Auch die Hausaufgaben müssen gemacht werden von Martin Gollmer
Der Bundesrat hat den Entwurf des Verhandlungsmandats für ein neues bilaterales Vertragspaket mit der EU verabschiedet. Damit ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung des gestörten Verhältnisses zwischen der Schweiz und der EU getan. Gleichwohl dürften die kommenden Verhandlungen mit der EU-Kommission schwierig werden – vor allem aus schweizerisch-innenpolitischen Gründen.
Das Positive vorneweg: Die Schweiz will mit der EU über ein neues bilaterales Vertragspaket verhandeln. Das ist klar, nachdem der Bundesrat am Freitag, 15. Dezember, den Entwurf eines entsprechenden Verhandlungsmandats verabschiedet hat. Zweieinhalb Jahre nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU und eineinhalb Jahr nach dem Beginn von Sondierungsgesprächen mit der EU über ein neues Vertragspaket ist das eine gute Nachricht. Endlich scheint es vorwärts zu gehen in den lange Zeit gestörten Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU.
Das Paket, das in der Öffentlichkeit den Namen «Bilaterale III» erhalten hat, umfasst unter anderem die Aktualisierung der fünf bestehenden Binnenmarktabkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit, zum Abbau technischer Handelshemmnisse, zum Land- und Luftverkehr sowie zur Landwirtschaft. Zudem sollen zwei neue Binnenmarktabkommen mit der EU abgeschlossen werden in den Bereichen Strom und Lebensmittelsicherheit. Auf den Gebieten Forschung, Bildung, und Gesundheit sieht das Paket schliesslich Kooperationsabkommen mit der EU vor. Der vom Bundesrat der EU vorgeschlagene Paketansatz der Bilateralen III ist breiter als es der Inhalt des gescheiterten Rahmenabkommens war. Damit soll in den Verhandlungen leichter ein Ausgleich der Interessen der beiden Seiten erreicht werden können.
In der Schweiz gibt es noch Widerstand
Trotzdem: Die Verhandlungen werden schwierig werden. Dies, obwohl man sich in den insgesamt elf Sondierungsgesprächen der Chefunterhändler der beiden Seiten sowie in 46 Gesprächen auf technischer Ebene in den trennenden Fragen näher gekommen ist und «Landezonen» für ungelöste Probleme definiert werden konnten. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in der Schweiz. Innenpolitisch ist nämlich seit Beginn der Sondierungsgespräche mit der EU vor anderthalb Jahren noch nicht viel erreicht worden. Noch immer gibt es hierzulande erheblichen Widerstand gegen Teile der Festlegungen, die die Schweiz und die EU im Verlauf der bisherigen Gespräche gemacht haben. Teilweise dient der Widerstand gegen die Bilateralen III auch innenpolitischen Zielen, namentlich der Ausweitung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Gesamtarbeitsverträgen. Hier deshalb eine Übersicht der wichtigsten noch umstrittenen Punkte:
- Dynamische Rechtsübernahme: Die Schweiz soll EU-Recht in den Binnenmarktabkommen fortan dynamisch übernehmen, d.h. fortlaufend und nicht nur periodisch. Die Schweiz könnte dabei weiterhin selbständig entscheiden, ob sie EU-Recht übernehmen will. Auch bliebe der Rechtsweg gegen in schweizerische Gesetze übergeführtes EU-Recht bis zu einem allfälligen Referendum offen. Verweigert die Schweiz aber die Übernahme von EU-Recht, müsste sie mit Ausgleichsmassnahmen der EU rechnen.
- Streitbeilegung: Werden sich die Schweiz und die EU bei der Auslegung von EU-Recht in den Binnenmarktabkommen nicht einig, soll in letzter Instanz der Europäische Gerichtshof (EuGH), das oberste Gericht der EU, entscheiden. Dies aber erst, wenn zuvor eine Streitbeilegung in einem gemischten Ausschuss gescheitert ist und ein paritätisch besetztes Schiedsgericht den EuGH anruft.
Gegen diese beiden institutionellen Regelungen läuft vor allem die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP) Sturm. Sie sieht die Souveränität der Schweiz bedroht und fürchtet, dass «fremde Richter» hierzulande Recht sprechen könnten. Der Milliardär Alfred Gantner, Gründer der Private-Equity-Firma Partners Group und Mitglied der EU-skeptischen Vereinigung «Kompass/Europa», erwägt diese institutionellen Regelungen mit einer Volksinitiative zu bekämpfen, wie er dem «SonntagsBlick» sagte.
- Lohnschutz: Aus der EU entsandte Arbeitnehmer sollen in der Schweiz für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten wie hiesige Arbeitskräfte. Spesen müssten jedoch nur nach den Ansätzen des Heimatslandes und nicht nach den Gepflogenheiten des Gastlandes bezahlt werden. Damit würden dem Lohndumping Tür und Tor geöffnet, fürchten die schweizerischen Gewerkschaften und kämpfen deshalb gegen das Verhandlungspaket an. Immerhin lässt sich sagen, dass diese Spesenregelung gegen den Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit verstösst und auch innerhalb der EU umstritten ist. Hier ist das letzte Wort noch kaum gesprochen. Verstösse gegen das Entsenderecht könnten von den schweizerischen Behörden mit Bussen geahndet werden. Um diese sicherzustellen, mussten ausländische Firmen, die Arbeitnehmer in die Schweiz entsenden, bisher generell eine Kaution hinterlegen. Neu sollen diese Kaution nur noch Firmen leisten müssen, die schon einmal straffällig geworden sind. Die Gewerkschaften sehen darin eine weitere Abschwächung des Lohnschutzes.
- Landverkehr: Die Schweiz soll den internationalen Schienenpersonenverkehr öffnen. Das heisst, dass künftig auch ausländische Bahnunternehmen eigenständig Bahnverbindungen in die Schweiz anbieten können. Bisher konnten sie dies nur in Kooperation mit den SBB. Ausländische Bahnunternehmen müssten aber die hiesigen Lohn- und Arbeitsbedingungen einhalten. Auch müssten sie den Taktfahrplan und die Tarife in der Schweiz (bspw. Generalabonnement und Halbtax-Abonnement) berücksichtigen. Die Gewerkschaften fürchten trotzdem eine Schwächung des hiesigen Service Public im öffentlichen Verkehr.
- Kohäsionszahlung: Die in den Sondierungsgesprächen besprochene Lösung sieht vor, dass ein rechtsverbindlicher Mechanismus für regelmässige Schweizer Beiträge zugunsten wirtschaftlich schwächerer EU-Mitgliedstaaten ausgehandelt werden soll. Die Ausgestaltung eines solchen Mechanismus wurde aber noch nicht definiert. Gleiches gilt für die Eckwerte des nächsten Schweizer Kohäsionsbeitrags, wie bspw. Dauer, Höhe, zu begünstigende Länder oder thematische Prioritäten. Wird die Rechnung für die Schweiz zu teuer, könnte in der Bevölkerung breiter Widerstand gegen das Verhandlungspaket entstehen.
Breite europapolitische Allianz vonnöten
In den anstehenden Verhandlungen auf die Bedenken der SVP Rücksicht zu nehmen, ist vergebene Mühe, auch wenn sie die mit Abstand wählerstärkste Partei in der Schweiz ist. Die SVP stemmt sich nämlich gegen jegliche Annäherung an die EU. Ob man den Gewerkschaften in den Verhandlungen entgegenkommen kann, ist fraglich, weil auch die EU ihre roten Linien hat. Vielleicht liessen sie sich mit einer Ausweitung der Gesamtarbeitsvertragspflicht in der Schweiz zum Einlenken bewegen. Aber dagegen wehrten sich bisher die Arbeitgeberverbände. Hier sind Bundesrat und Parlament gefordert.
Bleibt es beim Widerstand von SVP und Gewerkschaften, dürfte es schwierig werden das zukünftige Verhandlungsergebnis mit der EU durch eine allfällige Volksabstimmung zu bringen. Dies, obgleich sich in Umfragen stets über 60 Prozent für ein Abkommen und stabile Beziehungen mit der EU ausgesprochen haben und der taktische Widerstand der Gewerkschaften nicht überschätzt werden kann. Trotzdem bleibt es wichtig, dass sich schon jetzt eine möglichst breite Koalition der europapolitischen Vernunft zugunsten der Bilateralen III bildet. Dieser sollten alle Mitte-Links-Parteien inklusive der gewerkschaftsnahen SP sowie die Wirtschaftsverbände angehören. Nur dann wird das vom Bundesrat aufgegleiste Verhandlungspaket mit der EU vor dem Volk eine Chance haben.
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