Ja nicht zu viel Europa! von Martin Gollmer

Es scheint, als hätten mit der Ernennung von Jean-Daniel Ruch zum Staatssekretär für Sicherheitspolitik diejenigen Kräfte in Bundesbern gewonnen, die zur EU und zur Nato auf Distanz bleiben und an der traditionellen Neutralität festhalten wollen.

Das war eine dicke Überraschung: Am Freitag, 15. September 2023, wählte der Bundesrat nicht die Favoritin Pälvi Pulli, die Chefin Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement, an die Spitze des neu geschaffenen Staatssekretariats für Sicherheitspolitik (Sepos), sondern den weitgehend unbekannten Karrierediplomaten Jean-Daniel Ruch.

Die umtriebige, ursprünglich aus Finnland stammende Pulli gilt in Bundesbern als Internationalistin. Sie steht für die Formel «Sicherheit und Kooperation». Sie will so viel sicherheits- und verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten, der EU und der Nato wie möglich. Die Neutralität der Schweiz soll dabei nur so weit wie unbedingt nötig berücksichtigt werden. Das dürfte einer Mehrheit im Bundesrat und rechts-nationalen Politikkreisen nicht behagt haben.

Ruch gemässigter als Pulli

Ruch ist dagegen nicht so forsch wie Pulli, er ist stromlinienförmiger. Der aus Moutier stammende altgediente Botschafter mit Posten von Belgrad über Tel Aviv bis Ankara lancierte seine Karriere Ende der 1980er-Jahre im damaligen Militärdepartement in der Zentralstelle für Gesamtverteidigung. Die Stelle habe viel Gemeinsames gehabt mit dem Staatssekretariat für Sicherheitspolitik, sagte der 60-jährige Ruch bei der Präsentation durch Verteidigungsministerin Viola Amherd. Will heissen, dass sich das Sepos nicht nur schwergewichtig mit internationaler Kooperation befassen wird, sondern auch mit Ereignissen wie Stromausfällen in der Schweiz oder Cyberattacken aus dem Ausland.

Obwohl die Neutralität heute von manchen angezweifelt wird, misst Ruch ihr grossen Wert bei. Er bezeichnet sie bei seiner Präsentation als «Soft Power der Schweiz». Er habe während seiner diplomatischen Karriere mehrmals Dinge tun können,  die nur dank der Neutralität möglich geworden seien. So etwa im Nahen Osten, wo er einst als Sonderbeauftragter der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey unterwegs war. Mit dieser Haltung dürfte Ruch bei einer Mehrheit der Landesregierung auf Anklang gestossen sein. Auch im nationalkonservativen politischen Lager dürfte man damit zufrieden sein.

Wie dem auch sei: Man soll den Stab nicht zu früh über Ruch brechen; er soll erst einmal im Amt beweisen können, wie er denkt und handelt. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, dass mit der Ernennung Ruchs diejenigen Kräfte in Bundesbern gewonnen haben, die zur EU und zur Nato auf möglichst grosser Distanz bleiben und an der hergebrachten Neutralität festhalten wollen.

Mehr Kooperation notwendig

Dabei bräuchte die Schweiz mehr Kooperation mit der EU und der Nato in sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen. Den meisten Schweizerinnen und Schweizern ist nämlich inzwischen klar, dass sich die Schweiz bei einem militärischen Angriff aus dem Ausland nur kurze Zeit selbst verteidigen kann. Namhafte Politiker wie etwa FDP-Präsident Thierry Burkart haben denn auch für eine engere Kooperation insbesondere mit der Nato plädiert. Deren Abwehrdispositiv gegen einen feindlichen Angriff auf dem Boden oder in der Luft auf ihr Gebiet in Europa schützt jetzt schon auch die Schweiz mit. Es wäre deshalb an der Zeit, wenn auch die Schweiz ihren Beitrag an diese Verteidigungsbemühungen leisten würde.

Allein, die Neutralität der Schweiz verhindert wohl einen substanziellen Beitrag an diese Bemühungen. Die Neutralität erweist sich damit im heutigen Europa, dessen Sicherheitsarchitektur seit der russischen  Aggression gegen die Ukraine in Trümmern liegt, immer weniger als wirkungsvoller Schutz vor einem militärischen Angriff auf die Schweiz. Vielmehr verhindert die Neutralität eine weitgehende Kooperation mit der EU und der Nato zum umfassenden Schutz der Schweiz im Kriegsfall. Der neue Staatssekretär für Sicherheitspolitik Ruch wird sich auch an solchen Überlegungen messen lassen müssen.

It is up to Switzerland to shape the future of Europe! by Bouke Nagel

Bouke Nagel, olandese che vive da tempo a San Gallo, sottolinea la responsabilità comune degli Stati europei nel processo di integrazione. Questo include anche la Svizzera. La sua posizione in Europa, inserita nell’ordine multilaterale del dopoguerra, condivide in questo senso la storia della decolonizzazione e della disintegrazione degli imperi europei. Secondo l’autore, queste sono le vere ragioni storiche dell’unificazione europea. Bouke Nagel rimprovera alla Svizzera di aver partecipato a questo processo. Non solo per i propri interessi, ma per assumersi la corresponsabilità del futuro del continente europeo e delle democrazie del mondo basate sullo Stato di diritto.

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Für die EU ist die Schweiz heute nur ein gewöhnlicher Drittstaat von Martin Gollmer

Das Nicht-Mitglied Schweiz gilt für die EU nicht (mehr) als strategischer Partner und Verbündeter wie das aus dem Staatenbündnis ausgetretene Grossbritannien. Das zeigt sich im Fall der fortgesetzten schweizerischen Nicht-Beteiligung am Forschungsprogramm Horizon Europe exemplarisch.

Das ist eine bittere Pille: Grossbritannien, seit Anfang 2020 nicht mehr Teil der EU, darf wieder mitmachen, die Schweiz, auch Nicht-Mitglied der EU, muss vorerst weiterhin zuschauen. Die Rede ist vom EU-Forschungsprogramm Horizon Europe – mit einem Budget von 95 Milliarden Euro für die Jahre 2021 – 2027 das grösste Forschungsprogramm der Welt. Auf eine Rückkehr des Königreichs in das Programm haben sich die britische Regierung und die auf Seiten der EU verhandlungsführende Kommission Anfang September 2023 geeinigt. Die Einigung beweise, dass Grossbritannien und die EU strategische Partner und Verbündete seien, sagte Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen danach.

Die Beteiligung Grossbritanniens an Horizon Europe war eigentlich schon 2020 beschlossen worden. Damals vereinbarten London und Brüssel im Brexit-Handelsabkommen explizit den Zugang des Inselstaats zum Forschungsprogramm. Doch dann verstrickten sich die beiden Exekutiven in einen diplomatischen Kleinkrieg. Unter den Premierministern Boris Johnson und Liz Truss verfolgte Grossbritannien einen Konfrontationskurs gegenüber der EU und drohte, das im Brexit-Vertrag enthaltene Nordirland-Protokoll zu kündigen. Als Reaktion darauf verweigerte Brüssel London die vertraglich bereits zugesicherte Beteiligung an Horizon Europe.

Der seit Herbst 2022 amtierende Premierminister Rishi Sunak änderte den Kurs und begann wieder konstruktiv mit der EU-Kommission zu reden. Das Resultat war das sogenannte Windsor-Abkommen von Ende Februar dieses Jahres. Es legte die politische Grundlage für die britische Rückkehr ins Horizon-Forschungsprogramm und eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Grossbritannien und der EU auf breiter Front. Im Windsor-Abkommen verpflichtete sich London endlich auf die Anwendung des speziellen Handelsregimes für Nordirland. Schon vorher hatte London akzeptiert, dass in der britischen Provinz der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Rolle spielt. Die mit diesem Ausgang verbundene Beteiligung der britischen Universitäten und Industrie an Horizon Europe war im Hintergrund von Gewicht und ein wichtiger Hebel der EU.

Unzimperliche EU

Auch im Fall der Schweiz verwendet die EU Horizon Europe unzimperlich als Druckmittel. Als Reaktion auf den einseitigen Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen zu den bilateralen Verträgen durch den Bundesrat im Mai 2021 schloss sie die Schweiz kurzerhand von Leitungsfunktionen im Forschungsprogramm aus. Die Schweiz hatte sich eine vollständige Beteiligung an solchen Programmen Ende der 1990er-Jahre im Rahmen der bilateralen Verträge I gesichert. Die EU will nämlich durchsetzen, dass die Schweiz zu der von ihr gewünschten Fortsetzung und Ausweitung des bilateralen Wegs gewisse institutionelle Regeln akzeptiert. Darunter befinden sich etwa eine dynamische Übernahme von EU-Recht und ein Mitwirken des EuGH bei der Schlichtung von etwaigen Streitfällen – Dinge, die in der Schweiz innenpolitisch umstritten sind.

Als wegweisend für das Schicksal der schweizerischen Beteiligung an Horizon Europe gilt eine gemeinsame Erklärung von Bern und Brüssel. Die EU-Kommission möchte nämlich die seit über einem Jahr laufenden Sondierungsgespräche mit der Schweiz schon seit Längerem mit einem solchen Dokument abschliessen. Darin sollen die Eckwerte für den Neustart der Verhandlungen über die alten Konfliktpunkte wie etwa Rechtsübernahme und Streitschlichtung sowie über neue bilaterale Abkommen etwa in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Gesundheit festgehalten werden. Der Entwurf für ein solches Memorandum of Understanding soll seit Ende des vergangenen Jahrs vorliegen. Doch Bern verzögert dessen Unterzeichnung mit dem Argument, es gebe noch nicht zu allen Lösungsansätzen für die Probleme zwischen der Schweiz und der EU ein gemeinsames Verständnis, weshalb es noch weitere Sondierungsrunden mit Brüssel brauche. Will die Schweiz wenigstens noch an der zweiten Hälfte der laufenden Programmperiode von Horizon Europe mitmachen können, muss sich Bern also beeilen.

Rückzug rächt sich

Der Fall von Horizon Europe zeigt, dass die EU die Schweiz nur noch als gewöhnlichen Drittstaat behandelt. Dies trotz Lage mitten in der Staatengemeinschaft, trotz den weltweit führenden eidgenössischen Hochschulen in Zürich und Lausanne, trotz den bilateralen Abkommen I und II aus der Jahrtausendwende und trotz eines Freihandelsabkommens aus dem Jahr 1972 (!). Als strategischer Partner und Verbündeter, wie EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Grossbritannien bezeichnet hat, gilt sie nicht (mehr). Es rächt sich in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz ihr 1992 bei der EU eingereichtes Beitrittsgesuch 2016 unter dem Druck nationalkonservativer Kreise wieder zurückgezogen hat. Gäbe es dieses Gesuch noch, würde die Schweiz als – wenn auch als ein ewiger – Beitrittskandidat gelten und könnte auf eine Vorzugsbehandlung der EU hoffen.

Seit dem Rückzug dieses Gesuchs gehen die bilateralen Verträge mit der EU auch nicht mehr als Übergangslösung bis zu einem Beitritt durch, sondern sind zu einem scheinbar definitiven Arrangement der Schweiz mit dem Staatenbündnis geworden. Kein Wunder deshalb, dass die EU seither harte institutionelle Bedingungen an die Fortsetzung und den Ausbau des bilateralen Wegs knüpft und dem schweizerischen Rosinenpicken je länger je kritischer gegenübersteht. Die Zeche bezahlen unter anderem die Hochschulen und die innovative Industrie sowie die kommende Generation von Forscherinnen und Forschern in der Schweiz.

Kann Fasel den EU-Turbo zünden? von Martin Gollmer

Alexandre Fasel, neuer Staatssekretär im Aussendepartement, steht vor etlichen grossen Herausforderungen. Die vielleicht grösste: Er muss das wichtige und aussen- wie innenpolitisch schwierige Verhältnis der Schweiz zur EU regeln. Dabei sollte es schnell gehen. Die EU will nämlich Verhandlungen, die noch nicht einmal begonnen haben, bis im Juni 2024 abschliessen.

Am 1. September 2023 tritt der Freiburger Diplomat Alexandre Fasel sein neues Amt als Staatssekretär im Aussendepartement an. Er wird Nachfolger von Livia Leu, die im Herbst nach drei Jahren als Botschafterin nach Berlin wechselt. Der 62-jährige Fasel steht vor formidablen Herausforderungen: Zum einen ist sein Aufgabengebiet ausserordentlich gross. Zum andern wird er für das wohl schwierigste und wichtigste Dossier im EDA zuständig – die Beziehungen der Schweiz zur EU.

In der Medienmitteilung zur Ernennung Fasels umschreibt der Bundesrat dessen Aufgaben so: «Der Staatssekretär berät den Vorsteher des EDA und den Bundesrat in allen aussenpolitischen Fragen, sorgt für die Umsetzung der aussenpolitischen Strategie des Bundesrats, leitet das Staatssekretariat des EDA sowie das Aussennetz der Schweiz mit seinen rund 170 Vertretungen.» Und weiter: «Er unterstützt den Vorsteher des EDA auch bei innenpolitischen Fragen und der Zusammenarbeit mit dem Parlament und den Kantonen, insbesondere bei allen internationalen Themen mit innenpolitischen Auswirkungen wie der russischen Militäraggression gegen die Ukraine, den Beziehungen zur EU, der Arbeit im UNO-Sicherheitsrat und dem internationalen Krisenmanagement.»

Daran wird Fasel gemessen

Ob Fasels Amtszeit im Staatssekretariat EDA dereinst als erfolgreich bezeichnet werden wird, dürfte vor allem davon abhängen, wie er sich im dornenreichen EU-Dossier schlägt. Dabei ist Fasel – er kann auf ein Team um Botschafter Patric Franzen, Chef der Abteilung Europa im EDA, zählen – zweifach gefordert: Aussenpolitisch muss er sich mit einer EU herumschlagen, die gerade mit der Bewältigung mehrerer Krisen wie dem Ukrainekrieg, der Energieknappheit oder der Klimaerwärmung beschäftigt ist und daher wenig Zeit hat für einen eigenbrötlerischen Drittstaat wie die Schweiz. Zudem hat die Bereitschaft der EU zu Sonderlösungen abgenommen – dies vor allem im Zusammenhang mit der grossen Südosterweiterung in den Nullerjahren, als auf einen  Schlag zehn neue Mitgliedstaaten aufgenommen wurden. Diese mussten damals das gesamte EU-Recht übernehmen, ohne dass ihnen dabei nennenswerte Ausnahmereglungen gewährt wurden. Das erklärt, wieso die EU heute wenig Lust auf schweizerische Extrawürste hat und zugleich harte Bedingungen an die Fortsetzung des Schweizer bilateralen Sonderwegs knüpft wie dynamische Rechtsübernahme, Mitwirken des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei der Streitschlichtung oder Beachtung der Staatsbeihilfenregelungen.

Innenpolitisch muss Fasel für eine breite Akzeptanz der mit der EU ausgehandelten Lösung zur Fortsetzung des bilateralen Wegs sorgen. Denn am Ende der Verhandlungen mit der EU steht eine Volksabstimmung. Diese ist alles andere als einfach zu gewinnen. So kann Fasel etwa nicht darauf zählen, dass die wählerstärkste Partei in der Schweiz, die EU-feindliche SVP, dereinst das zurzeit zur Diskussion stehende Vertragspaket namens Bilaterale III stützen wird. Dynamische Rechtsübernahme oder eine Rolle für fremde EU-Richter sind ein rotes Tuch für die SVP.

Widerspenstig geben sich auch die Gewerkschaften. Sie sehen den Schutz der hohen Löhne in der Schweiz gefährdet und versuchen unter anderem, im Rahmen der Bilateralen III eine Ausweitung der Pflicht zu Gesamtarbeitsverträgen durchzusetzen. Dagegen wehren sich aber die Wirtschaftsverbände. Die Gewerkschaften nehmen dabei in Kauf, dass sie zur Verwirklichung eines innenpolitischen Anliegens ein für die Schweiz wichtiges aussenpolitisches Projekt gefährden. Andere wiederum befürchten, dass die von der EU geforderte Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie ins schweizerische Recht zu einer unerwünschten Einwanderung in die hiesigen Sozialwerke führen könnte.

Public Diplomacy vonnöten

Diese paar Beispiele zeigen – sie liessen sich vermehren –, dass es derzeit in Sachen Bilaterale III zahlreiche Bedenkenträger gibt. Ihnen wirkungsvoll entgegenzutreten, ist deshalb auch eine Aufgabe von Fasel – und natürlich auch des Bundesrats –, wenn eine künftige Volksabstimmung gewonnen werden soll. Denn zurzeit haben in der Öffentlichkeit vor allem die kritischen Stimmen zum Vertragspaket die Oberhand und versuchen, mit teils populistischen Argumenten Stimmung gegen die Bilateralen III zu machen. Dass die bisherigen Gespräche mit der EU hinter verschlossen Türen geführt worden sind und nur Informationshäppchen an die Öffentlichkeit drangen, hilft diesen kritischen Stimmen. Angezeigt wäre deshalb eine umfassende offene, ehrliche Information von Fasel und des Bundesrats über Ziele, Vor- und Nachteile der Bilateralen III sowie der dazugehörigen Verhandlungen und der dabei auftauchenden Probleme. Das Stichwort dazu heisst Public Diplomacy: Wie Gesetzgebung im Innern muss auch Rechtssetzung in den Aussenbeziehungen debattiert und vorbereitet werden. Das schliesst Vertraulichkeit in eigentlichen Verhandlungen nicht aus, schafft aber Vertrauen in diese.

Zusätzlich erschwert wird die Aufgabe von Fasel und seinem Team dadurch, dass nur noch ein kleiner Gestaltungsspielraum besteht. Denn der Bundesrat hat im vergangenen Juni bereits sogenannte Eckwerte für die künftigen Verhandlungen mit der EU festgelegt. Dies, als Ergebnis von zehn Sondierungsgesprächen mit der EU von Vorgängerin Leu – Sondierungsgespräche übrigens, die mehr schon Vorverhandlungen glichen. Fasel muss jetzt diese Sondierungsgespräche möglichst schnell zu Ende bringen, damit der Bundesrat danach das eigentliche Verhandlungsmandat verabschieden kann. Denn Zeit drängt: Die EU will die Verhandlungen mit der Schweiz bis im Juni 2024 abschliessen. Dann wird in der EU das Parlament neu gewählt und in der Folge auch die verhandlungsführende Kommission neu bestimmt. Doch der Bundesrat wird über das Verhandlungsmandat erst beraten, wenn auch in der Schweiz das Parlament neu gewählt ist (im Oktober) und die Wahlen in die Landesregierung stattgefunden haben (im Dezember).

Mal sehen, ob es Fasel angesichts dieser vertrackten Ausgangslage gelingt, in Sachen EU den Turbo zu zünden. Einschlägige Erfahrung hat er jedenfalls: Seine langjährige Karriere im diplomatischen Dienst der Schweiz unterbrach er anfangs der Nullerjahre für einige Zeit. Er ging zur Grossbank Credit Suisse, wo er für das Formel-1-Sponsoring und damit auch für den damaligen Rennstall Sauber-Petronas zuständig war. In seinen jungen Jahren hatte Fasel übrigens selber schon Runden gedreht auf der Rennstrecke von Magny-Cours.

Geheimniskrämerei geht weiter von Martin Gollmer

Der Bundesrat führt die Sondierungsgespräche mit der EU-Kommission über ein zukünftiges Vertragspaket namens Bilaterale III hinter verschlossenen Türen. Vermutlich wird er auch die angestrebten Verhandlungen vertraulich halten. Dabei wäre in einer direkten Demokratie wie der Schweiz eine offene und umfassende Information der Bevölkerung notwendig. Denn auch in aussenpolitischen Angelegenheiten hat oft das Stimmvolk das letzte Wort.

Seit gut einem Jahr sondiert die Schweiz mit der Europäischen Union (EU), wie der bilaterale Weg gesichert und ausgebaut werden könnte. Nicht weniger als zehn Gesprächsrunden haben in dieser Zeit stattgefunden. Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel sind trotzdem noch nicht in Sicht. Im Raum steht ein von der Schweiz geschnürtes Vertragspaket, das den Namen «Bilaterale III» erhalten hat. Darin sollen institutionelle Fragen wie Rechtsübernahme und Streitschlichtung geregelt werden. Zudem strebt die Schweiz neue bilaterale Abkommen mit der EU in den Bereichen Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Strom an. Schliesslich will die Schweiz wieder an den EU-Forschungs- und Bildungsprogrammen «Horizon Europe» und «Erasmus» beteiligt werden. Von diesen war sie nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen zu den bilateralen Verträgen durch den Bundesrat im Mai 2021 von der EU ausgeschlossen worden.

Am 18. Juli war der für das Europadossier zuständige Bundesrat Ignazio Cassis in Brüssel, um mit seinem Gegenpart EU-Kommissar Maros Sefcovic eine «Standortbestimmung» zu den Sondierungsgesprächen vorzunehmen, wie es in einer dürren Medienmitteilung des schweizerischen Aussenministeriums hiess. Was ist dabei herausgekommen? In welchen Bereichen konnten Fortschritte erzielt werden? Wo hakt es noch? Bei welchen Anliegen der Schweiz zeichnen sich Erfolge ab? Welche Kröten muss sie möglicherweise schlucken? Wir wissen es nicht. In der Medienmitteilung war dazu nichts zu lesen. Auch gab Cassis nach dem Treffen mit Sefcovic keine Erklärungen vor den Medien ab.

Am 21. Juni verabschiedete der Bundesrat «Eckwerte für ein Verhandlungsmandat mit der EU».  Diese sollen die «Leitlinien für mögliche künftige Verhandlungen» bilden und als «Grundlage für die Vorbereitung eines Verhandlungsmandats» dienen, wie es in einer Medienmitteilung hiess. Welches sind diese Eckwerte? Wir wissen es nicht. «Die Eckwerte bilden den Kern der möglichen Verhandlungen und sind daher vertraulich», liess der Bundesrat verlauten.

Nur ein enger Kreis weiss Genaueres

Das sind nur die jüngsten Beispiele der bundesrätlichen Geheimniskrämerei um die Sondierungsgespräche und die angestrebten Verhandlungen mit der EU zu den Bilateralen III. Die breite Öffentlichkeit wird beinahe schon systematisch im Dunkeln gelassen. Selbst die Mitglieder der Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat wissen nicht alles. Einigermassen gut informiert werden nur Vertreter der Kantone und der Sozialpartner (Arbeitgeber und Gewerkschaften), die das sogenannte Sounding Board des Bundesrats in dieser Angelegenheit bilden.

Wenn etwas nach aussen dringt aus den Sondierungsgesprächen, dann von Bedenkenträgern und EU-Gegnern aus diesen Kreisen. Sie berichten vor allem negativ über die Gespräche. Gleichzeitig tut der Bundesrat nichts, um dagegenzuhalten. Wann hat ein Mitglied der Landesregierung darüber informiert, was die Schweiz im Verhältnis zur EU schon alles tut, um die Löhne in der Schweiz zu schützen? Wann hat ein Berner Magistrat erläutert, was die dynamische Übernahme von EU-Recht für die  Schweiz bedeutet. Haben wir dann nichts mehr zu sagen? Wird dadurch die direkte Demokratie ausgehebelt? Wurde je von einem Vertreter Berns erklärt, was das für die Schweiz heisst, wenn der EU-Gerichtshof in einem allfälligen Streitschlichtungsverfahren eine Rolle erhält? Kommen jetzt die fremden Richter? Weil der Bundesrat nicht informiert, entsteht in der Bevölkerung kein Vertrauen in seine Arbeit. Und das Wissen über die Bilateralen III bleibt bruchstückhaft und oft negativ konnotiert. Beides – Vertrauen und Wissen – wird aber nötig sein, wenn das Schweizer Stimmvolk dereinst zu den Bilateralen III Ja sagen soll.

Höchste Zeit für Public Diplomacy

Wenn der Bundesrat eine mögliche künftige Volksabstimmung über die Bilateralen III gewinnen will, muss er offensiver kommunizieren. Aussenpolitik – und damit auch Europapolitik – ist gemäss Bundesverfassung Sache des Bundesrats. Damit verbunden sollte eigentlich auch sein, dass er über seine Tätigkeiten in diesem Bereich detailliert und ausführlich informiert. Das Stichwort dazu heisst «Public Diplomacy». Das Konzept postuliert, dass Regierungen die Öffentlichkeit über Ziele, Verlauf und Stand von Verhandlungen möglichst regelmässig, offen und umfassend unterrichten. Gewiss, in kritische Phasen werden Verhandlungen nicht auf dem Marktplatz geführt, sondern nach wie vor hinter verschlossenen Türen. Aber soweit sind wir mit der EU noch nicht. Verhandlungen mit ihr sind noch nicht einmal absehbar.

Aussenpolitik ist gerade in Demokratien immer auch Innenpolitik. Die beiden Bereiche lassen sich immer weniger trennen. Andere Staaten haben deshalb die Notwendigkeit von Public Diplomacy schon vor einiger Zeit erkannt. So auch die EU – zukünftiger Verhandlungspartner der Schweiz in Sachen Bilaterale III. Sie hat etwa das Verhandlungsmandat und laufende Verhandlungsvorschläge für ein Handels- und Wirtschaftsabkommen mit den USA und Kanada im Internet publiziert – allerdings auch erst auf Druck der Öffentlichkeit. Die EU belebte so die Debatte und erleichterte die Meinungsbildung über das Thema. Schon seit dem 1. Weltkrieg praktizieren die USA Public Diplomacy. Damals begann Präsident Woodrow Wilson mit seinen Prinzipien der Transparenz die bis dato übliche Geheimdiplomatie zu überwinden.

Die Schweiz dagegen setzt immer noch zu sehr auf vertrauliche Sondierungen und Verhandlungen. Das ist falsch. Gerade in einer direkten Demokratie, in der das Stimmvolk oft auch in aussenpolitischen Angelegenheiten das letzte Wort hat, ist eine frühzeitige offene und ausführliche Information der Bevölkerung äusserst wichtig. Es ist deshalb höchste Zeit, dass der Bundesrat seine Informationspolitik in der Aussenpolitik ändert. Im Falle der Bilateralen III würde das deren Chancen in einer allfälligen Volksabstimmung deutlich erhöhen.

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Einmal schnell, einmal langsam von Martin Gollmer

Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die Europapolitik der Schweiz weisen zurzeit ein unterschiedliches Tempo auf. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führt in diesen beiden Bereichen offensichtlich nicht zu den gleichen Schlussfolgerungen.

Kommt die europäische Integration der Schweiz auf dem sicherheits- und verteidigungspolitischen Weg schneller voran als auf dem politischen und wirtschaftlichen? Ja, meinen aufmerksame Beobachter der schweizerischen Europa-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Indizien zeigen, dass sie möglicherweise Recht haben. Nachdem Russland am 24. Februar 2022 seinen völkerrechtswidrigen Überfall auf das Nachbarland Ukraine startete, wurden in der schweizerischen Politik rasch Stimmen laut, die eine weitere Annäherung an das nordatlantische Militärbündnis Nato, forderten. Die Nato ist die wichtigste Organisation für Sicherheit und Verteidigung in Europa. Und Anfang Juli unterzeichnete Verteidigungsministerin Viola Amherd eine Absichtserklärung, mit der die Schweiz Teil der Luftverteidigungsinitiative European Sky Shield werden soll. Die von der Nato unabhängige Initiative geht auf Deutschland zurück. Bisher sind ihr 17 europäische Nato-Länder beigetreten. Mit Österreich und der Schweiz wollen jetzt erstmals auch zwei neutrale Nato-Nichtmitglieder mitmachen.

Derweil wurden nach dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine keine Forderungen gestellt, die Schweiz solle sich der Europäischen Union (EU), der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Organisation in Europa, über den bisher begangenen bilateralen Weg hinaus weiter annähern. Mehr noch: Die Beziehungen Schweiz – EU dümpeln seit dem ergebnislosen Abbruch der mehrjährigen Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen zu den bilateralen Verträgen durch den Bundesrat am 26. Mai 2021 vor sich hin. Aussenminister Ignazio Cassis’ Diplomaten sondieren zwar seit über einem Jahr fleissig mit der EU, wie der bilaterale Weg gesichert und fortgesetzt werden könnte. Die Aufnahme von neuen Verhandlungen über ein Bilaterale III genanntes Vertragspaket ist aber auch nach zehn Sondierungsrunden noch nicht in Sicht. Das, obwohl die Schweiz seit 15 Jahren kein Abkommen mehr mit der EU geschlossen hat. Mit der EU ist die Schweiz notabene geografisch, kulturell, personell und wirtschaftlich aufs Engste verflochten.

Zerstörte Gewissheiten

Dieser Unterschied zwischen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der Europapolitik der Schweiz hängt wie eingangs betont eng mit dem Krieg in der Ukraine zusammen. Dieser hat eine jahrzehntealte Gewissheit auf einen Schlag zerstört: nämlich, dass Europa nach dem Ende des 2. Weltkriegs zu einem Kontinent des Friedens geworden ist, in dem die seither geltenden Grenzen der europäischen Nationalstaaten gegenseitig respektiert werden (was 1975 in der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bestätigt wurde) und zwischenstaatliche Kriege der Vergangenheit angehören. Der plötzliche Verlust dieser Gewissheit hat die europäischen Staaten zum Handeln in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik veranlasst. Zahlreiche von ihnen beschlossen, das Verteidigungsbudget endlich auf die von der Nato geforderten 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts anzuheben. Die bisher neutralen Länder Finnland und Schweden beantragten den Beitritt zur Nato; Finnland ist inzwischen dem Militärbündnis beigetreten. Und Dänemark gab seinen langjährigen Vorbehalt gegen die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf.

Auch die Schweiz hat im Nachgang des Ausbruchs des Kriegs in der Ukraine ihr Verteidigungsbudget erhöht. Zudem forderten namhafte Politiker, die Schweiz solle ihre bisherige Zusammenarbeit mit der Nato ausbauen. Es werde immer deutlicher, dass die Schweiz ihre Sicherheit und Unabhängigkeit im Kriegsfall nicht mehr allein gewährleisten könne. Seit 1996 ist die Schweiz mit der Nato über das Kooperationsprogramm «Partnerschaft für den Frieden» verbunden. Seit 1999 nimmt sie auch an der Nato-Friedensmission für den Kosovo (KFOR) teil. Die Schweizer Luftwaffe trainiert seit Jahren im europäischen Ausland Ernstfalleinsätze. Angedacht ist eine gemeinsame Abwehr von Cyberattacken. Nun ist sogar auch eine Teilnahme an Verteidigungsübungen der Nato im Gespräch. Und mit dem Kampfjet F-35 und dem Luftabwehrsystem Patriot sind Nato-kompatible Rüstungsgüter in Beschaffung. Als vorläufig letzter Schritt kommt jetzt die beabsichtigte Teilnahme an der European Sky Shield Initiative (ESSI). Zunächst soll es um die gemeinsame Beschaffung von Luftabwehrsystemen und die Kooperation bei der Ausbildung gehen.

Neutralität gewährleistet

Auch die ESSI-Teilnahme soll mit der Neutralität der Schweiz vereinbar sein, versicherte Verteidigungsministerin Amherd anlässlich der Unterzeichnung der Absichtsverklärung. Dieser hat die Schweiz aber sicherheitshalber noch einen Neutralitätsvorbehalt angehängt. Das macht deutlich: Es wird immer schwieriger, die Sicherheit und Unabhängigkeit der Schweiz in Europa zu schützen und gleichzeitig den Status eines neutralen Landes aufrechtzuerhalten. Ja, die Neutralität nützt der Schweiz im unsicherer gewordenen Europa immer weniger und wird immer mehr zu einem Hindernis für einen wirkungsvollen Schutz vor einem allfälligen Angriff auf das Land. Trotzdem wagen es bisher nur wenige, die schweizerische Neutralität in Frage zu stellen.

Natürlich hat der Krieg in der Ukraine auch wirtschaftliche Folgen für Europa. Er hat beispielsweise aufgezeigt, wie abhängig wir geworden sind von Staaten, die in einem Systemwettbewerb mit uns stehen. Im Fall von Russland geht es vor allem um Energie und Rohstoffe. Trotzdem hat die EU harte Sanktionen gegen Russland erlassen, die auch einen Boykott von russischem Gas und Öl umfassen. (Die Schweiz hat diese Sanktionen nach anfänglichem Zögern übernommen.) Gleichzeitig hat die EU schleunigst begonnen, ihre Quellen für Gas- und Öllieferungen zu diversifizieren. Die Schweiz ist in diesem Prozess als Nicht-EU-Mitglied auf sich allein gestellt. Sie versucht, allfälligen Engpässen fast schon verzweifelt in Kooperationsabkommen mit den Nachbarstaaten Deutschland und Italien zuvorzukommen. Mit Italien ist ein solches Abkommen eben abgeschlossen worden. Trotzdem will die Schweiz auch in Zukunft am bilateralen Weg mit der EU festhalten, obwohl dieser für solche Herausforderungen nur beschränkt Lösungen bereithält. Der Bundesrat hat diesen Weg in seiner jüngsten Lagebeurteilung der Beziehungen Schweiz – EU als den für unser Land vorteilhaftesten bezeichnet. Einem neuen Anlauf zur Aufnahme in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) oder gar einem Beitritt zur EU erteilt er dagegen gleichenorts eine Absage. Diese Lagebeurteilung hat in der schweizerischen Politik und Wirtschaft erstaunlicherweise fast niemand in Frage gestellt. Der Schweiz genügt offenbar die bisherige beschränkte wirtschaftliche Beziehung zur EU. Verkannt wird dabei, dass die EU in Europa nicht nur grosses wirtschaftliches Gewicht hat, sondern – nicht zuletzt aufgrund des Kriegs in der Ukraine – auch zu einem ernstzunehmenden politischen Akteur geworden ist.

Le multilatéralisme à l’épreuve

En près de 80 ans, le monde a connu d’importants changements. Le multilatéralisme d’après-guerre, initialement dominé par l’Occident et soutenu par les États-Unis, a perdu en efficacité en raison de la mondialisation, de l’ouverture des marchés et de la décolonisation. De nouvelles rivalités systémiques sont apparues, telles que le terrorisme, les sanctions et la manipulation de l’opinion publique. Ces éléments ont affaibli les principes fondamentaux de l’ordre multilatéral, tels que l’état de droit et le respect des traités. De plus, avec l’émergence de la Chine en tant que puissance mondiale, un nouvel ordre multilatéral asiatique se dessine, mais ses objectifs et ses relations avec l’ordre d’après-guerre restent flous. Les questions se posent quant aux relations entre la Chine et les États-Unis, au rejet des valeurs occidentales par la Chine et la Russie, à la course effrénée aux armements, au rôle des États après la pandémie, à la démondialisation en cours et à l’impact sur le bien-être des populations, ainsi qu’à la position des petites et moyennes puissances face à la confrontation des blocs majeurs. Dans ce contexte, la situation de la Suisse suscite également des interrogations.

Notre membre du comité directeur Jean Zwahlen aborde ces thèmes dans son mémo “Le multilatéralisme à l’épreuve”. Vous pouvez le lire ici.

Le multilatéralisme à l’épreuve

 

Europäischer Aussenseiter Schweiz von Daniel Woker

Hier finden Sie den neuen Artikel von Daniel Woker, Vorstandsmitglied der AS, der in The Market/NZZ publiziert wurde.

Über Sachprobleme hinaus sind es drei strukturelle Gründe, warum die Schweiz als isolierter europäischer Aussenseiter dasteht: Nichtteilnahme, Innen-statt Aussenpolitik sowie mangelndes Verständnis für Europa. Das hat auch wirtschaftliche Konsequenzen.

Meinungsumfragen zeigen, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizermehr für die Ukraine tun will, auch militärisch, und dass diese Mehrheit Einvernehmen mit der EU will.

Die offizielle schweizerische Aussenpolitik scheint dies nicht zur Kenntnis zunehmen; somit bleibt die Schweiz in diesen zwei weitaus wichtigsten Dossiers ihrer Aussenbeziehungen blockiert. Jenseits der dafür immer wieder angeführten Sachprobleme von Neutralität bis zur Arbeitszeitregelung im Binnenmarkt sind dafür mangelnde Teilnahme an und Verständnis für Europa verantwortlich.

Im Gegensatz zu allen anderen europäischen Staaten ist die Schweiz und speziell ihre Minister, also der Bundesrat und seine Staatssekretärinnen in den beiden ausschlaggebenden Organisationen nicht präsent, in denen Europa seine Interessenwahrnimmt und verteidigt: in der EU und in der Nato. Das führt zu den dreifolgenden strukturellen Problemen: Mangelnder Kontakt, Innen- statt Aussenpolitik, Europa sind auch wir.

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Personenfreizügigkeit und Streitbeilegung in den Bilateralen III

Thomas Cottier und Christian Etter sprachen am 8.6.23 am Europa-Institut Basel über das Verhältnis von Personenfreizügigkeit und Streitbeilegung. Nach einer Einführung durch Prof. Christa Tobler betonten das Referat und die Kommentare von Christian Etter die Bedeutung der Opt-out Möglichkeiten, welche es der Schweiz Dank dem Streitbeilegungsverfahren erlauben, punktuell von übernommenen EU Recht abzuweichen, etwa im Sozialrecht der Freizügigkeit oder auch im Lohnschutz.  Sie kann damit gesetzlich flankierende Massnahmen durchsetzen, wobei sie dann verhältnismässige Ausgleichsmassnahmen in Kauf nehmen muss. Ob diese verhältnismässig sind, entscheidet abschliessend das Schiedsgericht. Der Anlass befasste sich auch mit der Rolle des Europäischen Gerichtshofes. Seine Funktion beschränkt sich in der Streitbeilegung auf die Auslegung des EU Rechts (Verordnungen, Richtlinien) und nur dort, wo bilaterale, völkerrechtliche Verträge bewusst Begriffe des EU Rechts übernehmen. Da der Gerichtshof eine Auslegung finden muss, die für alle Mitgliedstaaten der EU und des EWR Geltung hat, ist seine Tätigkeit per se nicht gegen die Schweiz gerichtet. Die Angst vor fremden Richtern ist daher unbegründet, ebenso die Auffassung, dass das paritätische Schiedsgericht keine eigenständige Funktion habe. Der Anlass wurde gemeinsam mit dem Europa-Institut Basel organisiert.

Freizügigkeit und Streitbeilegung

Die Neutralität der Schweiz im Ukraine Krieg

Thomas Cottier sprach am 3. Juni 23 vor der Mitte Partei des Kantons Zürich über die Neutralität der Schweiz im Ukraine Krieg. Das Referat umfasst eine kritische Auseinandersetzung mit der Haltung des Bundesrats aus historischer und juristischer Sicht und legte die Zusammenhänge von Neutralitätspolitik und Neutralitätsrecht dar. Das Referat plädiert dafür, die Frage der Neutralität von der Sicherheitspolitik her anzugehen und befürwortet einen NATO Beitrag und eine engere Zusammenarbeit mit der EU in der Sicherheitspolitik. Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Uetiliberg haben die Ausführungen gut aufgenommen.

Neutralität der Schweiz im Ukrainekrieg