Bersets Bankrotterklärung (Daniel Woker)

Alain Berset drängt im Ukrainekrieg auf eine Verhandlungslösung mit Russland, und zwar «je früher, desto besser». Einem Entgegenkommen gegenüber europäischen Ländern bei deren Bemühen, die Ukraine mit Waffen und Munition zu versorgen, erteilt er eine Absage.

In der «NZZ am Sonntag» findet Bundespräsident Berset am heutigen 12. März wohltönende Worte zu Neutralität, humanitärer Mission der Schweiz und dem Standort Genf. De facto bedeutet dies jedoch eine Bankrotterklärung der gegenwärtigen Politik der Schweiz gegenüber dem Aggressionskrieg, den Putins Russland gegen die Ukraine und das demokratische Europa losgetreten hat.

Neutralität und Kriegsmaterialausfuhr

Der vermeintlich harte Kern der Neutralität und das Gesetz zur Kriegsmaterialausfuhr: zwei Hauptgründe, welche für die schweizerischen Nationalisten – zu denen sich nun Berset zu gesellenscheint – gegen eine robustere Unterstützung der Ukraine sprechen, halten einer Überprüfung nicht stand.

Neutralität ist eines von mehreren Mitteln, eine vernünftige Aussenpolitik zu führen. So sieht es die Bundesverfassung vor. Wo Neutralität nicht zweckdienlich ist, soll sie auch nicht angewandt werden. In einem nackten Aggressionskrieg, so sehen es die heute geltenden, im Rahmen der UNO festgelegten Regeln des Völkerrechts vor, hat der Angegriffene jedes Recht, sich zu verteidigen und dafür auf die Hilfe jener zu bauen, welche seine Werte teilen. Sich hier auf die Haager Landkriegsordnung, einen alten völkerrechtlichen Vertrag zu berufen, welcher unter den völlig anderen Umständen des 19. Jahrhunderts entstand, ist sicherheitspolitisch absurd, völkerrechtlich falsch und in der Wirkung amoralisch. Im Ukrainekrieg gibt es also weder einen völkerrechtlichen Grund noch eine moralische Rechtfertigung, die Neutralität anzurufen.

Das Gesetz über die Ausfuhr von Kriegsmaterial und speziell seine Verschärfung kurz vor dem Angriff Putins auf die Ukraine hat den Zweck, Ausfuhren zu verhindern in Konfliktgebiete, in denen eine Unterscheidung zwischen Angreifer und Opfer nicht klar ist. Keineswegs aber soll durch dieses Gesetz eine Unterstützung von Gegenwehr gegen einen Angriff auf Grundwerte, die auch diejenigen der Schweiz sind, verhindert werden. Zudem weiss Berset, dass auch unter diesem Gesetz die Bewilligung zur Weitergabe von Kriegsmaterial, das Dritten gehört, ohne weiteres möglich ist; wenn nötig mit Notrecht.

Der Mut der Viola Amherd

Neutralität ist zwar selbst auferlegt – und kann damit auch jederzeit vom Neutralen einseitig aufgegeben werden –, ist aber zwingend vom Interesse von Drittparteien zugunsten dieser Neutralität abhängig. Dieses Interesse ist im Fall Ukraine, sieht man vom Kriegsverbrecherregime in Russland ab, in keiner Art und Weise gegeben. Dass unsere westlichen und europäischen Partner die schweizerische Neutralitätsanrufung verstehen würden, ist eine glatte Lüge. Das Gegenteil ist der Fall. Das einzige Mitglied unserer Landesregierung, welches den Mut hatte, dies öffentlich zu sagen, ist Verteidigungsministerin Viola Amherd. Sie hat denn auch die Weitergabe von eingemotteten Leopard-2-Panzern an Deutschland im Ringtausch mit der Ukraine als sicherheitspolitisch ohne weiteres möglich bezeichnet.

Dass nun die Schweizerische Offiziersgesellschaft das Gegenteil behauptet, ist ein Affront. Als Akt von Subordination gegen die höchste Chefin sollte sie eigentlich militärgerichtlich verfolgt werden. Zudem ist es auch höchst erstaunlich, wenn sich ausgerechnet aktive Offiziere so für die Schwächung der schweizerischen Rüstungsindustrie einsetzen. Ein Vertreter eines friedlichen europäischen Landes, welches bislang Rüstungsmaterial in der Schweiz gekauft hatte, meinte gegenüber dem Schreibenden, sie würden sich das in der Zukunft zweimal überlegen, wenn im Konfliktfall mit wegen Berufung auf die Schweizer Neutralität auch mit Ausfuhrverboten für Ersatzteile gerechnet werden müsse.

Humanitäre Mission und Genf

Vollends irrt Berset, wenn er zur Verteidigung der gegenwärtigen Ukrainepolitik sich auf die humanitäre Tradition der Schweiz, verbunden mit dem Engagement für den Uno-Standort Genf, beruft. Beides sind hehre Aufgaben, haben indes nichts mit dem gegenwärtigen Stand der Ukrainekrise zu tun. Und wenn schon humanitäre Mission, warum dann nicht eine massive Erhöhung der humanitären Hilfe an die Ukraine? Dazu gehörte heute eine direkte Budgetunterstützung an Kyiv, damit die Regierung Löhne, Lebensmittel und weitere Notwendigkeiten des täglichen Bedarfsbezahlen kann. Berset und vor allem Finanzministerin Keller-Sutter wissen genau, dass dies der Schweiz auch ohne Belastung des eigenen Budgets möglich wäre, wenn sie nur den politischen Mut dazu hätte.

Genf ist und bleibt der zweite Hauptsitz der UNO. Falls dort tatsächlich einmal Verhandlungen stattfinden sollten – im Moment ist nicht abzusehen, dass dies mit Putin in Russland {und nicht in Den Haag vor dem internationalen Strafgerichtshof je möglich sein wird – dann kommen alle Parteien in der Rhônestadt zusammen und nutzen die dort vorhandenen Strukturen, ganz unabhängig von Entscheiden der schweizerischen Politik.

Die Aussagen Bersets, einem sozialdemokratischen, eigentlich als offenen geltenden Magistraten, sind ein Schlag ins Gesicht für all jene, welche sich weiterhin den nationalistischen Strömungen entgegenstellen und für eine offene, europa-affine, wertegeleitete Aussenpolitik der Schweiz einsetzen. Man möchte Berset raten, anstatt im Neutralitätsschneckenhaus zu verharren, die nach wie vor bestehenden Wirtschaftsverbindungen zwischen Russland und der Schweiz näher anzusehen. Nicht zuletzt die Geschäfte, welche die internationalen Handelsgesellschaften mit Sitz in der Schweiz abwickeln.

Dieser Artikel wurde am 12. März zunächst im Journal21 veröffentlicht, der Autor hat La Suisse en Europe die Erlaubnis erteilt, den Artikel auch auf dieser Seite abzubilden.

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