Erstarkt der Nationalpopulismus auch in der Schweiz? von Daniel Woker

Wird Donald Trump im kommenden November zum Präsidenten der USA gewählt, droht auch über die Schweiz eine Welle des Nationalpopulismus hereinzubrechen. Das könnte fatale Folgen für die Bilateralen III und eine vernünftige Handhabung der Neutralität haben, wie sich jetzt schon zeigt.

Die grösste gegenwärtige Herausforderung für die schweizerische Aussenpolitik stellt die Neuregelung der Beziehungen zu unserem Heimatkontinent Europa dar. Eine klare Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer wollen sowohl geordnete Beziehungen zur EU als auch den für uns vorteilhaften Verbleib im europäischen Binnenmarkt. Bundesrat und Verwaltung setzen im Moment alles daran, mit Brüssel – der Kommission und den 27 EU-Mitgliedstaaten, die letztlich über das Verhandlungspaket entscheiden – eine Lösung zu finden, welche beide Seiten zufriedenstellt.

Der von der EU allein der Schweiz zugestandene Sonderstatus unter den kommenden Bilateralen III wurde in Vorverhandlungen ziemlich definitiv umrissen. Auf europäischer Seite ist nach verlässlichen Angaben sowohl der Verhandlungsspielraum als auch das Reservoir an Geduld mit dem helvetischen Sonderweg praktisch ausgeschöpft.

SGB und SVP: Die Gegner der Bilateralen III

Das hindert den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) mit Präsident Yves Maillard und Chefökonom Daniel Lampart nicht daran, Hand in Hand mit den rechten Nationalpopulisten von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) das gesamte Verhandlungspaket jetzt schon rundweg abzulehnen. Sie stellen damit die wirtschaftliche Zukunft, aber auch die Seele unseres Landes als europäische Drehscheibe in Frage. Dies angeblich wegen der Lappalie von Spesenentschädigungen für entsandte ausländische Arbeitnehmer, welche bis zu lediglich drei Monaten in der Schweiz tätig sein können.

Die hier in Frage stehenden Entschädigungen sind im grossen Zusammenhang geradezu lächerlich klein; sie entsprechen der Entlöhnung für rund 0,1 Prozent der gesamten in der Schweiz geleisteten Arbeitsstunden. Wenn wir die Chance der Bilateralen III nicht wahrnehmen, werden wir sowohl wirtschaftlich wie auch politisch und vor allem emotional von unseren engsten Partnern und Nachbarn in Europa abgeschnitten.

Dass die konsequente Nein-Partei SVP mit ihrem Amoklauf gegen alles Europäische dies in Kauf nimmt, ist selbstverständlich. Ihren «Kampf gegen Europa» illustriert sie mit einem Bild des Kindlifresser-Brunnens in Bern, wobei «die furchterregende Brunnenfigur in der SVP-Montage anstelle eines nackten Kindes die Schweiz in den (EU)-Rachen schiebt» wie die NZZ unter dem Titel «Schrill lanciert» schrieb.

De facto an der Seite von General Christoph Blocher marschieren in der Mutter aller Schlachten, dem voraussehbaren Referendumskampf, auch nationalkonservative Unternehmer («Kompass/Europa», «Autonomiesuisse»). Darunter Zuger Kasinokapitalisten, welche europäische Regeln im Finanzbereich fürchten. Zusammen verfügen sie über gewaltiges ideologisches und finanzielles Kapital, mit dem sie im Moment das europapolitische Terrain besetzen, um jeden vernünftigen Diskussionsansatz im Keim zu ersticken.

Die Neutralitätsinitiative Blochers und die Ukraine

Um jede Annäherung an Europa zu verunmöglichen, hat Blocher mit seinen Hofschranzen in «Pro Schweiz» weiter die sogenannte Neutralitätsinitiative gestartet, welche von kritischen Beobachtern zu Recht als «Pro-Putin-Initiative» etikettiert wird. Den offiziellen Kampf dafür will die SVP bereits Anfang April lancieren. Leider setzt sich auch auf der linken Seite ein Komitee fehlgeleiteter Idealisten für Blochers Initiative ein.

Die Aufnahme des Prinzips Neutralität – sie ist ein Mittel, nicht ein Ziel der schweizerischen Aussenpolitik – in die Bundesverfassung (BV) wäre unsinnig genug. Seit 1848 haben sich alle Verfasser der BV bemüht, gerade dies nicht zu tun, weil sich das europäische Umfeld ja verändern könnte. Tatsächlich ist das EU-Europa mit dem Europa des 19. Jahrhunderts und auch jenem bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts nicht vergleichbar. Die von Neutralitäts-Fetischisten oft bemühten Haager Abkommen von 1907 sind überholt. Grundlegend ist heute die UNO-Charta, welche Angriffskriege verbietet und keine Gleichbehandlung von Aggressor und Opfer erlaubt. Diese Entwicklung zeigt, dass die von Blochers Initiative geforderte Aufnahme einer «immerwährenden Neutralität» in die Verfassung Unfug wäre, da wir die Zukunft nicht kennen können.

Der brutale Aggressionskrieg Putins gegen die Ukraine hat endgültig bestätigt, dass ein schweizerisches Abseitsstehen von Europa damit aus Sicht der EU unmöglich geworden ist. Von der Neutralität her ist das kein Problem. Sogar bei deren strikter Definition sind – im Moment noch – lediglich der Beitritt der Schweiz zum nordatlantischen Militärbündnis NATO sowie eine direkte Ausfuhr von in der Schweiz hergestelltem Kriegsmaterial in die Ukraine nicht möglich. Alles andere ist erlaubt, auch unter dem Gesetz über Kriegsmaterialausfuhr. Dies gilt insbesondere für die indirekte Ausfuhr, also den Verkauf an EU-Länder, welche damit ihre eigenen Reserven aufstocken, nachdem sie diese zugunsten der Ukraine angezapft haben. Wirtschaftssanktionen, wie sie die Schweiz gegen Russland erlassen hat, sind nicht nur zugelassen, sondern waren aus politischen, wirtschaftlichen und moralischen Gründen unumgänglich. Andernfalls wäre die Schweiz zur isolierten Insel von Putin-Verstehern geworden.

Die Aussen- und Sicherheitspolitik würde eingeschränkt

Blochers Initiative will nun das Verhängen von Wirtschaftssanktionen praktisch ausschliessen. Der Verweis im Initiativtext auf eine UNO-Ausnahme ist rein theoretischer Natur. Wir wissen alle, dass die UNO bei Aggressionskriegen, die direkt und indirekt durch totalitäre Mächte geführt werden, wegen des Vetos dieser Staaten im Sicherheitsrat meist blockiert ist. Die Ukraine ist ein aktuelles Beispiel, darum die Bezeichnung «Pro-Putin-Initiative». Ein Angriffskrieg von China gegen Taiwan ist ein leider durchaus mögliches zukünftiges Beispiel.

Ein Verbot von Wirtschaftssanktionen würde die schweizerische Aussenpolitik in unakzeptablem Masse einengen. Sanktionen sind ein Zwangsmittel bei groben Verstössen gegen alle Werte, welche gerade die Schweiz ihr eigen nennt. Sie bilden eine erste klare Schranke gegen Aggressoren, bevor als Ultima Ratio militärische Massnahmen ergriffen werden müssen.

Sicherheitspolitisch ist die Initiative gefährlich, weil sie internationale Zusammenarbeit zur Vorbereitung auf einen Konfliktfall verbietet. Nachdem nun Schweden Nato-Mitglied geworden ist, würde dies gar die seit Jahren laufende Ausbildung von schweizerischem militärischem Flugpersonal im dazu einzig möglichen geografischen Raum, dem hohen Norden, verunmöglichen.

Die Stützen der Zivilgesellschaft sind gefordert

Insbesondere aber würde die Initiative unser Verhältnis zur EU nachhaltig zerrütten. Eine schweizerische Verfassungsbestimmung, welche unseren nächsten Partnern und Nachbarn signalisiert, dass wir uns in keinem Fall mit Europa gegen Aggressoren solidarisieren werden, wird zum Bruch führen. Dass dies keine leere Drohung ist, zeigt ein erstes, vergleichsweise kleines Beispiel. Die überängstliche Politik von Regierung und Parlament betreffend Kriegsmaterial für die Ukraine hat bereits dazu geführt, dass bisherige Kunden aus der EU kein Rüstungsmaterial mehr in der Schweiz beziehen wollen und dass ausländische Besitzer von Rüstungsunternehmen dessen Fertigung aus der Schweiz abziehen. Sie wollen keine Waffen, welche sie im Ernstfall wegen schweizerischer Neutralität nicht einsetzten können. Ohne eigene Rüstungsbetriebe aber auch keine eigene Armee. Ein solches Verlangen ist angesichts der heutigen Lage nicht nur naiv, sondern stellt für die Schweiz eine akute Gefahr dar.

Mit Blick auf die Bilateralen III haben Blocher und Maillard mit schwerstem Geschütz gleich zu Beginn gegen eine von der Mehrheit in der Schweiz klar geforderte Vorlage die Deutungshoheit gewonnen (siehe auch den Artikel hier: https://suisse-en-europe.ch/gegen-europa-die-svp-maillard-und-der-blick-von-daniel-woker/). Nun gilt es unbedingt zu verhindern, dass sich dies bei Blochers Pro-Putin-Initiative wiederholt. Da sind wir alle gefordert: die Stützen der schweizerische Zivilgesellschaft in Politik, Wirtschaft und Medien, ebenso wie alle vernünftigen Schweizerinnen und Schweizer sind jetzt schon aufgerufen, Bonaparte Blocher in seinen Schlachten gegen die Bilateralen III und für seine Neutralitätsinitiative ein schweiz- und europaweit hallendes Waterloo zu bescheren.

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