Gastbeitrag von ASE-Mitglied Markus Mohler : « Rahmenabkommen: Es droht ein demokratiepolitischer GAU »
Sollte die EU nicht zu weiteren Verhandlungen bereit sein, droht Ungeheuerliches: Mit Blick auf das Treffen von Bundespräsident Parmelin mit EU-Kommissionspräsidentin van der Leyen wurde im Voraus von einem Scheitern geschrieben und geredet. Bestimmte Kreise fordern unumwunden den Abbruch der Verhandlungen. Was bedeutet das?
Entgegen der wie ein Mantra ständig wiederholten Chancenlosigkeit des Rahmenabkommens in einer Volksabstimmung, was jedoch bloss herbeigeredet, aber in keiner Weise dargetan wird, gibt es eine grosse Zahl von Befürwortern in der Bevölkerung ebenso wie in der Wirtschaft und in der Wissenschaft. Ihnen allen ist klar, welche grossen und derzeit auch nicht genau kalkulierbaren Risiken die Schweiz eingeht, wenn sie das Rahmenabkommen ablehnt. Aber ihnen allen soll mit der Forderung nach Abbruch der Verhandlungen das demokratische Recht, über den Vertrag abzustimmen, vorenthalten werden. Schlimmer noch: Während die gleichen Kreise im Zusammenhang mit der Covid-19-Bekämpfung ein volles Mitbestimmungsrecht des Parlamentes forderten, wollen sie jetzt dem Parlament seine verfassungsrechtliche Zuständigkeit der Debatte und Abstimmung über dieses Rahmenabkommen vorenthalten. Offenbar ist die Angst gross, dass eine Mehrheit im Parlament und im Volk anderer Meinung sein könnte. Also wollen sie beiden das Stimmrecht gleich entziehen. Das ist demokratiepolitisch unerträglich. Aber keine der Parteien macht auf dieses Problem aufmerksam. Nur rühmen sie ständig die einzigartige Demokratie, die wir hätten.
Auch dies trifft so nicht zu, wie gerade an diesem Beispiel gezeigt werden kann: Lehnt der Bundesrat ab, den Vertrag zu unterschrieben, ist das Projekt eines Rahmenabkommens über die dynamische (nicht automatische!) Weiterentwicklung von fünf der insgesamt 16 bilateralen Abkommen gescheitert. Diese fünf Abkommen (Personenfreizügigkeit, Land- und Luftverkehr, Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Konformitätsbewertungen) würden nach und nach veralten, mit der Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmen und schliesslich obsolet. Es drohte von Seiten der EU letztlich deren Kündigung. Damit würde dem Souverän aber auch von vornherein die Möglichkeit der demokratischen Entscheidung genommen, ob eine Weiterentwicklung eines oder mehrerer der Abkommen zu übernehmen sei oder nicht.
Unterzeichnet der Bundesrat das Abkommen, würde er es mit einer Botschaft, in der die Folgen bei Annahme und Ablehnung aufgezeigt werden müssen, dem Parlament unterbreiten. Dann könnte zum ersten Mal wirklich en connaissance de cause darüber debattiert werden. Damit wäre der direkten Demokratie aber noch nicht genüge getan: Denn lehnt eine Parlamentsmehrheit das Abkommen ab, würde dem Souverän, der stimmberechtigte Bevölkerung, ebenso ihr Recht des Entscheidens vorenthalten, da gegen diesen Beschluss kein Referendumsrecht besteht.
Hier liegt ein wesentlicher Mangel in unserem demokratischen Rechtsgefüge: es fehlt die Möglichkeit eines entsprechend gestalteten konstruktiven Referendums: Mit einem solchen könnte auch der ablehnende Beschluss des Parlamentes über das Rahmenabkommen zumindest mit einem fakultativen Referendum dem Souverän zur Abstimmung vorgelegt werden. Diese Möglichkeit besteht leider nicht.
Demzufolge gibt es nur einen Weg, die direkte Demokratie auch in dieser strategisch unerhört wichtigen Frage zu verwirklichen, im eigentlichen Sinn zu retten: Der Bundesrat, selbst wenn er mehrheitlich gegen eine Übernahme wäre, müsste das Abkommen unterzeichnen und dem Parlament vorlegen. Und im Parlament müssten auch jene, die das Abkommen ablehnen, dafür stimmen, um der direkten Demokratie eine Chance zu geben. Alles andere käme unter Berücksichtigung der grossen Zahl von Befürwortern einem demokratiepolitischen GAU gleich.