Blochers finale politische Schlachten von Daniel Woker

SVP-Vordenker Christoph Blocher versucht, auf drei Gebieten die schweizerische Aussenpolitik in seinem nationalkonservativen und europafeindlichen Sinn erstarren zu lassen. Zeit deshalb, ihm entschlossen entgegenzutreten.

Es sind gleich drei Felder, auf denen SVP-Doyen Christoph Blocher mit seinen Gesinnungsgenossen von Pro Schweiz sowie rechtsbürgerlichen Unternehmern, die sich vor EU-Regelungen für ihre Finanzgeschäfte fürchten, seine letzte Schlachten für eine Schweiz von nationalkonservativen und europafeindlichen Sonderlingen schlagen will: Die Versenkung der Bilateralen III, bei denen ihm eine kurzsichtige Linke hilft; seine sogenannte Neutralitätsinitiative, bei der mit Hilfe eines in der Schweiz sakrosankten Begriffs die Beziehungen zur EU irreparabel beschädigt werden sollen und bei der ihm naive Pazifisten zu Hilfe kommen; schliesslich die sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative, welche mit dem Schreckbild aussereuropäischer illegaler Migranten den freien Personenverkehr mit der EU verunmöglichen soll.

Seit dem verhängnisvollen Nein zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) muss mit temporärem Flickwerk die für die Schweiz überlebenswichtige Beteiligung am europäischen Binnenmarkt immer wieder neu erkämpft werden. Die Bilateralen III, im Moment noch in Verhandlung begriffen, sind eine für die Schweiz bemerkenswert günstige Fortsetzung dieses Prozesses. Dagegen Sturm zu laufen, wie dies Blocher & Co. und leider auch ein selbstverliebter Gewerkschafts-Potentat tun, bedeutet die fahrlässige Infragestellung unseres Wohlstandes. Und die weitere Isolation der Schweiz in einem Europa, das sich wegen der Aggression von Putin und in der Perspektive eines möglichen amerikanischen Präsidenten Trump enger zusammenschliesst.

Die Schweizerinnen und Schweizer sind für die Neutralität, aber jede und jeder versteht darunter etwas anderes. Blocher macht sich diese vage Zustimmung zu einem traditionellen Begriff zunutze. Seine sogenannte Neutralitäts-Initiative, die alle Sanktionen gegen Aggressoren unter den Staaten der Welt, so aktuell Russland, ausschliesst, muss damit als «Pro-Putin-Initiative» bezeichnet werden. Ihre Annahme würde die schweizerische Aussenpolitik entmündigen. Sie wäre zudem völkerrechtswidrig, da damit das Gebot in der Uno-Charta, Aggressoren zu bestrafen und Aggressionsopfer Beistand zu leisten, verletzt würde. Diese Charta ist für die künftige, anzupassende Neutralität der Schweiz entscheidend, nicht die überholten Haager Abkommen von 1907.

Der freie Personenverkehr mit dem EU-Europa ist für die Schweiz ebenso lebenswichtig wie der Anschluss an den Binnenmarkt. Ohne spezialisierte Fachkräfte aus der EU, ohne deutsche Ärzte, osteuropäisches Pflegepersonal und Bauarbeiter aus Südeuropa würde die Schweiz stillstehen. Das mit Blochers sogenannter Nachhaltigkeits-Initiative tatsächlich angestrebte Ziel der Kündigung des freien Personenverkehrs mit der EU würde das Ende der offenen Schweiz bedeuten.

Blocher will vor seinem Abgang von der schweizerischen Politbühne unsere Aussenpolitik endgültig in seinem rechtsnationalistischen, europafeindlichen Sinn erstarren lassen. Dafür stellt er unbegrenzte Finanzen zur Verfügung. Zeit, dass ihm entschlossen und mit den nötigen Mitteln entgegengetreten wird.

Bundesrat Beat Jans

Bilaterale III: Sommerlicher Sturm im Wasserglas von Martin Gollmer

Justizminister Beat Jans und Altbundesrat Ueli Maurer vertreten in der NZZ unterschiedliche Meinungen zu den Bilateralen III. Die Journalisten freuts. Sie greifen die Kontroverse zwischen den beiden Politgrössen angesichts des Sommerlochs in Bundesbern noch so gerne auf.

 

Scheinbar Unerhörtes ist geschehen in der schweizerischen Europapolitik: Ein Mitglied der Landesregierung, nämlich Bundesrat Beat Jans (SP), hat in einem Gastkommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ; 23. Juli 2024) eine Lanze gebrochen für das neue bilaterale Vertragspaket, über das Bern und Brüssel gegenwärtig verhandeln. «Warum wir die Bilateralen III brauchen», heisst der Titel des bundesrätlichen Meinungsartikels. Darin stellt Jans allerlei «falsche Behauptungen» richtig, die in den Medien und in der weiteren Öffentlichkeit kursieren – etwa zur Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Streitbeilegung, in der dynamischen Rechtsübernahme und in der Zuwanderung.

Jans’ Ausführungen gipfelten in der Aussage, dass man in einer vernetzten und komplizierten Welt die Souveränität stärke, wenn man die Beziehungen zu wichtigen Partnern kläre, verstetige und verbessere. Das gelte ganz besonders für ein kleines Land wie die Schweiz. «Wir bleiben (beziehungsweise werden) souveräner – also handlungsfähiger –, wenn wir unsere Beziehungen mit dem grossen Nachbarn regeln.»

 

«Sämtliche Alarmglocken läuten»

 

Das rief Alt-Bundesrat Ueli Maurer (SVP) mit einer Replik unter dem Titel «Berns EU-Kurs muss gestoppt werden» auf den Plan. Jans’ Meinungsbeitrag lasse «sämtliche Alarmglocken läuten», schrieb er ebenfalls in der NZZ (26. Juli 2024). Der Bundesrat sei nämlich in den laufenden Verhandlungen mit der EU-Kommission drauf und dran, die im Jahr 2021 im geplatzten institutionellen Rahmenabkommen bestrittenen Forderungen der Europäischen Union zu übernehmen. «Jetzt scheint der Wind zu kehren», vermutet Maurer.

Als «schon fast eine bösartige Verzerrung der Fakten» bezeichnet Maurer Jans’ Aussage, mit den Bilateralen III werde die helvetische Souveränität gestärkt. «Wie soll die Souveränität, die Selbstbestimmung der Schweizerinnen und Schweizer, gestärkt werden, wenn Entscheidungen statt bei uns in Brüssel gefällt werden?», fragte der pensionierte SVP-Magistrat provokativ.

Maurer stiess sich in seiner Replik auch daran, dass Jans in seinem Meinungsbeitrag das Wort «Bilaterale III» im Titel verwendete. «Offensichtlich bemüht der Justizminister einen positiv besetzten Begriff, um dem ungeliebten Vertragspaket Akzeptanz zu verschaffen», mutmasste Maurer.

 

«Gut eidgenössischer Zoff»

 

Ein Teil der Medien nahm angesichts des politischen Sommerlochs in Bern die Kontroverse zwischen Jans und Maurer dankbar auf. «EU-Frage sorgt für gut eidgenössischen Zoff», titelte etwa der «Blick» (27. Juli 2024). «Es ist verhandlungstaktisch höchst ungeschickt, wenn Beat Jans als nicht dossierzuständiger Vertreter der Landesregierung der Gegenseite noch vor Verhandlungsabschluss und Positionsbezug des Gesamtbundesrats signalisiert, dass die Schweiz quasi jedes Resultat brauche und folglich akzeptieren würde», zitiert die Boulevardzeitung in ihrem Artikel FDP-Präsident Thierry Burkart.

Aber auch Maurer kriegt sein Fett weg. Burkart ärgert sich im «Blick», dass ein ehemaliger Bundesrat sich in die Diskussion einmischt und einem aktiven Bundesrat öffentlich widerspricht. Beide, Jans und Maurer, würden reine Parteipolitik machen und hätten «ihre Rolle als Bundesrat und als ehemaliger Bundesrat offenbar noch nicht gefunden», meint Burkart. Sie würden «nicht magistral» agieren.

Der «Blick» lässt auch Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zu Wort kommen. Sie glaubt nicht, dass der öffentliche Positionsbezug von Jans den Verhandlungen schadet. Dieser widerspiegle nur den Stand der Dinge, wie er nach dem Ende der Sondierungsgespräche zwischen Bern und Brüssel im sogenannten Common Understanding festgehalten worden sei. «Es ist wichtig, dass wir schon jetzt eine breite Debatte zu diesem Thema führen, nicht erst, wenn das Abkommen ins Parlament kommt», urteilt Schneider-Schneiter. Angesichts der Negativkampagne der SVP und weiteren nationalkonservativen Kreisen sei es «notwendig, dass auch gewichtige Befürworter sich zu Wort melden».

 

Warum Jans und nicht Cassis?

 

Die rechtsliberale Elitezeitung NZZ liess es nicht bei den Gastkommentaren von Jans und Maurer bewenden. Sie zog mit einem Artikel mit dem Untertitel «Der Altbundesrat greift den Justizminister wegen dessen Aussagen zur Europapolitik frontal an» nach (27. Juli 2024). Darin resümiert sie nochmals die Positionen der beiden Politiker. Und sie schreibt, hinter dem öffentlich ausgetragenen Krach stecke mehr als das berüchtigte Temperament des ehemaligen SVP-Präsidenten. Denn die Aussagen von Jans seien nicht nur Maurer in den falschen Hals geraten. Auch in anderen EU-kritischen Kreisen würden sie hitzig diskutiert. So habe etwa der Transportunternehmer Hans-Jörg Bertschi von der Vereinigung Autonomiesuisse Jans’ Ausführungen zum EuGH als «Fake News» bezeichnet. Die NZZ erwähnt auch noch die rechte Satirezeitschrift «Nebelspalter», die den Bundesrat zum «Löli des Tages» ernannt hat.

Die NZZ orakelt schliesslich darüber, warum Jans und nicht der dossierzuständige Ignazio Cassis (FDP) das Plädoyer für die Bilateralen III geschrieben hat. Mit diesem und der Bundeskanzlei sei der Text «offenbar abgesprochen» gewesen, meint die NZZ zu wissen. Vielleicht habe der seit Monaten schweigende Aussenminister seinen Kollegen sogar ermuntert den Artikel zu schreiben und dabei den Begriff «Bilaterale III» einzuführen. Cassis habe sich bisher nicht getraut, das zu tun, weil die EU die Bezeichnung nicht gern höre. Cassis bildet zusammen mit Jans sowie dem Wirtschafts- und Forschungsminister Guy Parmelin (SVP) den Europaausschuss des Bundesrats.

 

Wozu all die Aufregung?

 

Die Aufregung über den Meinungsbeitrag von Jans überrascht. Der Justizminister hat nichts anderes getan als für ein geplantes Vertragspaket mit der Europäischen Union einzustehen, das die Landesregierung in ihrer Mehrheit will. Sonst würde sie nicht mit der EU-Kommission darüber verhandeln. Ebenso unverständlich ist das Aufheben über die Kontroverse zwischen Jans und Maurer. Dass Verfechter unterschiedlicher Standpunkte ihre Meinung öffentlich in den Medien kundtun, gehört zum Wesen der Demokratie. So gesehen haben Jans und Mauerer wohl nur einen sommerlichen Sturm im Wasserglas verursacht.

Dies gesagt, ist es von bleibendem Wert weit über den Sommer hinaus, dass Jans als Bundesrat Leadership im besten Sinn zeigt und dabei all den Zögernden im Lande sachlich die Argumente für die Notwendigkeit der Bilateralen III darlegt. Dass dies als Fake-News bezeichnet und mit Blick auf den 1. August postwendend als Angriff auf die Vorherrschaft der SVP in der Europafrage abgetan wird, belegt das heute tiefe Niveau der schweizerischer Debattenkultur. Ohne sich mit den Argumenten von Jans eingehend auseinanderzusetzen, ohne neue Argumente vorzutragen, geht man entweder zum Zweihänder über oder hält sich gut eidgenössisch bedeckt. Der differenzierte Artikel von Jans ist deshalb ein höchst willkommener Beitrag zur Debatte über die Bilateralen III. Erstmals hat sich damit seit 2021 ein Bundesrat öffentlich für den erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit der EU eingesetzt und sein Engagement für das angestrebte bilaterale Vertragspaket offengelegt.