Thomas Cottier: Rahmenabkommen mit der EU: das Schweizervolk muss entscheiden

von Thomas Cottier

Der Bundesrat wählte ein Verfahren, das in Verfassung und Gesetz nicht vorgesehen ist. Ohne den Rahmenvertrag zu unterzeichnen, schickte er ihn Anfangs 2020 in eine breite Vernehmlassung bei Parteien, Verbänden und Kantonen. Ohne ausführliche Darlegung des Vertrages wurde er Opfer von Missverständnissen und akkumulierten Sonderinteressen, die ohne Rücksicht auf die Anliegen der Union verteidigt werden. Nachverhandlungen wurden gefordert, ein erneuter Reset und rote Linien betont, die allein innerstaatlichem und parteipolitischem Kalkül entspringen und entsprechen. Die patriotische Fundamentalopposition nationalkonservativer Kreise erhält Verstärkung aus dem Finanzsektor, der eine strengere Marktkaufsicht über seine Geschäfte seitens der EU abwenden will.

Das Ergebnis ist bekannt. Mit wesentlichen Änderungen kann nicht gerechnet werden. Bundesrat und Politiker erwägen jetzt den Übungsabbruch, ohne Rücksicht auf die grossen Schwierigkeiten für die Wirtschaft und auf die Versorgung mit medizinischen Gütern, gerade in Zeiten der Pandemie.

Öffentliche Umfragen haben regelmässig eine Unterstützung des Rahmenabkommens von über 60% an den Tag gelegt. Volk und Stände haben 2018 die Selbstbestimmungsinitiative mit 66.3% und die Kündigungsinitiative 2020 mit 61.7% abgelehnt. Beide Befunde werden in der Politik nicht zur Kenntnis genommen. PolitikerInnen behaupten weiterhin, dass das Rahmenabkommen ohne Anpassungen in einer Volksabstimmung keine Chance habe. Hinter solchen Aussagen stecken Sonderinteressen, und nicht das Gemeinwohl des Landes. Wenn der Bundesrat jetzt die Verhandlung abbricht, so kommt dies einem Kniefall nicht nur vor nationalkonservativen Kreisen gleich. Er knickt ein gegenüber all den kumulierten Sonderinteressen, die umgekehrt die Verantwortung für die wirtschaftlichen Folgen dem Bundesrat in die Schuhe schieben werden.

Aus diesem Grunde muss der Bundesrat den Vertrag endlich unterschreiben und dem Parlament mit seinem Antrag weiterleiten. Als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben wir ein Recht darauf, dass der Vertrag im Parlament debattiert wird und in der Folge dem einfachen Referendum unterstellt wird, wie dies der Bundesrat ausserhalb einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung klugerweise für das Freihandelsabkommen von 1972 getan hatte. Nur ein Volksentscheid kann letztlich den Weg aus einer verfahrenen Situation finden und die weitere Spaltung des Landes verhindern. Nur das Volk kann letztlich die Verantwortung für einen derart wichtigen Entscheid in der direkten Demokratie übernehmen. Und nur ein Volksentscheid wird letztlich von der Europäischen Union als legitime Entscheidung anerkannt werden.

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