Putin und Trump: Zeitenwenden für Europa und die Schweiz von Daniel Woker
Die europäische Sicherheitspolitik, bereits durch Russlands nackte Aggression in der Ukraine aufgescheucht, wird sich mit Trump als Präsidenten der bisherigen Schutzmacht USA rasch entwickeln müssen. Auch die Schweiz ist von diesen beiden sicherheitspolitischen Zeitenwenden direkt betroffen
Wladimir Putins Wahnidee als moderner Peter der Grosse das imperialistische Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erneut aufleben zu lassen, muss – unbesehen von Donald Trumps allfälligem Deal mit ihm zur Ukraine – eine deutliche sicherheitspolitische Grenze gesetzt werden. Die Hauptlast davon wird Europa tragen müssen, denn eine Umlagerung amerikanischer Truppenstärke Richtung Fernost wird auf jeden Fall stattfinden. Sollte Trump den amerikanischen Militärpfeiler in Europa zumindest für einige Zeit stehen lassen, wird er sich das teuer bezahlen lassen. Mit viel Geld für europäische Aufrüstung und mit massiven Rüstungskäufen made in the USA. Genau das, also eine noch grössere Abhängigkeit von den USA im Krisenfall wollen die EU und auch Grossbritannien mit zukünftigen Eigenanstrengungen vermeiden. Da die Schweiz bislang wie alle anderen europäischen Länder vom konventionellen und nuklearen amerikanischen Schutzschirm profitierte, ist sie ebenso von diesen Entwicklungen betroffen wie diese.
Die Sicherheits- und insbesondere die Verteidigungspolitik gehören zu den Kernkompetenzen von Nationalstaaten. Dazu gehört auch eine eigene Rüstungsindustrie. Die europäische Vereinheitlichung dieser Bereiche ist entsprechend schwierig; die bisherigen Ansätze dazu sind bis anhin nur teilweise erfolgreich, bieten aber immerhin eine gewisse Basis. Dies gilt in erster Linie für die im Rahmen der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU geschaffene PESCO (Permanent Structured Cooperation) und im Rüstungsbereich für die Generaldirektion (GD) für Rüstungsindustrie und Weltall.
Ein europäischer Verteidigungskommissar
Die eben eingesetzte neue EU-Kommission umfasst nun zum ersten Mal einen Verteidigungskommissar. Im Moment würde wohl der Titel Rüstungskommissar seine Aufgabe besser umschreiben, soll er doch erstens mehr länderübergreifende Produktion von Rüstungsgütern fördern und zweitens einen Binnenmarkt für Rüstung schaffen, was die EU-weite Ausschreibung auch von nationalen Projekten bedeutet. Dies wiederum müsste zwangsläufig zu vermehrten gemeinsamen Offerten von Rüstungsfirmen führen. Folgerichtig ist nun die erwähnte GD für Rüstung und Weltall dem neuen Kommissar unterstellt. Zur Finanzierung von gemeinsamen Verteidigungs- und Rüstungsvorhaben wird in Brüssel im Moment ein Verteidigungsfonds von 500 Milliarden Euro diskutiert, der von der Europäischen Investitionsbank verwaltet und durch Anleihen geäufnet würde, welche von den daran teilhabenden Mitgliedstaaten garantiert werden.
Solange die direkte militärische Kooperation der europäischen nationalen Streitkräfte primär über die NATO-Schiene läuft, wird sich diese kaum substanziell in die EU verlagern. Aber mit Trump als amerikanischem Oberkommandierenden kann sich das schnell ändern. Das Prinzip der bestehenden EU-Kampfgruppen – ein bescheidener Anfang, aktuell nicht für die Verteidigung von EU-Gebiet, sondern für Einsätze etwa in Afrika geplant, aber noch nie im Konfliktfall eingesetzt – könnte dann rasch ausgeweitet werden.
Grossbritannien zwischen Trump und der EU
Grundsätzlich ist Grossbritannien sicherheitspolitisch eng mit den USA verzahnt, von seinen Nuklearwaffen über nuklear angetriebene U-Boote – wo Australien einbezogen werden soll –– bis hin zur sogenannten Five eyes, eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit in der Anglosphere (USA, UK, CND, AUS, NZ). Die Unberechenbarkeit von Trump stellt die enge Kooperation aber in Frage. Bereits vor Amtsantritt sind es seine Nominationen in entscheidende Schaltstellen solcher Zusammenarbeit, die signalisieren, dass er keineswegs geneigt erscheint, die special relationship nahtlos weiterzuführen. In Trumps transactional Aussenpolitik – Aussenpolitik als Nullsummenspiel, wo nur Macht entscheidend ist – zählen als Gegner China, Indien, Russland und die EU. Einzelne europäische Länder sind für ihn von zeremoniellem Wert – eine Einladung ins Schloss Windsor oder an die Wiedereröffnung der Notre Dame – zählen als Machtfaktor aber nur in zweiter Linie.
Das Vereinigte Königreich wird sich also europäisch gegen atlantische Störungen rückversichern müssen. Das erscheint nach dem Brexit nicht einfach, jedenfalls was die Wirtschaftspolitik anbelangt. In der Sicherheitspolitik sieht das indessen etwas anders aus, da London hier bereits als NATO-Mitglied schwergewichtige Beiträge einbringen kann. Allem voran durch seine Marine und Nuklearkapazität, deren Vereinigung mit der französischen force de frappe zu einer europäischen Atommacht im Moment zwar noch utopisch erscheint. Aber auch das kann sich rasch ändern, wenn Washington die Eindämmung russischer Aggression auf Europa abwälzt.
Ein Anfang auf den Einbezug des Vereinigten Königreichs wurde eben gemacht, indem London neu an EU-finanzierten Rüstungsprojekten beteiligt ist, und am erwähnten Europäischen Verteidigungsfonds teilnehmen kann.
Und was macht die Schweiz?
«Die Schweiz hat ein Budget, aber keine Politik», hat Daniel Binswanger kürzlich die Auswirkungen der unheilvollen eidgenössischen Schuldenbremse zusammengefasst. Selbst der mutmassliche nächste Bundeskanzler Deutschlands, der Konservative Friedrich Merz, hat in Aussicht gestellt, der goldenen Regel aller Schuldenbremsen folgen zu wollen, welche ausserbudgetäre Ausgaben für absolut notwendige Investitionen in die Zukunft erlaubt.
So etwa wie die im eidgenössischen Parlament diskutierte Vorlage, welche einen Fonds für schweizerische Rüstung und Hilfe an die Ukraine vorgesehen hatte, aber von einer Mehrheit von Rotstiftrittern abgelehnt wurde. Man verkennt, dass eine massive Aufrüstung der Verteidigung nie mit dem ordentlichen Budget erfolgte, sondern mittels Wehranleihen oder Sonderabgaben wie die damals ausserkonstitutionelle Wehrsteuer. Mehr Unterstützung der Ukraine wäre eigentlich eine Kernaufgabe der «ältesten Demokratie Europas», aber auch da galoppiert eine sparbesessene Mehrheit in die Gegenrichtung, wie die eben beschlossene Teilverweigerung des Schutzstatus’ S für Ukrainer – verbunden mit der Hoffnung auf weniger Flüchtlinge und damit Ausgaben – zeigt.
Dass mit Blick auf Putins Aggression grundsätzlich mehr Geld in die schweizerischen Streitkräfte fliessen muss, ist kaum bestritten. Nicht ganz unberechtigt wird dabei die Frage gestellt: Für was genau? Russische Panzer am Bodensee auftauchen zu sehen, bleibt eher unwahrscheinlich. Nicht aber, und immer weniger, eine direkte Bedrohung der Schweiz durch russische Aggression via Cyber, Luft und generell hybrider Kriegsführung oder durch Drohnen und Marschflugkörper, die auf kritische Infrastrukturen wie beispielsweise Stauseen eingesetzt werden könnten. Russische Raketen auf das Schaltzentrum der europäischen Elektrizitätsversorgung in der Schweiz sind denkbar, auch generell Präventiv- und Demonstrativschläge gegen österreichische und schweizerische Ziele, da bei einem Angriff auf beide die automatische, gegenseitige Beistandsklausel der NATO nicht greifen würde, und damit ein automatischer casus belli für das übrige Europa nicht gegeben wäre.
Noch wichtiger und realistischer allerdings erscheint es, die schweizerische Armee möglichst NATO- und EU-kompatibel auszustatten und auszubilden, um im Notfall – wo die klassische Neutralität ohnehin wegfallen würde – vorbereitet zu sein. Die schweizerische Luftwaffe, ausgestattet mit NATO-kompatiblem Gerät, trainiert seit langem mit und im Luftraum des NATO-Mitgliedes Schweden. Warum dies nicht auf andere Waffengattungen ausweiten?
Rüstungsindustrie nur für die Schweiz ist Unsinn
Und weiter muss dringend dafür gesorgt werden, dass die schweizerische Rüstungsindustrie wegen dem trotzigen Festhalten an einem überholten Neutralitätskonzept aus dem 19. Jahrhundert, den Haager Konventionen, ihre internationale Kooperations- und Wettbewerbsfähigkeit nicht noch vollends verliert. In den Plänen von Brüssel für vermehrte europäische Rüstung scheinen Konzerne des Nicht-EU-Mitglieds Norwegen auf, natürlich auch das deutsche Firmenkonglomerat Rheinmetall. Von schweizerischer Beteiligung ist nicht die Rede, obwohl ja wichtige Teile der Ruag in der Rheinmetall aufgegangen sind. Als erstes muss hier in Europa das Verbot der bewilllungsfreien Wiederausfuhr fallen. Kann sich das Parlament nicht bald einigen, kann der Bundesrat dies durch eine Praxisänderung auf der Grundlage des bestehenden Rechts tun. Eine auf die Schweiz beschränkte Rüstungsindustrie ist nicht nur unbezahlbar, sondern verpasst auch die notwendige europäische Kooperation, die jetzt anzieht. Das müssen auch die Pazifisten der SP einsehen.
Ach ja, und schliesslich sind einmal mehr die vermeintlich wackersten Vaterlandsverteidiger, nämlich die SVP, genau in der Gegenrichtung tätig. Mit ihrer sogenannten Neutralitätsinitiative – besser Pro-Putin-Initiative, da vom postulierten Sanktionsverbot die aggressiven Autokraten dieser Welt profitieren würden – wollen sie die schweizerische Aussenpolitik einmauern, würden aber so sicherheitspolitisch unser Land ohne vertraute Kooperationspartner zum Abschuss freigeben. Bei einer Annahme dieser Initiative darf man dann nicht erstaunt sein, wenn die EU und die NATO dereinst im Kriegsfall Teile der Schweiz zur Durchsetzung ihrer Sicherheitspolitik und Strategie präventiv besetzen werden.