Wo Beat Jans gefordert sein wird von Martin Gollmer
Der neu gewählte Bundestrat Beat Jans ist seit Anfang 2024 Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements. Er ist dort gleich mehrfach gefordert – auch europapolitisch. Stichworte dazu sind etwa Zuwanderung, Asylpolitik und Personenfreizügigkeit. Im schwierigen EU-Dossier könnte er für neuen Schwung in der Landesregierung sorgen.
Seit dem 1. Januar 2024 ist der neu gewählte Bundesrat Beat Jans (SP) im Amt. Er ist für das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zuständig. Dieses übernimmt er von seiner Parteikollegin Elisabeth Baume-Schneider, die nach nur einem Jahr ins Eidgenössische Departement des Inneren geflüchtet ist. Jans erbt von ihr einige auch europapolitisch bedeutsame Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Hier eine Auswahl:
- Hohe Zuwanderung. Die Zuwanderung in die Schweiz dürfte 2023 einen rekordverdächtigen Wert erreicht haben. Bis Ende November liessen sich rund 96’000 Personen hierzulande nieder – fast so viele wie im Spitzenjahr 2008. Die Auswanderung bei der ausländischen Bevölkerung betrug dabei 34’500 Personen. Das ergibt eine Nettozunahme der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung von 61’500 Personen oder von 3.9 Prozent. Nicht dazu zählen Asylsuchende, Personen mit Schutzstatus S und vorläufige Aufgenommene. Die Zuwanderung erfolgt fast ausschliesslich in den Arbeitsmarkt. Trotzdem beklagt die Wirtschaft einen Fachkräftemangel. Derweil kritisiert die nationalkonservative SVP, die mit Abstand wählerstärkste Partei der im Land, die hohe Zuwanderung und schürt die Angst vor einer 10-Millionen-Schweiz. Mit diesem Thema hat sie die Wahlen 2023 ins eidgenössische Parlament gewonnen.
Jans wird entscheiden müssen, welches Problem er höher gewichtet: Fachkräftemangel oder Überbevölkerung. Dabei fällt ins Gewicht, dass die Schweiz aufgrund des bilateralen Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU die Zuwanderung nur beschränkt selbst steuern kann. Was Jans hier tut und wie er sich entscheidet, ist durchaus von Belang: Die SVP sammelt Unterschriften für die «Nachhaltigkeitsinitiative», mit der sie die Zuwanderung begrenzen will. 2024 steht zudem eine Bilanz zu den Massnahmen an, die die Schweiz seit der Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative» im Jahr 2014 ergriffen hat. Ziel deren Umsetzung war es, das Arbeitskräftepotenzial im Inland besser auszuschöpfen.
- Unterbringung von Asylsuchenden, Dauer der Asylverfahren und Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern. Rund 28’000 Personen haben bis Ende November 2023 ein Asylgesuch in der Schweiz gestellt. Rund 30’000 dürften es bis Ende 2023 werden. Das ist zwar weniger als im Rekordjahr 2015, als fast 40’000 Asylsuchende ins Land kamen, aber mehr als in den vergangenen Jahren. Dazu kommen noch die Flüchtlinge aus der Ukraine, die den Schutzstatus S erhalten haben. Die Unterbringung dieser Asylsuchenden und Flüchtlinge und deren Verteilung auf die Kantone ist ein Dauerthema, das Jans auch 2024 beschäftigen wird.
Kommt dazu dass die Asylverfahren immer noch zu lange dauern. Ziel der letzten Asylreform war es, diese Verfahren zu beschleunigen – etwa durch deren Konzentration auf sechs Zentren. Noch immer betreibt der Bund aber Dutzende solcher Standorte. Ein Problem ist auch, dass das System eigentlich nur auf 24’000 Personen pro Jahr ausgelegt. Kommen mehr Asylsuchende und Flüchtlinge wie dieses Jahr, zeigt sich das System überfordert und häufen sich die Pendenzen.
Ungelöst ist nach wie vor auch die Rückführung abgelehnter Asylbewerber in ihre Herkunftsstaaten. Viele von ihnen verweigern deren Rücknahme. Zahlreiche abgelehnte Asylbewerber bleiben deshalb in der Schweiz – ein unbefriedigender Zustand. Im Nationalrat ist deshalb jüngst ein asyl- und völkerrechtlich fragwürdiger Vorstoss zur Abstimmung gekommen, abgewiesene Asylsuchende in irgend ein sicheres Drittland zu schicken. Trotz Zustimmung der SVP und FDP scheiterte der Vorstoss nur knapp.
- Positionierung in der europäischen Asylpolitik. Aufgrund des bilateralen Dublin-Assoziierungsabkommens ist die Schweiz an der Asyl- und Migrationspolitik der EU beteiligt. Ende 2023 haben sich die EU-Mitgliedstaaten nach langen Jahren des Streits auf eine Reform dieser Politik geeinigt. So sollen vor allem in den Grenzstaaten im Süden grosse Auffanglager errichtet werden. Dort sollen für Flüchtlinge mit geringer Chance auf Asyl schnelle Verfahren durchgeführt werden.
Zudem beschlossen die Mitgliedstaaten einen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge, der auf Solidarität beruht. Entweder übernimmt ein EU-Land Flüchtlinge aus den Grenzstaaten oder – wenn es dies nicht will – bezahlt es finanzielle Beiträge an die Betreuung von Flüchtlingen an die anderen EU-Länder. Einfach nichts tun, soll nicht mehr möglich sein. Für die Schweiz – und somit für Jans – stellt sich nun die Frage, soll sie Flüchtlinge aus den Grenzstaaten aufnehmen oder finanzielle Beiträge leisten.
- Bilaterale III und Personenfreizügigkeit. Jans ist als Vorsteher des EJPD auch für die Umsetzung des bilateralen Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU zuständig. Deshalb gehört er – zusammen mit Aussenminister Ignazio Cassis (FDP) sowie Wirtschafts-, Forschungs- und Bildungsminister Guy Parmelin (SVP) – auch dem Europaausschuss des Bundesrats an. Dieser ist angesichts anstehender Verhandlungen mit der EU über ein neues bilaterales Vertragspaket namens Bilaterale III besonders gefordert. Jans hat in Interviews vor seiner Wahl in den Bundesrat betont, dass er für geregelte Beziehungen mit der EU und somit auch für den raschen Abschluss eines neuen Vertragspakets eintritt. Das dürfte neuen europapolitischen Schwung in den Bundesrat bringen.
Besonders gefragt dürfte Jans’ Einschätzung aber in Sachen Personenfreizügigkeit gefragt sein. Dort fordert die EU die Übernahme ihrer Unionsbürgerrichtlinie in schweizerisches Recht. Befürchtet wird hierzulande, dass dies zu einer Zuwanderung ins schweizerische Sozialsystem führen könnte. Die Schweiz will deshalb in den Verhandlungen mit der EU Ausnahmen bei den Aufenthaltsrechten von EU-Bürgern erreichen. Umstritten ist in diesen Verhandlungen auch der Lohnschutz für schweizerische Arbeitskräfte. Sollen etwa bei den Spesen für in die Schweiz entsandte ausländische Arbeitnehmer nur die oftmals niedrigeren Ansätze in deren Herkunftsländern gelten, wie das in der EU üblich ist? Nein, sagen die hiesigen Gewerkschaften, die Lohndumping befürchten. Jans hat nach seiner Wahl angekündigt, alles zu tun, um in dieser Frage wie insgesamt im Lohnschutz zu einer Lösung zu kommen – auch unter Einbezug der schweizerischen Arbeitgeber.
- Europakompatible Gesetzgebung. In den Aufgabenbereich des EJPD fällt auch die Prüfung der Europakompatibilität vorgeschlagener Erlasse auf allen Gebieten des Bundesrechts. Das gilt nicht nur für die Umsetzung von Verträgen, sondern auch der Frage, inwieweit autonome Erlasse vom EU-Recht abweichen können und sollen und inwieweit sich eine europakompatible Lösung zur Vermeidung von Handelshemmnissen und politischen Schwierigkeiten aufdrängt. Die Frage wird sich vor allem im Bereich der Konzernverantwortung stellen, bei der der Bundesrat eine international abgestützte Regelung versprochen hat, die über das geltende schweizerische Recht hinausgeht.
Jans steht also in einem nur scheinbar unbedeutenden Departement wie dem EJPD gleich vor mehreren gewichtigen Herausforderungen. Wie er sie angeht, dürfte in den kommenden Jahren auch das seit längerem schwierige Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zur EU wesentlich bestimmen.
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