Lösung”

Auf Druck von Parteien, Verbänden und Kantonen sucht der Bundesrat in Brüssel heute in Nachverhandlungen des Rahmenabkommens nach Lösungen. Seine Forderungen schliessen die Immunisierung zentraler Bereiche des Abkommens ein. Sie sind zum Scheitern verurteilt, da sie die Funktion des Rahmenabkommens und Kernanliegen der Union missachten.

Thomas Cottier : “Der Rechtsschutz im Rahmenabkommen Schweiz-EU: Kernstück des Abkommens und Instrument schrittweiser Rechtsentwicklung”

Das Rahmenabkommen bietet im Ergebnis eine differenzierte und für die Schweiz vorteilhafte Regelung der rechtlichen Streitbeilegung. Sie ist ein Meilenstein in den Beziehungen und gegenüber der heutigen Rechtslage ein wesentlicher Fortschritt. Sie schützt die Schweiz vor willkürlichen Sanktionen und erlaubt ihr, de facto ein Opting-out wo sie an ihrem eigenen Recht festhalten will, das einem Mitgliedstaat der Union nicht zusteht. Die EU ist der Schweiz hier stark entgegenkommen. Sie gewährt ihr einen massgeschneiderten Zugang zum Binnenmarkt à la Carte und nimmt Rücksicht auf die direkte Demokratie. Nirgends mehr kommt dies bei Licht besehen als im Streitbeilegungsverfahren des InstA zur Geltung.

Thomas Cottier: Die Zugeständnisse der Europäischen Union im Rahmenabkommen mit der Schweiz

Von Thomas Cottier*

Die Europäische Union kommt der Schweiz und ihren Besonderheiten im Rahmenabkommen vom 23. November 2018 in mancher Hinsicht entgegen. Das wird mit Blick auf die Rechtsstellung der Mitgliedstaaten deutlich. Die EU gewährt ihrer viertgrössten Handelspartnerin, die mehr als die meisten Mitgliedstaaten vom europäischen Binnenmarkt profitiert, eine Sonderbehandlung. Sie verzichtet darauf, die Schweiz vor die Wahl entweder-drinnen- oder-draussen zu stellen, oder auf einen Standard-Freihandelsvertrag mit Drittstaaten zu verpflichten. Sie hat das auf die direkte Demokratie zugeschnittene Baukastensystem der bilateralen Verträge anerkannt, obgleich die Schweiz deren Grundlage und Ziel eines künftigen EU Beitritts 2016 aufgegeben hat. Anders als die Mitgliedstaaten kann die Schweiz unter dem Rahmenabkommen weiterhin einzelne Verträge abschliessen, ohne an das Gesamtprojekt der Integration und selbst des Binnenmarktes gebunden zu sein.

Voller Zugang zum Binnenmarkt in Teilbereichen
Die Europäische Union gewährt der Schweiz mit dem Rahmenabkommen vom 23.11.2018 in fünf einzelnen Bereichen weiterhin den vollen Zugang zum Binnenmarkt: Die Personenfreizügigkeit für Schweizerbürger in den Mitgliedstaaten, im Bereich des Verkehrs zu Luft, auf Strasse und Schiene, im Handel mit landwirtschaftlichen Gütern, ohne aber Agrarfreihandel zu verlangen, und bei der gegenseitigen Beseitigung technischer Handelshemmnisse, was für KMUs in der Schweiz von zentraler Bedeutung ist. Sie verzichtet darauf, das Freihandelsabkommen von 1972 bereits heute einzuschliessen, obgleich dies die eigentliche Grundlage der Beziehungen bildet. Sie verzichtet darauf, den freien Dienstleistungsverkehr zu verlangen. Sie ist bereit, dass diese Fragen schrittweise angegangen werden. Im Vergleich zu den Mitgliedstaaten geniesst die Schweiz damit eine starke Rücksicht auf ihre tradierten und gewachsenen Wirtschaftsstrukturen und ihre politische Kultur.

Rücksicht auf Schweizer Anliegen
Die EU kommt der Schweiz in den einzelnen Bereichen entgegen. Sie anerkennt mit dem Rahmenabkommen die Existenz der Flankierenden Massnahmen im Bereich der Entsendung von ausländischen Arbeitnehmern und Dienstleistern (FLAM), die unter dem bestehenden Freizügigkeitsabkommen gerichtlich anfochten werden können und unsicher sind. Sie gewährt – anders als in den Mitgliedstaaten – der Schweiz die Möglichkeit der Voranmeldung solcher Arbeiten vier Tage vor der Einreise. Sie erlaubt – erneut über das EU Recht hinaus – die Möglichkeit, gegen säumige Unternehmer eine Kaution zu verlangen. Das geht zwar hinter die gegenwärtige Anmeldefrist von acht Tagen und eine allgemeine Kautionspflicht zurück, wird aber durch den Zugang zur Amts- und Rechtshilfe im Rahmen des europäischen Binnenmarkt Informationssystems IMI kompensiert. Die vertragliche Anerkennung der FLAM an sich ist aber das wichtigste Zugeständnis, das man hierzulande nicht zu schätzen weiss.
Die Union hat nicht darauf bestanden, dass die sog. Unionsbürgerrichtlinie explizit aufgenommen wird. Sie war bereit, diese Frage ausgesteuerter Personen einstweilen offen zu lassen und allenfalls einer Lösung im Rahmen Streitbeilegung anzugehen. Sie war bereit, mit den Neuverhandlungen zuzuwarten und damit auch mit dem Einbezug neuer Themen, insbesondere des Freihandels in der Landwirtschaft und die Abschaffung der Agrarzölle, die Liberalisierung der Dienstleistungen und neue Regeln über das Wettbewerbsrecht und von Investitionen. Diese Fragen können in der Folge schrittweise mit dem Modell der bilateralen Verträge angegangen werden. Bereits mit der Paraphierung des Rahmenabkommens ist die EU bereit, weitere Vertragsverhandlungen zu führen (Stichwort Forschung und Medizinaltechnik). Die Debatte im Parlament und eine Volksabstimmung muss nicht abgewartet werden.

Mitsprache
Die EU hat der Schweiz als Nichtmitgliedstaat Mitsprache in der Entwicklung des betreffenden EU-Rechts eingeräumt. Es ist klar, dass Mitbestimmung den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben muss. Aber auch mit Mitsprache können die Interessen der Schweiz wirksamer als heute wahrgenommen werden. Die Power of the Pen kommt auch so zum Tragen. Die Schweiz kann die im Schengener Abkommen gemachten Erfahren auf weitere Bereiche ausdehnen, neue Erfahrungen in der Zusammenarbeit sammeln und die Isolation auf operativer Ebene überwinden. Regelmässige Kontakte sind nicht nur mit der Bundesverwaltung und den Kantonsvertretungen vorgesehen, sondern auch zwischen der Bundesversammlung und dem Europäischen Parlament. Das Bundesgericht wird neu einen regelmässigen Austausch mit dem Europäischen Gerichtshof führen können.

Vorbehalt der Volksrechte
Die Übernahme von Anpassungen des EU Rechts im Rahmen der fünf Abkommen – und vorläufig nur hier – ist dynamisch, aber nicht automatisch. Die EU anerkennt die demokratischen Entscheidungsprozesse in der Schweiz und respektiert insbesondere die Pflicht, Gesetze und allgemeinverbindliche Bundesbeschlüsse in Umsetzung von Richtlinien dem Referendum zu unterstellen, wie das heute schon für Schengen zugesichert ist.

Kein Zwang zur Rechtsübernahme
Vor allem, und das steht über allem: Anders als ein Mitgliedstaat, kann die Schweiz nicht gezwungen werden, EU-Recht zu übernehmen. Der Vertrag respektiert die Souveränität des Landes. Ein Schiedsgericht und der Europäische Gerichtshof können eine Rechtsverletzung feststellen, aber nicht gegen den Willen der Schweiz durchsetzen. Die Innenpolitik der Schweiz hat das nicht verstanden, wenn sie rote Linien setzt und Nachverhandlungen verlangt. Vielmehr ist es so, dass dort, wo sie am eigenen Recht festhalten will – sei es im Lohnschutz, sei es im Armenrecht, sei es künftig bei den Subventionen – die Schweiz allenfalls bezahlbare Ausgleichmassnahmen gewärtigen muss, die aber wiederum der Prüfung der Verhältnismässigkeit durch ein Schiedsgericht unterworfen sind. Die EU verzichtet mit andern Worten auf politische Sanktionen. Die Schweiz kann unter dem Abkommen auch erstmals selbst gerichtlich gegen Vertragsverletzungen in der EU und den Mitgliedsstaaten vorgehen.

Das Rahmenabkommen ist so ein massgeschneidertes Abkommen für die Schweiz, das in gegenseitigem Respekt ausgehandelt wurde. Wer das verneint, verkennt wie stark die EU der Schweiz in diesen Verhandlungen mit Goodwill entgegengekommen ist. Wer das verneint, verkennt die Vorteile, welche es für unser Land mit sich bringen wird. Wer hier noch zusätzliche Konzessionen verlangt, verkennt, dass die schweizerischen Unterhändler geschickt und hart verhandelt haben.

* Emeritierter Professor für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Universität Bern; , Präsident der Vereinigung La Suisse en Europe.

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Offener Brief an den Bundesrat von ASE-Mitglied Maurice Wagner : Unterzeichnung des CH-EU-Rahmenabkommens

In einem offener Brief appelliert ASE-Mitglied Maurice Wagner an den Bundesrat, das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU zu unterschreiben, denn “in Ermangelung von Maßnahmen wird der Bundesrat für die Schwächung der Schweizer Universitäten und der Medizintechnik in der Schweiz verantwortlich sein.”

Den vollständigen Brief können Sie hier lesen.

Vous pouvez lire la lettre complète ici.

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Appell der ASE an den Bundesrat das Rahmenabkommen zu unterzeichnen

In einem am 17. März 2021 an den Bundesrat adressierten Brief ruft die ASE dazu auf, das Rahmenabkommen zu unterzeichnen. Die Schweiz kann aufgrund des InstA nicht zur Übernahme von EU-Richtlinien und Verordnungen gegen ihren Willen gezwungen werden kann. Stand bisher bei Uneinigkeit zwischen den Vertragsparteien nur der Rückgriff auf unilaterale Massnahmen zur Verfügung, können durch den Streitbeilegungsmechanismus Differenzen auf rechtlichen Wege angegangen werden. Der Vertrag bietet im Ergebnis eine für die Schweiz vorteilhafte Regelung und bildet gegenüber der heutigen Rechtslage ein wesentlicher Fortschritt. 

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Jean Zwahlen : ” La saga du Brexit – Quelques pistes de réflexion pour notre accord institutionnel”

Jean Zwahlen zum Brexit und welche Lehren die Schweiz für das Rahmenabkommen daraus ziehen kann: “Wir sollten verfolgen was in Großbritannien passiert und daraus lernen bevor wir unwiderrufliche Entscheidungen treffen, wohl wissend, dass wir weder die Grösse noch das Gewicht des Vereinigten Königreichs haben.”

Thomas Cottier: Die Alternative zum institutionellen Rahmenabkommen heisst Warten – lange Warten

Was es heute braucht, ist der Mut, das Rahmenabkommen zu unterschreiben auch wenn nicht alle Fragen gelöst sind. Die Öffentlichkeit, Bundesrat, Parlament und Volk müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen und in Europa am Goodwill der Schweiz als eines ihrer wichtigsten Güter arbeiten.  Ein Übungsabbruch bewirkt das Gegenteil und ist nicht im Interesse des Landes.

Thomas Cottier: Rahmenabkommen mit der EU: das Schweizervolk muss entscheiden

von Thomas Cottier

Der Bundesrat wählte ein Verfahren, das in Verfassung und Gesetz nicht vorgesehen ist. Ohne den Rahmenvertrag zu unterzeichnen, schickte er ihn Anfangs 2020 in eine breite Vernehmlassung bei Parteien, Verbänden und Kantonen. Ohne ausführliche Darlegung des Vertrages wurde er Opfer von Missverständnissen und akkumulierten Sonderinteressen, die ohne Rücksicht auf die Anliegen der Union verteidigt werden. Nachverhandlungen wurden gefordert, ein erneuter Reset und rote Linien betont, die allein innerstaatlichem und parteipolitischem Kalkül entspringen und entsprechen. Die patriotische Fundamentalopposition nationalkonservativer Kreise erhält Verstärkung aus dem Finanzsektor, der eine strengere Marktkaufsicht über seine Geschäfte seitens der EU abwenden will.

Das Ergebnis ist bekannt. Mit wesentlichen Änderungen kann nicht gerechnet werden. Bundesrat und Politiker erwägen jetzt den Übungsabbruch, ohne Rücksicht auf die grossen Schwierigkeiten für die Wirtschaft und auf die Versorgung mit medizinischen Gütern, gerade in Zeiten der Pandemie.

Öffentliche Umfragen haben regelmässig eine Unterstützung des Rahmenabkommens von über 60% an den Tag gelegt. Volk und Stände haben 2018 die Selbstbestimmungsinitiative mit 66.3% und die Kündigungsinitiative 2020 mit 61.7% abgelehnt. Beide Befunde werden in der Politik nicht zur Kenntnis genommen. PolitikerInnen behaupten weiterhin, dass das Rahmenabkommen ohne Anpassungen in einer Volksabstimmung keine Chance habe. Hinter solchen Aussagen stecken Sonderinteressen, und nicht das Gemeinwohl des Landes. Wenn der Bundesrat jetzt die Verhandlung abbricht, so kommt dies einem Kniefall nicht nur vor nationalkonservativen Kreisen gleich. Er knickt ein gegenüber all den kumulierten Sonderinteressen, die umgekehrt die Verantwortung für die wirtschaftlichen Folgen dem Bundesrat in die Schuhe schieben werden.

Aus diesem Grunde muss der Bundesrat den Vertrag endlich unterschreiben und dem Parlament mit seinem Antrag weiterleiten. Als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben wir ein Recht darauf, dass der Vertrag im Parlament debattiert wird und in der Folge dem einfachen Referendum unterstellt wird, wie dies der Bundesrat ausserhalb einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung klugerweise für das Freihandelsabkommen von 1972 getan hatte. Nur ein Volksentscheid kann letztlich den Weg aus einer verfahrenen Situation finden und die weitere Spaltung des Landes verhindern. Nur das Volk kann letztlich die Verantwortung für einen derart wichtigen Entscheid in der direkten Demokratie übernehmen. Und nur ein Volksentscheid wird letztlich von der Europäischen Union als legitime Entscheidung anerkannt werden.

Thomas Cottier: Das missverstandene Streitbeilegungsverfahren im Rahmenabkommen mit der EU

Jahrzehntelang hat sich die EU geweigert, die Beziehungen zur Schweiz einem allgemeinen gerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zu unterstellen. Nun ist sie bereit, und es ist offensichtlich, dass die Schweiz mit diesem Verfahren nur gewinnen kann.

Das Streitbeilegungsverfahren des Rahmenabkommens sei toxisch, die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) inakzeptabel und nicht mehrheitsfähig. Sie mache das vorgesehene Schiedsgericht zur Farce und verletze die Souveränität. So lautet die Parole der Gegner des institutionellen Rahmenabkommens. Lieber fahre man mit dem Status quo weiter. Diese Einwände sind nicht stichhaltig. Die Debatte ist durch Vorurteile und Missverständnisse geprägt: Vorab ist zwischen Verfahren vor nationalen Gerichten in der Schweiz und den Mitgliedstaaten und dem neuen und umstrittenen Schiedsverfahren des Rahmenabkommens zu unterscheiden.

Von der politischen Bühne zum Rechtsweg
Die allermeisten gerichtlichen Verfahren zur Anwendung und Auslegung der bilateralen Verträge werden sich wie heute weiterhin vor nationalen Gerichten abspielen. Die Schweiz und die EU kennen die unmittelbare Anwendung dieser Verträge. Sie sind Teil des Landesrechts und gehen davon abweichenden Gesetzen, Verordnungen und Praktiken vor. Auf die Abkommen gestützte Klagen werden vor erst- und zweitinstanzlichen kantonalen Gerichten sowie vor den Gerichten des Bundes geführt und entschieden, in letzter Instanz durch das Bundesgericht. Dieses entscheidet abschliessend. Ebenso führen Klagen aufgrund der bilateralen Verträge in den Mitgliedstaaten über deren Gerichte. Sie unterliegen dem Vorabentscheidungsverfahren des EuGH.

Die nationalen Gerichte können Auslegungsfragen vorlegen. Die Höchstgerichte müssen vorlegen, soweit die Rechtslage nicht bereits hinreichend geklärt ist («actes claires»). Für die Mitgliedstaaten – nicht aber die Schweiz – ist das Urteil des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren massgebend. Das Bundesgericht wird solche Urteile im Dialog mit dem EuGH wie bereits heute berücksichtigen, ist aber als Präjudiz nicht daran gebunden.

Neu im Rahmenabkommen ist, dass Streitigkeiten der politischen Bühne auf dem Rechtsweg entschieden werden können. Heute liegen sie mit Ausnahme des Versicherungsabkommens allein in den Händen der Gemischten Ausschüsse und der politischen Behörden. Kann keine Lösung gefunden werden, drohen politisch motivierte Massnahmen (Stichwort Börsenäquivalenz). Anders als heute kann mit dem Rahmenabkommen jede Partei eine Streitfrage einem Schiedsgericht aus drei Personen – aus der Schweiz, der EU und einem Drittstaat – vorlegen. Das wird selten, wenn überhaupt jemals vorkommen. Denn die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens dürfte die politische Einigung begünstigen.

Kommt es aber zur Klage der Schweiz oder der EU, so urteilt das eingesetzte Schiedsgericht über Anstände aus dem Rahmenabkommen und den bilateralen Verträgen. Gegenstand des Verfahrens kann die angebliche Unvereinbarkeit des inländischen Rechts mit den Verträgen sein. Dazu gehören auch Urteile von Gerichten, die völkerrechtlich Teil des Landesrechts sind und ebenfalls dem Grundsatz «pacta sunt servanda» unterliegen. Das Schiedsgericht ist dabei verpflichtet, Fragen des EU-Rechts dem EuGH vorzulegen. Es handelt sich dabei vor allem um offene Fragen bei der Auslegung von Richtlinien und Verordnungen, welche die Schweiz vor dem Hintergrund der dem Rahmenabkommen unterstellten Verträge übernommen hat. Die Vorlage dient dem Zweck, eine allgemeingültige Auslegung für den gesamten Binnenmarkt gerichtlich festzulegen. Der EuGH wird diese mit Blick auf alle Mitgliedstaaten und den gesamten Binnenmarkt, und nicht allein im Verhältnis zur Schweiz vornehmen.

Selbständige Rolle des Schiedsgerichts
Der Vorwurf der Parteilichkeit ist daher unbegründet. Absehen kann das Schiedsgericht von einer Vorlage, wenn die Rechtslage bereits durch frühere Urteile geklärt wurde («actes claires»). Zentral ist, dass sich die Zuständigkeit nur auf übernommene Normen und Begriffe des EU-Rechts bezieht, nicht aber auf die bilateralen Verträge an sich, die zum Völkerrecht gehören und ihren eigenen Normen folgen. So ist zum Beispiel der Begriff der Diskriminierung in Art. 2 des Freizügigkeitsabkommens nicht identisch mit der Diskriminierung im EU-Vertrag, so wie sie sich auch von entsprechenden Grundsätzen in der WTO unterscheidet. Das Schiedsgericht wird über Abgrenzungsfragen selbständig entscheiden. Es spielt also eine durchaus eigenständige Rolle und ist für die Auslegung der bilateralen Verträge zuständig.

Die Schweiz ist nicht verpflichtet, ein Urteil des Schiedsgerichts umzusetzen, wo am eigenen Recht festgehalten werden soll und eine Völkerrechtsverletzung politisch in Kauf genommen wird. Die EU kann dann Ausgleichsmassnahmen treffen. Das gleiche Recht gilt auch für die Schweiz. Von zentraler Bedeutung und neu ist, dass solche Massnahmen der erneuten Beurteilung des Schiedsgerichts unterliegen. Dieses prüft abschliessend, ob die Ausgleichsmassnahmen dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit entsprechen. Es ist offensichtlich, dass die Schweiz mit diesem Verfahren nur gewinnen kann. Jahrzehntelang hat sich die EU politisch geweigert, die Beziehungen zur Schweiz einem allgemeinen gerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zu unterstellen. Das Freihandelsabkommen von 1972 kennt sie immer noch nicht (Stichwort Unternehmenssteuern). Heute, wo die Union mit dem Rahmenabkommen dazu bereit ist, schiesst sich die Politik in der Schweiz aus Unkenntnis der Rechtslage mit unsachlichen und falschen Behauptungen erneut ins eigene Bein.

Dieser Beitrag von ASE-Präsident Thomas Cottier erschien am 25. Februar als Gastkommentar in der NZZ.

Arbeitsgruppen über künftige Herausforderungen in den Beziehungen zur Union

Um die Diskussion um das Rahmenabkommen auf eine neue Ebene zu heben, arbeitet die ASE in drei Arbeitsgruppen die Bedeutung eines Rahmen-Vertragsabschlusses für ausgewählte Bereiche heraus.

Die drei Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit der Digitalisierung, Energie- und Klimafragen sowie dem Dreieck Migration, Handel und Investitionen. Die folgenden Abstracts bilden die Grundlage für die Arbeit. Wenn Sie an einer Mitarbeit in der einen oder anderen Arbeitsgruppe interessiert sind, können Sie sich gerne via contact@suisse-en-europe.ch unter Angabe Ihrer gewünschten Arbeitsgruppe melden.


groupe de travail: numérisastion

L’UE établit actuellement un marché unique numérique afin d’améliorer l’accès aux biens et services digitaux, créer un environnement propice au développement de réseaux et de services digitaux et utiliser la numérisation comme moteur de croissance. Le futur numéraire de l’Europe devra incorporer des technologies utilisables pour tous, une économie équitable et compétitive et une société démocratique, ouverte et durable.

Le programme de l’UE comprend un grand nombre d’actes – Règlements, Directives, Communications, Décisions, Initiatives, Plans d’actions et Partenariats – sur lesquels la Suisse a pris position en identifiant d’éventuels besoins d’action ou de coopération[1]. La Suisse participe activement à de nombreux groupes d’experts de l’UE et aux principaux projets européens ayant trait à la numérisation[2].

Le programme pour une Europe numérique[3] complète et accompagne un certain nombre d’autres instruments proposés dans le cadre financier pluriannuel pour l’après 2020, notamment : Horizon Europe, mécanisme pour l’interconnexion en Europe (MIE), programme Europe créative (y compris Media), Erasmus, Fonds européen d’ajustement à la mondialisation (compétences numériques de base et avancées), Environnement et action pour le climat (y compris efficacité énergétique).

Le budget de l’UE prévoit d’attribuer des fonds importants à cinq domaines : calcul haute performance (2.2 milliards euros), intelligence artificielle (2.1 mrds euros), cybersécurité et confiance (1.6 mrds euros), compétences numériques avancées (577 millions euros) et déploiement, meilleure utilisation des capacités numériques et interopérabilité (1.1 mrd euros). Les membres de l’EEE, les pays disposant d’un accord-cadre et les pays tiers pourront participer au programme selon des modalités propres à leur relation avec l’UE.

Actuellement s’ajoutent, sur le plan législatif, les propositions pour une directive sur les mesures pour un haut niveau de cybersécurité, pour la régulation numérique au travers du règlement sur les services numériques (Digital Services Act) et du règlement sur les marchés numériques (Digital Market Act) pour les firmes ayant un impact (GAFA[4] notamment). Ces propositions devront être analysées afin d’évaluer l’intérêt de la Suisse et de l’UE à des formes de coopération, le cas échéant par le biais de déclarations ou d’arrangements spécifiques.

[1] La Suisse et le marché unique numérique de l’Union européenne, DETEC, DFAE, DFF et DEFR, 18.06.19 CH. Suisse et le marché numérique UE, 14.06.19.pdf
[2] Stratégie de l’Union Européenne pour un marché unique numérique. Conséquences pour la Suisse. Rapport en réponse au Postulat Vonlanthen 16.3080 du 15.03.16, SECO, 07.12.18.
[3] Proposition de règlement du Parlement européen et du Conseil établissant le programme pour une Europe numérique pour la période 2021-27, Bruxelles, 06.06.18, COM 434 final. Source
[4] Géants de l’internet : Google, Apple, Facebook, Amazon.


groupe de travail: ressources naturelles, énergie, climat et environnement

Le « European Green Deal » proposé par la Commission le 11.12.2019  représente un plan d’action inclusif et systématique couvrant tous les secteurs économiques. L’objectif  d’atteindre une économie neutre en carbone en 2050 est en ligne avec la trajectoire du CF pour 2050. Le Green Deal  précise que « son ambition ne pourra pas être atteinte exclusivement par l’UE et que l’UE pourra utiliser son influence, son expertise et ses ressources financières pour mobiliser ses voisins et partenaires… ». Les composants relatifs à l’énergie, au transport, à la construction et à la décarbonisation de l’économie ont une importance particulière pour la Suisse.

Dans le domaine des ressources naturelles, le Green Deal est développé notamment par la stratégie « Farm to Fork » (F2F). Celle-ci doit influencer la nouvelle politique agricole commune (PAC), dans laquelle les dispositions environnementales sont fortement renforcées (écorégimes obligatoires, conditionnalité renforcée…). F2F constitue une sorte de « benchmark » qui peut être aussi une référence pour la Suisse, de manière générale et sur des points spécifiques qui ont des implications « transfrontalières ». Exemples : la réduction des pesticides (-50% d’ici 2030, à comparer avec les initiatives populaires) et des antibiotiques (-50 %), ou l’objectif de 25% des terres agricoles en biologique. Le Conseil des Etats ayant refusé en décembre 2020 le projet de Politique agricole 2022-2025 (PA «2022+), celui-ci devra être revu par le Conseil fédéral et la comparaison avec F2F et la nouvelle PAC sera pertinente.

De manière plus immédiate, F2F stipule que l’objectif de durabilité devra être pris en compte dans tous les accords bilatéraux de l’UE. L’harmonisation entre les clauses environnementales de l’UE et de  la Suisse (ex : accord avec l’Indonésie) renforcerait leur acceptabilité et leur impact. Les implications d’une éventuelle taxe carbone sur les importations doivent aussi être analysées.  Plus généralement, F2F promeut une action internationale, qui concerne aussi la Suisse, dans le domaine de la normalisation (Codex), de l’étiquetage, et des activités internationales globales (ex : Sommet des NU sur le Système alimentaire mondial de 2021).

Le Green Deal prévoit de proposer en mars 2020 une stratégie de biodiversité, incluant explicitement la coopération transfrontalière et tenant compte du réseau Natura 2000. Cela a clairement une implication pour la Suisse, tout comme la nouvelle stratégie forestière.


Arbeitsgruppe Migration, Handel und Investitionen

Das Freizügigkeitsabkommen und das Schengener Abkommen integrieren die Schweiz migrationsrechtlich weitgehend in den Binnenmarkt. Das bezieht sich indessen nur auf Angehörige der Mitgliedstaaten und Reisende. Die Zusammenarbeit im Asylbereich und der Arbeitsmigration bleibt indessen ad hoc punktuell; die Schweiz hat keinen Einfluss auf die Gestaltung der Asylpolitik in der EU und der Lösung deren Probleme. In der Frage der Rückübernahmen gibt es nur ansatzweise eine Koordination. Kaum nennenswerte Koordination gibt es in Bezug auf wirtschaftliche Abkommen, welche vor Ort Chancen und Arbeitsplätze für junge Menschen schaffen könnte, gerade auch in der Landwirtschaft, deren Exportmöglichkeiten die schweizerische Landwirtschaftspolitik wesentlich erschwert. Die Arbeitsgruppe nimmt sich dem Dreieck von Migration, Handel und Investitionen an und prüft Möglichkeiten einer stärkeren Zusammenarbeit und Koordination mit der Europäischen Union. Als Grundlage dienen u.a. das Paper von Thomas Cottier und Anirudh Shingal, Migration, Trade and Investment: Towards a New Common Concern of Humankind, 55 Journal of World Trade 51-76 (2021) und die 2020 abgeschlossene Dissertation von Rosa Losada, Transnationaler Migrationsdialog und Migrationspartnerschaften in der Schweiz: Historische Entwicklung, Bestand und Reformbedarf.