Kann Fasel den EU-Turbo zünden? von Martin Gollmer
Alexandre Fasel, neuer Staatssekretär im Aussendepartement, steht vor etlichen grossen Herausforderungen. Die vielleicht grösste: Er muss das wichtige und aussen- wie innenpolitisch schwierige Verhältnis der Schweiz zur EU regeln. Dabei sollte es schnell gehen. Die EU will nämlich Verhandlungen, die noch nicht einmal begonnen haben, bis im Juni 2024 abschliessen.
Am 1. September 2023 tritt der Freiburger Diplomat Alexandre Fasel sein neues Amt als Staatssekretär im Aussendepartement an. Er wird Nachfolger von Livia Leu, die im Herbst nach drei Jahren als Botschafterin nach Berlin wechselt. Der 62-jährige Fasel steht vor formidablen Herausforderungen: Zum einen ist sein Aufgabengebiet ausserordentlich gross. Zum andern wird er für das wohl schwierigste und wichtigste Dossier im EDA zuständig – die Beziehungen der Schweiz zur EU.
In der Medienmitteilung zur Ernennung Fasels umschreibt der Bundesrat dessen Aufgaben so: «Der Staatssekretär berät den Vorsteher des EDA und den Bundesrat in allen aussenpolitischen Fragen, sorgt für die Umsetzung der aussenpolitischen Strategie des Bundesrats, leitet das Staatssekretariat des EDA sowie das Aussennetz der Schweiz mit seinen rund 170 Vertretungen.» Und weiter: «Er unterstützt den Vorsteher des EDA auch bei innenpolitischen Fragen und der Zusammenarbeit mit dem Parlament und den Kantonen, insbesondere bei allen internationalen Themen mit innenpolitischen Auswirkungen wie der russischen Militäraggression gegen die Ukraine, den Beziehungen zur EU, der Arbeit im UNO-Sicherheitsrat und dem internationalen Krisenmanagement.»
Daran wird Fasel gemessen
Ob Fasels Amtszeit im Staatssekretariat EDA dereinst als erfolgreich bezeichnet werden wird, dürfte vor allem davon abhängen, wie er sich im dornenreichen EU-Dossier schlägt. Dabei ist Fasel – er kann auf ein Team um Botschafter Patric Franzen, Chef der Abteilung Europa im EDA, zählen – zweifach gefordert: Aussenpolitisch muss er sich mit einer EU herumschlagen, die gerade mit der Bewältigung mehrerer Krisen wie dem Ukrainekrieg, der Energieknappheit oder der Klimaerwärmung beschäftigt ist und daher wenig Zeit hat für einen eigenbrötlerischen Drittstaat wie die Schweiz. Zudem hat die Bereitschaft der EU zu Sonderlösungen abgenommen – dies vor allem im Zusammenhang mit der grossen Südosterweiterung in den Nullerjahren, als auf einen Schlag zehn neue Mitgliedstaaten aufgenommen wurden. Diese mussten damals das gesamte EU-Recht übernehmen, ohne dass ihnen dabei nennenswerte Ausnahmereglungen gewährt wurden. Das erklärt, wieso die EU heute wenig Lust auf schweizerische Extrawürste hat und zugleich harte Bedingungen an die Fortsetzung des Schweizer bilateralen Sonderwegs knüpft wie dynamische Rechtsübernahme, Mitwirken des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bei der Streitschlichtung oder Beachtung der Staatsbeihilfenregelungen.
Innenpolitisch muss Fasel für eine breite Akzeptanz der mit der EU ausgehandelten Lösung zur Fortsetzung des bilateralen Wegs sorgen. Denn am Ende der Verhandlungen mit der EU steht eine Volksabstimmung. Diese ist alles andere als einfach zu gewinnen. So kann Fasel etwa nicht darauf zählen, dass die wählerstärkste Partei in der Schweiz, die EU-feindliche SVP, dereinst das zurzeit zur Diskussion stehende Vertragspaket namens Bilaterale III stützen wird. Dynamische Rechtsübernahme oder eine Rolle für fremde EU-Richter sind ein rotes Tuch für die SVP.
Widerspenstig geben sich auch die Gewerkschaften. Sie sehen den Schutz der hohen Löhne in der Schweiz gefährdet und versuchen unter anderem, im Rahmen der Bilateralen III eine Ausweitung der Pflicht zu Gesamtarbeitsverträgen durchzusetzen. Dagegen wehren sich aber die Wirtschaftsverbände. Die Gewerkschaften nehmen dabei in Kauf, dass sie zur Verwirklichung eines innenpolitischen Anliegens ein für die Schweiz wichtiges aussenpolitisches Projekt gefährden. Andere wiederum befürchten, dass die von der EU geforderte Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie ins schweizerische Recht zu einer unerwünschten Einwanderung in die hiesigen Sozialwerke führen könnte.
Public Diplomacy vonnöten
Diese paar Beispiele zeigen – sie liessen sich vermehren –, dass es derzeit in Sachen Bilaterale III zahlreiche Bedenkenträger gibt. Ihnen wirkungsvoll entgegenzutreten, ist deshalb auch eine Aufgabe von Fasel – und natürlich auch des Bundesrats –, wenn eine künftige Volksabstimmung gewonnen werden soll. Denn zurzeit haben in der Öffentlichkeit vor allem die kritischen Stimmen zum Vertragspaket die Oberhand und versuchen, mit teils populistischen Argumenten Stimmung gegen die Bilateralen III zu machen. Dass die bisherigen Gespräche mit der EU hinter verschlossen Türen geführt worden sind und nur Informationshäppchen an die Öffentlichkeit drangen, hilft diesen kritischen Stimmen. Angezeigt wäre deshalb eine umfassende offene, ehrliche Information von Fasel und des Bundesrats über Ziele, Vor- und Nachteile der Bilateralen III sowie der dazugehörigen Verhandlungen und der dabei auftauchenden Probleme. Das Stichwort dazu heisst Public Diplomacy: Wie Gesetzgebung im Innern muss auch Rechtssetzung in den Aussenbeziehungen debattiert und vorbereitet werden. Das schliesst Vertraulichkeit in eigentlichen Verhandlungen nicht aus, schafft aber Vertrauen in diese.
Zusätzlich erschwert wird die Aufgabe von Fasel und seinem Team dadurch, dass nur noch ein kleiner Gestaltungsspielraum besteht. Denn der Bundesrat hat im vergangenen Juni bereits sogenannte Eckwerte für die künftigen Verhandlungen mit der EU festgelegt. Dies, als Ergebnis von zehn Sondierungsgesprächen mit der EU von Vorgängerin Leu – Sondierungsgespräche übrigens, die mehr schon Vorverhandlungen glichen. Fasel muss jetzt diese Sondierungsgespräche möglichst schnell zu Ende bringen, damit der Bundesrat danach das eigentliche Verhandlungsmandat verabschieden kann. Denn Zeit drängt: Die EU will die Verhandlungen mit der Schweiz bis im Juni 2024 abschliessen. Dann wird in der EU das Parlament neu gewählt und in der Folge auch die verhandlungsführende Kommission neu bestimmt. Doch der Bundesrat wird über das Verhandlungsmandat erst beraten, wenn auch in der Schweiz das Parlament neu gewählt ist (im Oktober) und die Wahlen in die Landesregierung stattgefunden haben (im Dezember).
Mal sehen, ob es Fasel angesichts dieser vertrackten Ausgangslage gelingt, in Sachen EU den Turbo zu zünden. Einschlägige Erfahrung hat er jedenfalls: Seine langjährige Karriere im diplomatischen Dienst der Schweiz unterbrach er anfangs der Nullerjahre für einige Zeit. Er ging zur Grossbank Credit Suisse, wo er für das Formel-1-Sponsoring und damit auch für den damaligen Rennstall Sauber-Petronas zuständig war. In seinen jungen Jahren hatte Fasel übrigens selber schon Runden gedreht auf der Rennstrecke von Magny-Cours.
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