Gegen Europa: Die SVP, Maillard und der «Blick» von Daniel Woker

Trotz Umfrageergebnissen, dass eine deutliche Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sowie der Kantonsregierungen eine schnelle Einigung mit der EU will, sind am Wochenende vom 9./10. März 2024 nach der Verabschiedungs des Verhandlungsmandates durch den Bundesrat primär die Gegner medial mit schwerstem Geschütz aufgefahren. Wo bleiben die lauten Stimmen der Befürworter aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft?

Die SVP bleibt unter dem populistischen – die Parallele zu den amerikanischen Trump-Republikanern ist auffallend – und finanziellen Diktat von Christoph Blocher in der Winkelried-Pose gegen die Bilateralen III gefangen. Das ist offensichtlich. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi etwa fordert in den Zeitungen des CH-Media-Verbunds den Abbruch der Verhandlungen, die ja noch gar nicht wirklich begonnen haben. Und in einem zweiseitigen Interview im «Sonntagsblick» läutet Noch-SVP-Präsident Marco Chiesa die SVP-Anti-Europa-Kampagne ein. Das alte und müde Lied von einem «Unterwerfungsvertrag» darf dabei natürlich nicht fehlen. Ausgerechnet vom Tessiner Chiesa, dessen Heimatkanton ohne die EU-Wirtschaft, auch in der dynamischen Grossregion Lombardei, das Armenhaus der Schweiz wäre.

Ob Unterwerfungs- oder Blochers Lieblingswort vom angeblichen «Kolonialvertrag» – diese Ausdrücke sind einfach lächerlich. Die EU-Länder Frankreich, Deutschland, Holland, Spanien, Portugal und Belgien, alle zur Kolonialzeit im globalen Süden herrschend, wollen die arme, kleine Schweiz wie weiland Afrika kolonisieren? You can’t be serious, wie sich John McEnroe jeweils nach falschen Schiedsrichterurteilen auf dem Tennisplatz auszudrücken pflegte.

«Nobler Brillenrahmen»

Erstaunlicher wirkt die geballte Breitseite über das vergangene Wochenende gegen das EU-Verhandlungsmandat der Schweiz im nach wie vor wichtigsten Meinungsmacher-Medium der Deutschschweiz, dem «Blick». In seiner Samstagsausgabe verspottet das Boulevardblatt die Bilateralen III mit der Schlagzeile auf der Frontseite «Wer versenkt das neue EU-Paket, schon das Parlament oder erst das Volk?», um auf der zweiten Seite mit einem Leiter der Politikchefin der Gruppe «Dieses Mandat ist ein Papiertiger» nachzudoppeln. In seiner gehobeneren Wochenendausgabe, dem «Sonntagsblick», macht sich dessen Chefredaktor in seinem Editorial über den goldenen Fingerring und den «noblen Brillenrahmen» von EDA-Staatssekretär Alex Fasel anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung des EU-Verhandlungsmandates lustig, anstatt über die grösste Herausforderung der schweizerischen Aussenpolitik, unser Verhältnis zu Europa, zu schreiben.

Darin fordert er zum Schluss, durchaus zu Recht, auch ein «junges Gesicht», welches die weitere Öffnung gegenüber Europa in der schweizerischen  Öffentlichkeit vertreten sollte. Durchaus, aber man kann von einem Staatssekretär im EDA, der auch über Erfahrung und ein internationales Netzwerk verfügen muss, wohl kaum verlangen, dass er noch ein Tween ist. Womit ja übrigens ein Nachbarland im Aussenministerium und an der Regierungsspitze gemischte Erfahrungen gemacht hat.

Maillards Spiel mit dem Feuer

Angesichts der absoluten Notwendigkeit eines Verbleibs der Schweiz im europäischen Binnenmarkt, auch und gerade für schweizerische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, macht die Totalopposition der Gewerkschaften – bekanntlich mit der europafreundlichen SP der Schweiz eng und aktuell offensichtlich ungut verbunden – vollends sprachlos. Im Politik-Leitinterview des «Sonntagsblicks» («Gewerkschaftsboss Maillard, Vater Courage, strotzt vor Kraft») reitet der Gewerkschaftspräsident eine heftige Attacke gegen die Bilateralen III. Hier ist nicht nur, entgegen seinen Beteuerungen, die Sorge Maillards um seine Leute, sondern klar auch europafeindlicher Linkspopulismus am Werk.

Medientechnisch immerhin zu vermerken, dass das Interview vom Bundesredaktor des Sonntagsblicks durchaus kritisch geführt wird und Letzterer auch einen Opponenten von Maillard, in casu der Schreibende, zu Wort kommen lässt.

Europabefürworter, vereinigt Euch

Angesichts dieses verheerenden Auftaktes zur entscheidenden Schlacht um die Zukunft, ja um die Seele der Schweiz als offenes, fortschrittliches Land in Europa, ist eine rasche Mobilisierung der bislang eher schweigenden Mehrheit zugunsten der Bilateralen III dringend notwendig. Wo bleiben die Wortführer der Wirtschaftspartei FDP, nachdem Economiesuisse und Arbeitgeberverband eine Regelung des Verhältnisses zur EU und damit zum weitaus wichtigsten Markt der Schweiz als vordringliches Ziel erklärt haben? Wer aus der vernünftigen Mitte tritt an, welche sich als bewahrende Kraft einer vernünftigen Europapolitik sieht? Und, vor allem, warum lässt die SP dem europaphoben Berserker Maillard ohne Widerspruch von höchster Seite freien Lauf? Im Gegensatz zu den ebenfalls stumm bleibenden Grünen hat sich die grünliberale Partei als einzige vorbehaltlos hinter den Bundesrat gestellt, bravo!

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