Gehören wir zu Europa? von Daniel Woker
«Wir gehören zu Europa», sagte Aussenminister Ignazio Cassis bei der Präsentation der Bilateralen III am 13. Juni 2025 in Bern. Wirklich? Jetzt sind mehr als Worte fällig.
Die Worte markig, die Richtung klar. Bei der Präsentation der Bilateralen III, dem umfangreichen Verhandlungspaket zwischen der Schweiz und der EU, nahm unser Aussenminister für einmal kein Blatt vor den Mund. Mehr als Worte sind aber notwendig, um im Innern der Schweiz und gegen aussen die europäische Zugehörigkeit der Schweiz unzweideutig erscheinen zu lassen. Und dies hier und heute, weil wir im Moment als europäische Aussenseiter dastehen.
Wirtschaftlicher Aussenseiter
Europa ist heute die EU. Nicht-EU Staaten am östlichen Rand Europas wollen beitreten, wenn sie von dieser akzeptiert werden. Querschläger mit autokratischer Tendenz innerhalb der EU, aktuell Ungarn und die Slowakei, werden einerseits durch innenpolitische Widersacher, andererseits durch Zwangsmittel der EU mittelfristig auf den demokratischen Pfad zurückgebracht. Das Brexit-UK unter Premierminister Keir Starmer strebt ein möglichst enges Nahverhältnis zur EU an. Die EWR-Länder, so insbesondere Norwegen, aber auch unser nächster Nachbar Liechtenstein, geniessen einen Sonderstatus in ihren Beziehungen zur EU.
Nur die Schweiz bleibt aussen vor und muss sich ihren Platz im europäischen Binnenmarkt immer wieder mit dem Flickwerk von bilateralen Lösungen erkämpfen. Im Moment sind dies die Bilateralen III. Sie sind die einzige Chance, unseren derzeitigen Wohlstand – Binnenmarkt, Personenfreizügigkeit, Forschungszusammenarbeit – zu erhalten.
Politischer Aussenseiter
Mit Blick auf die unmittelbare Bedrohung Europas durch Wladimir Putins Russland ist die schweizerische Armee aktuell nicht in der Lage, die Schweiz autonom zu verteidigen. Diese unbefriedigende Lage kann, neben angemessenen Erhöhungen des Armeebudgets, nur durch verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Nato verbessert werden. Ebenso mit dem sich angesichts der Präsidentschaft von Donald Trump beschleunigt entwickelnden sicherheitspolitischen Arm der EU, der PESCO (Permanent Structured Cooperation). Dass da die Schweiz im Rahmen des Projektes Military Mobility (also Infrastruktur, die im Kriegsfall grenzüberschreitende Bewegung erlaubt) mittut, ist erfreulich, allerdings nur als erster zaghafter Schritt zur Vertiefung der Zusammenarbeit zu werten.
Konkrete Möglichkeiten zur umfassenden sicherheitspolitischen Anbindung der Schweiz bestehen. Eine davon ist die «Koalition der Willigen», der neben den EU-Ländern auch und gerade die EU-Nichtmitglieder Grossbritannien, Norwegen und Island angehören. Sie wurde als Plattform aller europäischen Demokratien geschaffen, um den Beistand an die Ukraine zu koordinieren; ihre Bedeutung geht aber weit darüber hinaus. Die Teilnahme ist Symbol für die Erkenntnis, dass Europas Sicherheit durch Putin unmittelbar und durch die Geringschätzung von Europa durch die Trump-Regierung zumindest mittelfristig bedroht ist. Da hilft auch die traditionelle schweizerische Neutralität nicht weiter.
Und die Neutralität?
Die schweizerische Neutralität ist kein Staatsziel, sondern ein Mittel unter anderen, um das Ziel einer sicheren Schweiz zu erreichen. Bestimmend für die schweizerische Aussenpolitik ist unsere Verpflichtung zur Uno-Charta, die ein Gewaltverbot und die Bestrafung eines Aggressors vorsieht. Damit ist auch gesagt, dass es keine wirtschaftliche Neutralität geben kann. Das in der sogenannten «Neutralitätsinitiative» enthaltene Verbot von Sanktionen ist widersinnig, völkerrechtlich verboten und würde einen Aggressor belohnen.
Angesichts der Uno-Charta gelten die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bestimmungen der Haager Abkommen von 1907 als überholt. Sie werden international nicht mehr anerkannt. In der innerschweizerischen Diskussion ist umstritten, ob sie für die schweizerische Aussenpolitik überhaupt noch gültig sind; sicher nicht im Ukrainekrieg.
Brücke jetzt bauen
Wenn Aussenminister Cassis, und mit ihm der gesamte Bundesrat, wirklich die Zugehörigkeit der Schweiz zu Europa demonstrieren wollen, muss die Brücke der Bilateralen III jetzt nach Brüssel geschlagen werden und nicht erst 2028. Erst dann soll das Volk mit einfachem Mehr über die Bilateralen III entscheiden, entsprechend dem gewohnten Kriechgang der schweizerischen Entscheidungsfindung. Das ist zu langsam. Was kann bis dann in der Welt von Putin, Xi Jinping und Trump nicht alles passieren! Wir müssen uns daran gewöhnen, dass das Weltgeschehen keine Rücksicht nimmt auf helvetische Innenpolitik, hier insbesondere den Unwillen, vor den Parlamentswahlen 2027 über «Europa» auch nur ernsthaft zu diskutieren.
Rechtliche Gründe, sei es in der Bundesverfassung oder beim Vertragspartner EU, bestehen keine, welche eine Vorverschiebung der Abstimmung spätestens bis Anfang 2026 verunmöglichen würden. Wenn das Europäische Parlament, auf Antrag der EU-Kommission voraussichtlich im Frühling 2026 über die Bilateralen III entscheiden wird, so wäre eine volle schweizerische Zustimmung vor diesem Datum ein wichtiger Fingerzeig, dass es die Schweiz diesmal ernst meint in ihrer Partnerschaft mit der EU.
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