NATO: Der Kommunikation müssen Taten folgen von Thomas Cottier  

Mit den Auswirkungen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und des Beitritts von Finnland und Schweden zur NATO auf die Kommunikation des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses befasste sich in Bern eine Veranstaltung mit der ehemaligen NATO-Mediensprecherin Oana Lungescu. In der Diskussion kam auch die neutralitätsbedingt zurückhaltende Rolle der Schweiz im Ukrainekrieg zur Sprache.

«Communicating in Dangerous Times: NATO from Russia’s Aggression to Welcoming Finland and Sweden»: Unter diesem Titel referierte am 24. Oktober 2024 Oana Lungescu, Mediensprecherin der NATO von 2010-2023 und heute distinguished fellow am Royal United Services Institute London (RUSI). Eingeladen ins World Trade Institute (WTI) in Bern hatten die Tschechische Botschaft in der Schweiz (als hiesige Koordinatorin der NATO-Staaten) und die Vereinigung La Suisse en Europe (ASE). Die Referentin ging in ihren Ausführungen auf drei Punkte ein: den starken Wandel der NATO in den letzten zehn Jahren, den Beitritt von Finnland und Schweden und die Auswirkungen auf die Kommunikation. Die Diskussion befasste sich kritisch mit der Zurückhaltung des Westens und der Haltung und Rolle der Schweiz im Ukrainekrieg.

Bemühte sich die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion ab 1991 um eine Annäherung und Einbindung Russlands, so verhärtete sich das Klima mit der Besetzung der Krim 2014. Die Madrider NATO-Gipfel von 2022 bezeichnete Russland offen als grosse Gefahr und richtete die Allianz von der kollektiven Verteidigung auf die kollektive Abschreckung aus. Heute bestehen acht operative Battle Groups, und mit dem Beitritt Finnlands und Schweden kommt eine neunte Gruppe dazu. Die Militärausgaben steigen schrittweise auf 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP); in Polen als Frontstaat betragen sie heute bereits 4 Prozent. Die Zusammenarbeit mit Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan wird verstärkt, als Antwort auf die zunehmende Kooperation zwischen Russland, China, Iran und Nordkorea. 90 Prozent der verbauten elektronischen Komponenten in der russischen Rüstungsindustrie stammen aus China. Im Krieg gegen die Ukraine liefert Iran Dronen. Nordkorea liefert Munition, Kurzstreckenraketen und stellt jüngst 3000 Soldaten als weitere Eskalation zur Verfügung. Russland unterstützt im Gegenzug Irans und Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramme. Die westlichen Demokratien und ihre Öffentlichkeit haben die damit verbundene Gefahr noch zu wenig erkannt. Sie müssen stärker zusammenrücken und in Europa die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO weiter stärken.

Was Russlands Krieg gegen die Ukraine bewirkte   

Der Beitritt zur NATO von Finnland am 4. April 2023 und von Schweden am 7. März 2024 und deren Abkehr von der Neutralität war das direkte Ergebnis von Russlands Krieg in der Ukraine. Beide Länder waren aber bereits vorher langfristige und enge Partner der NATO.  Die gemeinsame Grenze der NATO mit Russland wird verdoppelt und die europäische Verteidigung wesentlich gestärkt. Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine das Gegenteil seiner Absichten erreicht.

Angesichts der hybriden Kriegsführung durch gezielte Desinformation ist für Oana Lungescu eine proaktive und faktenbasierte Kommunikation von zentraler Bedeutung. Man muss auch klar sagen, welchen Frieden man will. Der Kommunikation müssen Taten folgen, sonst verliert sich die Glaubwürdigkeit auch faktengestützter Kommunikation. Der Winter 2024/25 wird nicht nur für die Ukraine, sondern für den Westen entscheidend sein. Es geht um nichts weniger als die Erhaltung einer regelbasierten Ordnung in Europa und der Welt. Ein Zusammenbruch der Ukraine und die damit verbundene Gefährdung der baltischen und auch anderen europäischen Staaten hätte massive Fluchtbewegungen gegen Westen, Finanzmarkt- und Energieversorgungsstörungen zur Folge, welche die demokratische Ordnung zusätzlich gefährden und populistischen Strömungen weiter Auftrieb geben. Das Bewusstsein für diese Gefahren ist in den wohlstandsverwöhnten westlichen Demokratien noch nicht wirklich vorhanden.

Neutralität führt die Schweiz in die Isolation

Die unter Chatham House Rules durchgeführte Diskussion kritisierte die vorsichtige und zurückhaltende Haltung des Westens, welche Russlands Präsident Putin keineswegs zu eigener Zurückhaltung veranlasst. Russland hat ein mit Spanien vergleichbares Bruttosozialprodukt (BSP) und die Ukraine kann und muss so unterstützt werden, dass sie den Konflikt für sich entscheiden kann und das Selbstbestimmungsrecht zum Tragen kommt. Das atomare Säbelrasseln Putins muss als Drohgebärde realistisch eingeordnet werden. Die Diskussion befasste sich sodann mit der Kritik an den schweizerischen Restriktionen zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial, die im Ausland auf Ablehnung stossen. Die schleppende Gesetzesreform wurde mit der rasch abgewickelten Auflösung der Crédit Suisse kontrastiert; es fehle der Schweiz am politischen Willen, der Ukraine wirklich zu helfen.

Einmal mehr zeigte sich in der Diskussion, dass das tradierte Verständnis der Neutralität mit den Grundsätzen der UNO-Charta nicht vereinbar ist und das Land in die Isolation führt. Die Erfahrung von Finnland und Schweden zeigen sodann, dass der Beitritt zu einem Militärbündnis in Krisenzeiten beschleunigt werden kann, aber von langer Hand vorbereitet sein muss. Wenn die Schweiz glaubt, dass sie ein Bündnis erst nach erfolgtem Angriff an die Hand nehmen will, so ist sie klar auf dem Holzweg. Dazu kommt, dass die heutigen hybriden Bedrohungen sich einer klaren Unterscheidung von Krieg und Frieden entziehen.

Als Schweizer und Schweizerin verliess man die Veranstaltung mit dem klammen Gefühl, dass die Gefahren des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in der Schweiz im öffentlichen Bewusstsein nicht hinreichend angekommen sind. Der Bundesrat und das Parlament verhindern mit ihrer Neutralitätspolitik eine klare Sicht auf die vorhandene Bedrohung für die Demokratie. Eine klarere, realistische und faktenbasierte und proaktive Kommunikation ist erforderlich. Die Hoffnung, als Sonderfall verschont zu bleiben, ist ein gefährlich frommer Wunsch.

Der Vortrag am WTI wurde von rund 50 eingeladenen Personen besucht aus Parlament, Bundesverwaltung und diplomatischen Vertretungen in Bern sowie von Studierenden am WTI und Mitgliedern der ASE.

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