Ein David gegen zwei Goliaths von Martin Gollmer

Zwei schwerreiche Unternehmer ziehen gegen eine bilaterale Annäherung der Schweiz an die EU ins Feld: Ex-Ems-Chemie-Chef Christoph Blocher und seine SVP sowie neu auch Alfred Gantner mit Mitstreitern von der Private-Equity-Gesellschaft Partners Group mit ihrer Vereinigung Kompass/Europa. Gegen die beiden tritt eine finanziell wesentlich kleinere Brötchen backende Allianz um die GLP-Politikerin Sanija Ameti und ihre Operation Libero an. Die Allianz hatte im Frühjahr 2024 eine Initiative für eine aktive und ambitionierte Europapolitik der Schweiz lanciert.

Dem Bilateralismus, den die Schweiz seit 25 Jahren im Verhältnis zur EU pflegt, weht ein immer steiferer Wind entgegen: Neu will nun auch die EU-skeptische Vereinigung Kompass/Europa dagegen antreten. Sie hat Anfang Oktober die «Kompass-Initiative: für eine direkt-demokratische und wettbewerbsfähige Schweiz – keine EU-Passivmitgliedschaft» lanciert. Damit soll verhindert werden, dass die Schweiz «automatisch» EU-Recht übernimmt und der Europäische Gerichtshof (EuGH) als «oberste gerichtliche Instanz» in den Beziehungen Schweiz-EU eingesetzt wird. Das beeinträchtige die Souveränität der Schweiz und untergrabe die hierzulande gepflegte direkte Demokratie.

Mit der Kompass-Initiative soll zudem erreicht werden, dass «völkerrechtliche Verträge, die eine Übernahme wichtiger rechtssetzender Bestimmungen vorsehen» dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Die Bilateralen III, über die die Schweiz und die EU gegenwärtig verhandeln, müssten damit die Zustimmung einer Mehrheit von Volk und Ständen (Kantonen) erhalten, um in Kraft treten zu können. Mit einer Rückwirkungsklausel soll zudem sichergestellt werden, dass bei einer allfälligen Annahme der Kompass-Initiative nach Inkrafttreten der Bilateralen III diese nur Bestand hätten, wenn sie in einem obligatorischen Referendum mit Mehrheit von Volk und Ständen angenommen wurden. Ein Blick auf die Website von Kompass/Europa zeigt, dass es dabei nicht um möglichst viel Demokratie geht, sondern um möglichst keine Bilaterale III: «Die Bewegung spricht sich klar gegen ein Rahmenabkommen 2.0 aus und engagiert sich kraftvoll und entschieden dagegen.»

Verfassungsrechtlich hebelt die Initiative den Grundsatz des Parallelismus der Formen aus: So unterliegen heute Staatsverträge den gleichen Kriterien wie innerstaatliche Erlasse für das Referendum. Die Initiative will dies nun für Staatsverträge verschärfen und alle wichtigen Verträge dem obligatorischen Referendum von Volk und Ständen unterbreiten – selbst wenn es sich um Bestimmungen technischer Natur handelt wie z.B. Produkte- oder Produktionsstandards. Im Ergebnis wird die EU unter solchen Bedingungen an Verhandlungen mit der Schweiz kein Interesse haben. Die Schweiz kann dann solche Normen einseitig nachvollziehen, aber ohne Wirkung im EU-Binnenmarkt – ganz zum Nachteil von Unternehmen mit Standort Schweiz.

Verbreitung von Unwahrheiten

Auf der Website der Kompass-Initiative finden sich auch allerlei – wohl bewusst eingestreute – Unwahrheiten. Zwei Beispiele: So soll EU-Recht in Zukunft «automatisch» von der Schweiz übernommen werden müssen. Das ist falsch. Dynamische Rechtsübernahme heisst nicht automatisch, sondern fortlaufend (statt wie bisher nur periodisch). Dabei müssen Bundesrat, Parlament und – sofern das Referendum ergriffen wird – das Volk in jedem Fall zustimmen. Der (direkt-)demokratische Prozess in der Schweiz wird also nicht ausser Kraft gesetzt. Die Schweiz bleibt souverän und kann jederzeit die Übernahme von EU-Recht ablehnen. Allerdings müsste sie dann mit Ausgleichsmassnahmen der EU rechnen. Dies um zu verhindern, dass die Schweiz bei jeder erstbesten Gelegenheit ein Extrazüglein fährt.

Auch wird der EuGH nicht «oberste gerichtliche Instanz» in den Beziehungen Schweiz-EU, wie das Initiativ-Komitee behauptet. Er kommt nur dann und nur bei sogenannten Binnenmarktabkommen zum Zug, wenn sich die Schweiz und die EU im Streitfall in einem Schiedsgerichtverfahren nicht über die Auslegung von Begriffen des EU-Rechts einigen können. Abschliessend entscheidet in jedem Fall ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht, das sich dabei an die Begriffsauslegung des EuGH halten muss.

Die Kompass-Initiative nimmt für sich in Anspruch, die Standortvorteile der Schweiz zu «sichern» – die hiesigen Unternehmen hätten «auch ohne spezifische Verträge Zugang zum EU-Markt». In Tat und Wahrheit verschlechtern sich die Standortvorteile der Schweiz, wenn die Initiative angenommen würde. Die schweizerischen Unternehmen verlören die kostensparende hindernisfreie Beteiligung an wichtigen Teilen des Binnenmarkts – einen Zugang, den Unternehmen aus anderen Nicht-Mitgliedstaaten der EU so nicht haben. Die schweizerischen Unternehmen büssten so im Verkehr mit der EU Wettbewerbsvorteile ein. Das trifft vor allem KMU und damit das Rückgrat der schweizerischen Volkswirtschaft.

Angst vor strengen EU-Regeln

Wenn es darum geht, Standortvorteile zu sichern, dann dürfte es den Initianten der Kompass-Initiative vor allem um die Vorteile für ihr eigenes Geschäft gehen. Alfred Gantner sowie seine Mitstreiter Marcel Erni und Urs Wietlisbach, die die Vereinigung Kompass/Europa ins Leben gerufen haben, sind auch die Gründer der in Baar im Kanton Zug ansässigen Private-Equity-Gesellschaft Partners Group. Mit dieser auf Privatmarktanlagen spezialisierten Firma haben sie es zu einem Milliardenvermögen gebracht. Sie wollen mit möglichst hohen Hürden für neue bilaterale Verträge mit der EU verhindern, dass die Schweiz als heutiger sicherer Hafen dereinst auch die Bestimmungen für Finanzdienstleistungen von der EU übernimmt. Diese sind dort strenger reguliert als in der Schweiz.

Souveränität bewahren, direkte Demokratie erhalten, Standortvorteile sichern – von den Schalmeienklängen der drei Finanzhaie aus der Innerschweiz haben sich auch mehrere Schweizer Prominente verführen lassen. So unterstützen etwa die Ex-Skirennfahrer Bernhard Russi und Urs Lehmann, der Ex-Fernsehmoderator Kurt Aeschbacher sowie die Musiker Dieter Meier (Yello) und Chris von Rohr (Krokus) die Kompass-Initiative. Das macht diese nicht besser. Die Boulevardzeitung «Blick» hat nämlich mit den meisten dieser Prominenten gesprochen und dabei herausgeschält, dass sich diese bisher kaum mit dem Bilateralismus Schweiz-EU beschäftigt haben und deshalb von der Sache nur wenig verstehen. «Das ist nicht mein Metier, da habe ich zu wenig Ahnung», sagte etwa Dieter Meier.

Kampf für eine souveräne Schweiz

Gantner und Mitstreiter sind mit ihrer Vereinigung Kompass/Europa nicht die einzigen schwerreichen Unternehmer, die gegen die Bilateralen III ins Feld ziehen. Da sind auch noch Christoph Blocher und die von ihm aus dem Hintergrund mitgelenkte SVP. Blocher brachte es als ehemaliger Besitzer des in Domat/Ems im Kanton Graubünden ansässigen Spezialitätenchemiekonzerns Ems Chemie zu einem Milliardenvermögen. Blocher und die SVP schiessen aus allen Rohren gegen das neue bilaterale Vertragspaket, über das die Schweiz und die EU gegenwärtig verhandeln. Mit diesem Paket will die Schweiz unter anderem den hindernisfreien Zugang zu Teilen des EU-Binnenmarkts sichern und ausbauen sowie die Wiederaufnahme in die Forschungs- und Bildungsprogramme der EU erreichen.

Blocher unterstützt auch die von der SVP lancierte sogenannte Nachhaltigkeitsinitiative gegen eine 10-Millionen-Einwohner-Schweiz. Würde sie angenommen, müsste die Schweiz eventuell das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU kündigen. Dieses ist eines der Kernelemente der bilateralen Verträge und mitverantwortlich für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Schweiz. Die SVP mit Doyen Blocher im Hintergrund steht auch hinter der Grenzschutzinitiative, mit der die illegale Migration in die Schweiz bekämpft werden soll. Sie fordert etwa die Wiedereinführung systematischer Grenzkontrollen. Zudem sollen Migranten, die über einen sicheren Drittstaat einreisen, keine Einreise und kein Asyl mehr gewährt werden. Die Grenzschutzinitiative stellt damit die Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen mit der EU in Frage – zwei weitere Kernelemente der bilateralen Verträge.

Blocher sieht die Eigenart der Schweiz – wie sie etwa in der direkten Demokratie, dem föderalistischen Staatsaufbau oder der immerwährenden Neutralität zum Ausdruck kommt – bedroht, wenn sich die Schweiz der EU annähert. Er tritt deshalb für eine möglichst souveräne und eigenständige Schweiz ein. Dabei blendet er aus, dass es eine absolute Souveränität in der heutigen globalisierten Welt gar nicht mehr gibt – schon gar nicht für einen Kleinstaat wie die Schweiz, dessen weltweite Vernetzung für seinen Wohlstand mitverantwortlich ist.

Gewinnt Geld oder Vernunft?

Gantner und Mitstreiter sowie Blocher – sie alle bekämpfen also die bilateralen Verträge und insbesondere die Bilateralen III. Sie können dabei zusammen mit Kompass/Europa und der SVP Millionen für ihren Kampf aufwenden. Sie wollen die Schweiz auf Distanz zur EU halten. Sie sind die Goliaths. Da hat Sanija Ameti mit ihrer Europa-Allianz einen schweren Stand. Die GLP-Politikerin ist nicht Unternehmerin und kann kein grosses Vermögen für ihr Anliegen einsetzen. Zudem ist ihre Reputation angeschlagen, seit bekannt geworden ist, dass sie mit einer Waffe auf ein Heiligenbild geschossen hat. Obwohl sie Reue gezeigt und sich entschuldigt hat, ist sie seither einer mittelalterlich anmutenden Hexenjagd ausgesetzt. Sie ist David.

Ameti ist Co-Präsidentin der Operation Libero, die eine europapolitische Allianz von Organisationen der Zivilgesellschaft anführt. Zu dieser Allianz gehören auch die Vereinigung Die Schweiz in Europa, die Europäische Bewegung Schweiz, Studierendenverbände, die Grüne Partei Schweiz und weitere Organisationen. Die Allianz hat im Frühjahr die sogenannte Europa-Initiative lanciert, mit der Bundesrat und Parlament zu einer aktiven und ambitionierten Europapolitik verpflichtet werden sollen. Ameti und ihre Allianz tragen damit den vielfältigen und sehr engen Beziehungen der Schweiz zur EU Rechnung. Sie unterstützen Verhandlungen für die Bilateralen III und treten für ein umfassend geregeltes Verhältnis der Schweiz zur EU ein. Gemäss neuen Umfragen tut das eine klare Mehrheit der Schweizer Stimmberechtigten genauso und bestätigt damit frühere Umfragen, die alle stets eine Unterstützung des bilateralen Wegs von über 60 Prozent aufwiesen.

Man darf gespannt sein, wer diesen Kampf David – die Europa-Allianz mit Ameti – gegen zwei Goliaths – Kompass/Europa mit Gantner und Mitstreitern sowie die SVP mit Blocher – gewinnt. Zu hoffen ist, dass in der Schweizer Europapolitik schliesslich nicht das Geld obsiegt, sondern die Vernunft. Frei nach dem britischen Ökonomen und Politiker John Maynard Keynes lässt sich sagen: «They have all the money bags, but we have the brains.»

2 Kommentare
  1. Hans Graf
    Hans Graf sagte:

    Als sehr kleines KMU (spezialisiert auf Schwimmteiche und Naturpools) beziehen wir häufig Geräte und Materialien aus Deutschland (EU-Land), da entsprechende Produkte in der Schweiz oft nicht erhältlich sind oder dann zu deutlich überhöhten Preisen. Viele Lieferanten aus Deutschland liefern aber nicht in die Schweiz, da für sie der administrative Aufwand viel zu gross ist. So sind wir gezwungen, diese Artikel über Zwischenhändler zu importieren, was einen gehörigen Mehraufwand und auch Kosten mit sich bringt. Geradezu skurill wird es, wenn Garantiefälle oder Reparaturen an diesen Geräten anfallen. Nicht etwa weil sich die deutschen Partner weigern, diese auszuführen, sondern weil der administrative Aufwand für die Verzollung und die Wiedereinfuhr absurd aufwendig und kostenintensiv ist.
    All dies hätten wir nicht, wenn mit der EU ein vernünftiges Abkommen getroffen werden könnte und wir diesbezüglich ähnlich wie andere EU-Staaten behandelt würden.
    Ich denke, ähnlich ergeht es vielen anderen KMU’s, die mit EU-Firmen Handel treiben. Den grossen Firmen ist dies egal, da sie diesbezügliche Routinen entwickelt haben, die sich aber erst ab grossen Handelsvolumen rechnen. Aber bekanntlich sind wir ein Land der KMU’s, die 60% des Bips erwirtschaften und 99% der Arbeitsplätze bereit stellen.

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  2. End Joseph
    End Joseph sagte:

    Auf keinen Fall diesen Unterwerfungsvertrag eingehen. Die Schweiz muss selbständig bleiben und ihre Souveränität beibehalten. Die Schweiz braucht die EU nicht, vor allem, wie sie sich (die EU) in der heutigen Fassung darstellt. Das neuerliche Beispiel, wie die EU mit kleinen Ländern umzugehen pflegt, siehe Ungarn mit Orbans Friedensbemühung, wie auch die Schweiz (Horizon). Die Schweiz hat den Beweis erbracht, dass sie erfolgreich ist auch ohne Anschluss.

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