Schweizer Verteidigungspolitik: Mut zur Kooperation von Leo Hurni

Joachim Adler, Chef Verteidigungspolitik und nationale Koordination im Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (SEPOS) des Verteidigungsdepartements (VBS), spricht an der Generalversammlung 2024 der Association La Suisse en Europe (ASE) über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Schweiz mit der Nato und der EU und überzeugt dabei ein durchaus kritisches Publikum.

 

Die Einstimmung vermittelt Adler mit dem Bild einer Lenkwaffe, die in einem zivilen Gebäude in Mariupol, Ukraine explodiert. «Was Europa bedroht, bedroht die Schweiz in gleichem Masse», sagt Adler dazu. Das sicherheitspolitische Umfeld sei so angespannt wie seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr. Man müsse mit einer Vielzahl verschiedener Akteure umgehen (und nicht wie im Kalten Krieg nur mit zwei), deren Agenda sich nicht einfach einordnen lasse. Auch Russland gehöre da dazu. Putin sei aber nicht per se ein irrationaler Akteur, dafür aber schwer lesbar. Sinnbildlich für die verschlechterte und deutlich komplexere Sicherheitslage stehen für Adler die Konflikte in der Ukraine und im Nahen Osten.

 

Adler scheut sich nicht, schwierige Themen direkt anzusprechen. Was, wenn Russland den Krieg gegen die Ukraine gewinnt? Das ehemalige Zarenreich habe immer wieder gesagt, es wolle seine alte Grösse wiederherstellen. Können wir also so naiv sein und glauben, nach Kiew sei Schluss? Rhetorische Fragen können manchmal Antwort genug sein. Dennoch lässt der Chef Verteidigungspolitik im SEPOS einen gewissen Optimismus durchschimmern. Es sei richtig, dass die Armee nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ihre Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Zumindest finanziell soll es der Armee bald besser gehen. Dies zeigten zumindest die Diskussionen im Parlament in den vergangenen Monaten. Der Bundesrat hatte eine Obergrenze für Militärausgaben von 25,8 Milliarden Franken für den Zeitraum 2025 bis 2028 vorgeschlagen. Der Ständerat beschloss daraufhin, diese auf 29,8 Milliarden Franken zu erhöhen.

 

«Rosinenpicken ist möglich»

 

Kooperationen mit anderen Ländern und Bündnissen seien wichtig, doch mit leeren Händen könne man nicht kooperieren, erklärt Adler. Dass die eigene Verteidigungsfähigkeit und die internationale Kooperation sich gegenseitig bedingen und verstärken, ist eine seiner Kernbotschaften. Dementsprechend sei die internationale Kooperation Voraussetzung für sicherheitspolitische Handlungsfreiheit, lautet seine zweite Kernbotschaft.  Doch um kooperieren zu können, müsse sich die Schweiz überlegen, was sie ihren Partnern bieten könne. «Rosinenpicken ist möglich, aber nicht ohne auch eine Gegenleistung zu erbringen» sagt Adler. Die militärische Friedensförderung sei etwa ein Bereich, in dem die Schweiz einen Beitrag leisten könne.

Wichtigster sicherheitspolitischer Kooperationspartner für die Schweiz sei nach wie vor die NATO. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit sei durchaus eine Möglichkeit. Dabei sei jedoch eine Teilnahme an Übungen zu Artikel 5 des Nordatlantikvertrags erforderlich, denn praktisch alle Übungen der NATO würden sich damit befassen. Nur in Kenntnis der Planung und Koordination seitens der NATO könne sich die Schweizer Armee ihre eigenen Verteidigungsanstrengungen für den Kriegsfall sachgerecht und wirksam vorbereiten und einüben.

Anders sieht das hingegen das die Mehrheit des Nationalrates. Während der Sommersession hat er einer Motion der Sicherheitspolitischen Kommission zugestimmt, die es der Schweiz verbieten will, an NATO-Übungen gemäss Artikel 5 teilzunehmen. Gemäss Adler wird  Artikel 5 des Nordatlantikvertrags immer noch binär ausgelegt. Als Mitglied der NATO helfe man im Kriegsfall den anderen Mitglieder, aber nicht einem nicht-Mitglied. Das sei schlussendlich auch in der Ukraine der Fall, der man nur indirekt beistehe. Die Schweiz würde sich als Partner und nicht als Mitglied bei solchen Übungen beteiligen. Damit räumt er Kritik der Gegnerinnen und Gegner aus dem Weg, die Schweiz sei mit der Teilnahme an solchen Übungen bereits mit halbem Fusse einer Verteidigung der NATO-Partnerländer verpflichtet.

Schwieriger scheint es in der Kooperation mit der EU. Hier sei die Zusammenarbeit mit Drittstaaten noch nicht gleich institutionalisiert, so Adler. Zusammenarbeit sei vor allem in den Projekten der «Permanent Structured Cooperation» (PESCO) möglich, einem Programm der  europäischen gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP). Für eine Kooperation in den Projekten von PESCO müsse die Schweiz zuerst jedes einzelne Projekt evaluieren und sich anschliessend für eine Teilnahme bewerben. Viele der Projekte liessen Drittstaaten nicht zu. Anschliessend gehe die Bewerbung vor den Rat der Europäischen Union, so Adler. Die Verhandlungen mit der EU könnten durchaus einen Einfluss auf die Aufnahme in diesen Projekten haben, vermutet er.

 

Schweiz sitzt zwischen den Stühlen

 

Von aussen gesehen scheinen gemäss Adler die Erwartungen an die Schweiz klar zu sein. Die Ermöglichung der Wiederausfuhr von Schweizer Rüstungsgüter, die Nichtunterzeichnung des Kernwaffenverbotsvertrag (TPNW), Beiträge zur militärischen Friedensförderung und genügend Eigenschutz werden  von den NATO-Mitgliedsstaaten gegenüber der Schweiz erwartet.  Die Grundfrage, wie viel militärische Kooperation für die Schweiz möglich sei, und wie das die Neutralität beeinflusst, bleibe, zumindest innenpolitisch, bestehen. Auf die Frage, wie die von der SVP lancierte Neutralitäts-Initiative die militärische Kooperation der Schweiz mit Partnerstaaten beeinflussen würde, gibt es derzeit seitens des Bundes noch keine klaren Antworten.

Adler macht klar, dass die Schweiz von mehr militärischer Kooperation profitieren würde, diese aber auch nicht gratis bekomme. Damit reiht sich Adlers Vortrag in die Debatten und Themen ein, die auch schon zuvor an der Generalversammlung der ASE diskutiert wurden. Personenfreizügigkeit, Bilaterale, Souveränität, Neutralität. Die Parallelen zwischen den Verhandlungen mit Brüssel und den Verhandlungen mit unseren militärischen Kooperationspartnern sind unverkennbar. So sehr die Schweiz an ihren traditionellen Werten festhält, scheint sie oft zögerlich und unschlüssig, wenn es darum geht, diese Werte den Anforderungen einer modernen Welt anzupassen. In ihrem Bestreben, sich weder zu stark zu binden noch völlig isoliert zu sein, läuft sie Gefahr, zwischen den Stühlen zu sitzen und sich damit selbst ins Abseits zu bewegen.

 

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