Putin und Trump: Zeitenwenden für Europa und die Schweiz von Daniel Woker

Die europäische Sicherheitspolitik, bereits durch Russlands nackte Aggression in der Ukraine aufgescheucht, wird sich mit Trump als Präsidenten der bisherigen Schutzmacht USA rasch entwickeln müssen. Auch die Schweiz ist von diesen beiden sicherheitspolitischen Zeitenwenden direkt betroffen

Wladimir Putins Wahnidee als moderner Peter der Grosse das imperialistische Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erneut aufleben zu lassen, muss – unbesehen von Donald Trumps allfälligem Deal mit ihm zur Ukraine – eine deutliche sicherheitspolitische Grenze gesetzt werden. Die Hauptlast davon wird Europa tragen müssen, denn eine Umlagerung amerikanischer Truppenstärke Richtung Fernost wird auf jeden Fall stattfinden. Sollte Trump den amerikanischen Militärpfeiler in Europa zumindest für einige Zeit stehen lassen, wird er sich das teuer bezahlen lassen. Mit viel Geld für europäische Aufrüstung und mit massiven Rüstungskäufen made in the USA. Genau das, also eine noch grössere Abhängigkeit von den USA im Krisenfall wollen die EU und auch Grossbritannien mit zukünftigen Eigenanstrengungen vermeiden. Da die Schweiz bislang wie alle anderen europäischen Länder vom konventionellen und nuklearen amerikanischen Schutzschirm profitierte, ist sie ebenso von diesen Entwicklungen betroffen wie diese.

Die Sicherheits- und insbesondere die Verteidigungspolitik gehören zu den Kernkompetenzen von Nationalstaaten. Dazu gehört auch eine eigene Rüstungsindustrie. Die europäische Vereinheitlichung dieser Bereiche ist entsprechend schwierig; die bisherigen Ansätze dazu sind bis anhin nur teilweise erfolgreich, bieten aber immerhin eine gewisse Basis. Dies gilt in erster Linie für die im Rahmen der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU geschaffene PESCO (Permanent Structured Cooperation) und im Rüstungsbereich für die Generaldirektion (GD) für Rüstungsindustrie und Weltall.

 

Ein europäischer Verteidigungskommissar

 

Die eben eingesetzte neue EU-Kommission umfasst nun zum ersten Mal einen Verteidigungskommissar. Im Moment würde wohl der Titel Rüstungskommissar seine Aufgabe besser umschreiben, soll er doch erstens mehr länderübergreifende Produktion von Rüstungsgütern fördern und zweitens einen Binnenmarkt für Rüstung schaffen, was die EU-weite Ausschreibung auch von nationalen Projekten bedeutet. Dies wiederum müsste zwangsläufig zu vermehrten gemeinsamen Offerten von Rüstungsfirmen führen. Folgerichtig ist nun die erwähnte GD für Rüstung und Weltall dem neuen Kommissar unterstellt. Zur Finanzierung von gemeinsamen Verteidigungs- und Rüstungsvorhaben wird in Brüssel im Moment ein Verteidigungsfonds von 500 Milliarden Euro diskutiert, der von der Europäischen Investitionsbank verwaltet und durch Anleihen geäufnet würde, welche von den daran teilhabenden Mitgliedstaaten garantiert werden.

Solange die direkte militärische Kooperation der europäischen nationalen Streitkräfte primär über die NATO-Schiene läuft, wird sich diese kaum substanziell in die EU verlagern. Aber mit Trump als amerikanischem Oberkommandierenden kann sich das schnell ändern. Das Prinzip der bestehenden EU-Kampfgruppen – ein bescheidener Anfang, aktuell nicht für die Verteidigung von EU-Gebiet, sondern für Einsätze etwa in Afrika geplant, aber noch nie im Konfliktfall eingesetzt – könnte dann rasch ausgeweitet werden.

 

Grossbritannien zwischen Trump und der EU

 

Grundsätzlich ist Grossbritannien sicherheitspolitisch eng mit den USA verzahnt, von seinen Nuklearwaffen über nuklear angetriebene U-Boote – wo Australien einbezogen werden soll –– bis hin zur sogenannten Five eyes, eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit in der Anglosphere (USA, UK, CND, AUS, NZ). Die Unberechenbarkeit von Trump stellt die enge Kooperation aber in Frage. Bereits vor Amtsantritt sind es seine Nominationen in entscheidende Schaltstellen solcher Zusammenarbeit, die signalisieren, dass er keineswegs geneigt erscheint, die special relationship nahtlos weiterzuführen. In Trumps transactional Aussenpolitik – Aussenpolitik als Nullsummenspiel, wo nur Macht entscheidend ist – zählen als Gegner China, Indien, Russland und die EU. Einzelne europäische Länder sind für ihn von zeremoniellem Wert – eine Einladung ins Schloss Windsor oder an die Wiedereröffnung der Notre Dame – zählen als Machtfaktor aber nur in zweiter Linie.

Das Vereinigte Königreich wird sich also europäisch gegen atlantische Störungen rückversichern müssen. Das erscheint nach dem Brexit nicht einfach, jedenfalls was die Wirtschaftspolitik anbelangt. In der Sicherheitspolitik sieht das indessen etwas anders aus, da London hier bereits als NATO-Mitglied schwergewichtige Beiträge einbringen kann. Allem voran durch seine Marine und Nuklearkapazität, deren Vereinigung mit der französischen force de frappe zu einer europäischen Atommacht im Moment zwar noch utopisch erscheint. Aber auch das kann sich rasch ändern, wenn Washington die Eindämmung russischer Aggression auf Europa abwälzt.

Ein Anfang auf den Einbezug des Vereinigten Königreichs wurde eben gemacht, indem London neu an EU-finanzierten Rüstungsprojekten beteiligt ist, und am erwähnten Europäischen Verteidigungsfonds teilnehmen kann.

 

Und was macht die Schweiz?

 

«Die Schweiz hat ein Budget, aber keine Politik», hat Daniel Binswanger kürzlich die Auswirkungen der unheilvollen eidgenössischen Schuldenbremse zusammengefasst. Selbst der mutmassliche nächste Bundeskanzler Deutschlands, der Konservative Friedrich Merz, hat in Aussicht gestellt, der goldenen Regel aller Schuldenbremsen folgen zu wollen, welche ausserbudgetäre Ausgaben für absolut notwendige Investitionen in die Zukunft erlaubt.

So etwa wie die im eidgenössischen Parlament diskutierte Vorlage, welche einen Fonds für schweizerische Rüstung und Hilfe an die Ukraine vorgesehen hatte, aber von einer Mehrheit von Rotstiftrittern abgelehnt wurde. Man verkennt, dass eine massive Aufrüstung der Verteidigung nie mit dem ordentlichen Budget erfolgte, sondern mittels Wehranleihen oder Sonderabgaben wie die damals ausserkonstitutionelle Wehrsteuer. Mehr Unterstützung der Ukraine wäre eigentlich eine Kernaufgabe der «ältesten Demokratie Europas», aber auch da galoppiert eine sparbesessene Mehrheit in die Gegenrichtung, wie die eben beschlossene Teilverweigerung des Schutzstatus’ S für Ukrainer – verbunden mit der Hoffnung auf weniger Flüchtlinge und damit Ausgaben – zeigt.

Dass mit Blick auf Putins Aggression grundsätzlich mehr Geld in die schweizerischen Streitkräfte fliessen muss, ist kaum bestritten. Nicht ganz unberechtigt wird dabei die Frage gestellt: Für was genau? Russische Panzer am Bodensee auftauchen zu sehen, bleibt eher unwahrscheinlich. Nicht aber, und immer weniger, eine direkte Bedrohung der Schweiz durch russische Aggression via Cyber, Luft und generell hybrider Kriegsführung oder durch Drohnen und Marschflugkörper, die auf kritische Infrastrukturen wie beispielsweise Stauseen eingesetzt werden könnten. Russische Raketen auf das Schaltzentrum der europäischen Elektrizitätsversorgung in der Schweiz sind denkbar, auch generell Präventiv- und Demonstrativschläge gegen österreichische und schweizerische Ziele, da bei einem Angriff auf beide die automatische, gegenseitige Beistandsklausel der NATO nicht greifen würde, und damit ein automatischer casus belli für das übrige Europa nicht gegeben wäre.

Noch wichtiger und realistischer allerdings erscheint es, die schweizerische Armee möglichst NATO- und EU-kompatibel auszustatten und auszubilden, um im Notfall – wo die klassische Neutralität ohnehin wegfallen würde – vorbereitet zu sein. Die schweizerische Luftwaffe, ausgestattet mit NATO-kompatiblem Gerät, trainiert seit langem mit und im Luftraum des NATO-Mitgliedes Schweden. Warum dies nicht auf andere Waffengattungen ausweiten?

 

Rüstungsindustrie nur für die Schweiz ist Unsinn

 

Und weiter muss dringend dafür gesorgt werden, dass die schweizerische Rüstungsindustrie wegen dem trotzigen Festhalten an einem überholten Neutralitätskonzept aus dem 19. Jahrhundert, den Haager Konventionen, ihre internationale Kooperations- und Wettbewerbsfähigkeit nicht noch vollends verliert. In den Plänen von Brüssel für vermehrte europäische Rüstung scheinen Konzerne des Nicht-EU-Mitglieds Norwegen auf, natürlich auch das deutsche Firmenkonglomerat Rheinmetall. Von schweizerischer Beteiligung ist nicht die Rede, obwohl ja wichtige Teile der Ruag in der Rheinmetall aufgegangen sind. Als erstes muss hier in Europa das Verbot der bewilllungsfreien Wiederausfuhr fallen. Kann sich das Parlament nicht bald einigen, kann der Bundesrat dies durch eine Praxisänderung auf der Grundlage des bestehenden Rechts tun. Eine auf die Schweiz beschränkte Rüstungsindustrie ist nicht nur unbezahlbar, sondern verpasst auch die notwendige europäische Kooperation, die jetzt anzieht. Das müssen auch die Pazifisten der SP einsehen.

Ach ja, und schliesslich sind einmal mehr die vermeintlich wackersten Vaterlandsverteidiger, nämlich die SVP, genau in der Gegenrichtung tätig. Mit ihrer sogenannten Neutralitätsinitiative – besser Pro-Putin-Initiative, da vom postulierten Sanktionsverbot die aggressiven Autokraten dieser Welt profitieren würden – wollen sie die schweizerische Aussenpolitik einmauern, würden aber so sicherheitspolitisch unser Land ohne vertraute Kooperationspartner zum Abschuss freigeben. Bei einer Annahme dieser Initiative darf man dann nicht erstaunt sein, wenn die EU und die NATO dereinst im Kriegsfall Teile der Schweiz zur Durchsetzung ihrer Sicherheitspolitik und Strategie präventiv besetzen werden.

 

 

 

Helvetische Zerrbilder der EU von Thomas Cottier

In der Schweiz bestünden Zerrbilder der Europäischen Union, schreibt ASE-Präsident Thomas Cottier im nachfolgenden Essay. Namentlich würden ihr vorgeworfen, sie sei entscheidungsschwach, undemokratisch und ein Bürokratiemonster. Cottier zeigt, dass diese Zerrbilder vor der Wirklichkeit nicht standhalten, auch wenn es durchaus Punkte zur Kritik und Anlass zu Verbesserungen in der EU gebe. Schuld an diesen Zerrbildern seien aber nicht nur Parteipolitik, der Neue Sonderbund und die helvetischen Medien, die mit Vorliebe über Probleme und Schwächen der EU berichten. Mitspielen würden auch, so argumentiert Cottier, eigene unterschwellige Ängste vor einer stärkeren Annäherung an die EU – etwa vor einem Verlust der Souveränität und Identität sowie der direktdemokratisch geprägten politischen Kultur der Schweiz.

Hier geht es zum Essay von Thomas Cottier (PDF)

Calmez-vous: Die Schweiz hat ihre Schutzklausel in den Bilateralen III von Thomas Cottier

Die bilateralen Verträge belassen der Schweiz gesamthaft gesehen einen hinreichenden Spielraum für die Gestaltung und Steuerung der Migration, schreibt ASE-Präsident Thomas Cottier im nachfolgenden Aufsatz zur umstrittenen Frage der Notwendigkeit einer einseitigen Schutzklausel. Mit den Bilateralen III und dem neuen Streitbeilegungsverfahren resultiert im Ergebnis die Möglichkeit, vorübergehend einseitige Massnahmen unter Inkaufnahme von verhältnismässigen Ausgleichsmassnahmen zu treffen. Die Rechtslage unterscheidet sich im praktischen Ergebnis nicht vom EWR-Vertrag.

 

Hier geht es zum Aufsatz von Thomas Cottier (PDF) 

 

 

Skeptisch zur EU, aber klar für die Bilateralen von Martin Gollmer

Das jahre-, ja jahrzehntelange Schlechtreden zeigt Wirkung: Die EU weckt bei vielen Schweizerinnen und Schweizern negative Gefühle. Trotzdem unterstützt eine deutliche Mehrheit des Stimmvolks die laufenden Verhandlungen über die Bilateralen III zwischen der Schweiz und der EU. Das zeigt eine neue Umfrage von gfs.bern in Auftrag der SRG.

«Die EU ist ein ‘bürokratischer Moloch’»: So lautete jüngst der Titel über einem Artikel im Tages-Anzeiger (Ausgabe vom 26.10.24). Was nachher folgte, war aber nicht eine eingehende journalistische Auseinandersetzung mit dem angeblichen bürokratischen Moloch Europäische Union, sondern die Beschreibung der Resultate einer Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG zur Sicht der Schweizer Stimmberechtigten auf die EU und die bilateralen Verträge mit dieser. Was in der Umfrage viele Schweizerinnen und Schweizer behaupten, wird vom Tages-Anzeiger ungeprüft und unkommentiert nicht als Gefühl und Vorurteil in der Bevölkerung, sondern einfach als Tatsache dargestellt. Dabei beschäftigt die EU weniger Mitarbeiter als der Kanton und die Stadt Zürich zusammen.

So geschieht es immer wieder in den Schweizer Medien: Faktenwidrige Behauptungen, die hauptsächlich EU-feindliche Kreise wie SVP-Vertreter um Einflüsterer Christoph Blocher sowie neuerdings auch ein Klub von Milliardären und Prominenten namens Kompass/Europa um Alfred Gantner und Kurt Aeschbacher aufstellen, werden meist unbesehen übernommen. Ein Faktencheck findet praktisch nie statt.

Das angebliche Brüsseler Beamtenmonster bemühte auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in ihrer Berichterstattung. «Der ‘Bürokratiemoloch’ weckt unterschiedliche Gefühle» hiess der Titel über ihrem Artikel zur Umfrage von gfs.bern (Ausgabe vom 26.10.24). Immerhin macht die Überschrift klar, dass nachher die Resultate einer Meinungsumfrage folgen und nicht ein Text über den Bürokratiemoloch an sich. Und immerhin hat sich die NZZ kürzlich in einem Artikel eingehend mit dem Funktionieren des Brüsseler EU-Apparats auseinandergesetzt («Mit dem Bürokratiemonster leben lernen», NZZ vom 7.10.24).

Man hört die SVP reden

Das jahre-, ja jahrzehntelange EU-Bashing und die schlechte Presse, die die EU in der Schweiz hat, spiegeln sich in der Umfrage von gfs.bern. 49 Prozent der Stimmberichtigten gab an, dass sie «negative» Gefühle gegenüber der Europäischen Union hätten. «Positive» Gefühle machte nur eine Minderheit von 28 Prozent der Befragten geltend.

Negative Gefühle sind dabei gemäss Umfrage mit dem Verlust von nationaler Souveränität, die mit einer Anbindung an die EU einhergehen soll, mit der Bürokratie in der EU und den als undemokratisch empfundenen EU-Entscheidungsprozessen verbunden. Genau das sind Meinungen zur Europäischen Union, wie sie die SVP und ihr nahestehende nationalkonservative Kreise seit langem mantramässig und meist unwidersprochen wiederholen. Und weil viele Schweizerinnen und Schweizer nur wenig Eigenwissen über die EU sowie kaum direkte persönliche Erfahrungen mit der EU und ihren Institutionen haben, fallen diese Behauptungen von SVP und Co. bei ihnen leicht auf fruchtbaren Boden. Bei Licht besehen widerspiegeln sie die eigene Unsicherheit und Ängste vor dem angeblichen Verlust nationaler Identität und von direkt-demokratischen Mitwirkungsrechten.

Positive Ansichten verweisen dagegen auf die EU als Friedens- und Wohlstandsprojekt, die wirtschaftlichen Vorteile einer Beteiligung an der EU sowie den Vorteilen, die die Einbindung in eine grössere Gemeinschaft mit sich bringt.

Pragmatisches Verhältnis zur EU

Die EU mag bei den Schweizerinnen und Schweizern ein negatives Image haben, aber die bilateralen Verträge mit ihr stufen hohe 80 Prozent als wichtig für die Schweiz ein. Aber nur noch 54 Prozent meinen, diese Verträge brächten der Schweiz Vorteile. Positiv zu Buche schlagen dabei vor allem der hindernisfreie Zugang zu einem Teil des EU-Binnenmarkts, dem klar wichtigsten Exportmarkt für die Schweizer Wirtschaft, sowie die Möglichkeit, den Fachkräftemangel in der Schweiz zu lindern. Als negativ bezeichnet wird dagegen die verstärkte Zuwanderung in die Schweiz, die für Lohndruck sorge, die Miet- und Immobilienpreise steigen lasse sowie die Sozialwerke belaste.

Und obwohl die SVP und Kompass/Europa an den laufenden Gesprächen zwischen Bern und Brüssel über ein neues, drittes bilaterales Vertragspaket, den Bilateralen III, kein gutes Haar lassen, befürworten deutliche 71 Prozent der Stimmberechtigten diese Verhandlungen. Deren Dringlichkeit wird allerdings von den Befragten stark unterschiedlich beurteilt: 54 Prozent bezeichnen sie als dringend, 43 Prozent als nicht dringend. Diese klaren Zustimmungswerte zu den Bilateralen und zu den gegenwärtigen Verhandlungen bestätigen die Ergebnisse früherer Umfragen.

Fazit: Viele Schweizerinnen und Schweizer lieben die EU zwar nicht, aber sie finden diese so wichtig, dass sie geregelte Beziehungen der Schweiz zu ihr grossmehrheitlich gutheissen. In dieser Haltung spiegelt sich damit ein pragmatisches Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zur EU. Darin zeigt sich aber auch eine starke Unterstützung des bilateralen Weges und damit der anstehenden Bilateralen III.

Die Umfrage von gfs.bern erfolgte zum richtigen Zeitpunkt. Bundesrat und Parlament wird es nicht mehr möglich sein, das demnächst fertig ausgehandelte Paket mit der fadenscheinigen Begründung zurückweisen, dass es vor dem Volk keine Chance habe. Das war schon beim institutionellen Rahmenabkommen auf Grund damaliger Umfragen unrichtig und gilt heute umso mehr.

NATO: Der Kommunikation müssen Taten folgen von Thomas Cottier  

Mit den Auswirkungen von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und des Beitritts von Finnland und Schweden zur NATO auf die Kommunikation des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses befasste sich in Bern eine Veranstaltung mit der ehemaligen NATO-Mediensprecherin Oana Lungescu. In der Diskussion kam auch die neutralitätsbedingt zurückhaltende Rolle der Schweiz im Ukrainekrieg zur Sprache.

«Communicating in Dangerous Times: NATO from Russia’s Aggression to Welcoming Finland and Sweden»: Unter diesem Titel referierte am 24. Oktober 2024 Oana Lungescu, Mediensprecherin der NATO von 2010-2023 und heute distinguished fellow am Royal United Services Institute London (RUSI). Eingeladen ins World Trade Institute (WTI) in Bern hatten die Tschechische Botschaft in der Schweiz (als hiesige Koordinatorin der NATO-Staaten) und die Vereinigung La Suisse en Europe (ASE). Die Referentin ging in ihren Ausführungen auf drei Punkte ein: den starken Wandel der NATO in den letzten zehn Jahren, den Beitritt von Finnland und Schweden und die Auswirkungen auf die Kommunikation. Die Diskussion befasste sich kritisch mit der Zurückhaltung des Westens und der Haltung und Rolle der Schweiz im Ukrainekrieg.

Bemühte sich die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion ab 1991 um eine Annäherung und Einbindung Russlands, so verhärtete sich das Klima mit der Besetzung der Krim 2014. Die Madrider NATO-Gipfel von 2022 bezeichnete Russland offen als grosse Gefahr und richtete die Allianz von der kollektiven Verteidigung auf die kollektive Abschreckung aus. Heute bestehen acht operative Battle Groups, und mit dem Beitritt Finnlands und Schweden kommt eine neunte Gruppe dazu. Die Militärausgaben steigen schrittweise auf 2 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP); in Polen als Frontstaat betragen sie heute bereits 4 Prozent. Die Zusammenarbeit mit Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan wird verstärkt, als Antwort auf die zunehmende Kooperation zwischen Russland, China, Iran und Nordkorea. 90 Prozent der verbauten elektronischen Komponenten in der russischen Rüstungsindustrie stammen aus China. Im Krieg gegen die Ukraine liefert Iran Dronen. Nordkorea liefert Munition, Kurzstreckenraketen und stellt jüngst 3000 Soldaten als weitere Eskalation zur Verfügung. Russland unterstützt im Gegenzug Irans und Nordkoreas Nuklear- und Raketenprogramme. Die westlichen Demokratien und ihre Öffentlichkeit haben die damit verbundene Gefahr noch zu wenig erkannt. Sie müssen stärker zusammenrücken und in Europa die Zusammenarbeit zwischen EU und NATO weiter stärken.

Was Russlands Krieg gegen die Ukraine bewirkte   

Der Beitritt zur NATO von Finnland am 4. April 2023 und von Schweden am 7. März 2024 und deren Abkehr von der Neutralität war das direkte Ergebnis von Russlands Krieg in der Ukraine. Beide Länder waren aber bereits vorher langfristige und enge Partner der NATO.  Die gemeinsame Grenze der NATO mit Russland wird verdoppelt und die europäische Verteidigung wesentlich gestärkt. Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine das Gegenteil seiner Absichten erreicht.

Angesichts der hybriden Kriegsführung durch gezielte Desinformation ist für Oana Lungescu eine proaktive und faktenbasierte Kommunikation von zentraler Bedeutung. Man muss auch klar sagen, welchen Frieden man will. Der Kommunikation müssen Taten folgen, sonst verliert sich die Glaubwürdigkeit auch faktengestützter Kommunikation. Der Winter 2024/25 wird nicht nur für die Ukraine, sondern für den Westen entscheidend sein. Es geht um nichts weniger als die Erhaltung einer regelbasierten Ordnung in Europa und der Welt. Ein Zusammenbruch der Ukraine und die damit verbundene Gefährdung der baltischen und auch anderen europäischen Staaten hätte massive Fluchtbewegungen gegen Westen, Finanzmarkt- und Energieversorgungsstörungen zur Folge, welche die demokratische Ordnung zusätzlich gefährden und populistischen Strömungen weiter Auftrieb geben. Das Bewusstsein für diese Gefahren ist in den wohlstandsverwöhnten westlichen Demokratien noch nicht wirklich vorhanden.

Neutralität führt die Schweiz in die Isolation

Die unter Chatham House Rules durchgeführte Diskussion kritisierte die vorsichtige und zurückhaltende Haltung des Westens, welche Russlands Präsident Putin keineswegs zu eigener Zurückhaltung veranlasst. Russland hat ein mit Spanien vergleichbares Bruttosozialprodukt (BSP) und die Ukraine kann und muss so unterstützt werden, dass sie den Konflikt für sich entscheiden kann und das Selbstbestimmungsrecht zum Tragen kommt. Das atomare Säbelrasseln Putins muss als Drohgebärde realistisch eingeordnet werden. Die Diskussion befasste sich sodann mit der Kritik an den schweizerischen Restriktionen zur Wiederausfuhr von Kriegsmaterial, die im Ausland auf Ablehnung stossen. Die schleppende Gesetzesreform wurde mit der rasch abgewickelten Auflösung der Crédit Suisse kontrastiert; es fehle der Schweiz am politischen Willen, der Ukraine wirklich zu helfen.

Einmal mehr zeigte sich in der Diskussion, dass das tradierte Verständnis der Neutralität mit den Grundsätzen der UNO-Charta nicht vereinbar ist und das Land in die Isolation führt. Die Erfahrung von Finnland und Schweden zeigen sodann, dass der Beitritt zu einem Militärbündnis in Krisenzeiten beschleunigt werden kann, aber von langer Hand vorbereitet sein muss. Wenn die Schweiz glaubt, dass sie ein Bündnis erst nach erfolgtem Angriff an die Hand nehmen will, so ist sie klar auf dem Holzweg. Dazu kommt, dass die heutigen hybriden Bedrohungen sich einer klaren Unterscheidung von Krieg und Frieden entziehen.

Als Schweizer und Schweizerin verliess man die Veranstaltung mit dem klammen Gefühl, dass die Gefahren des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in der Schweiz im öffentlichen Bewusstsein nicht hinreichend angekommen sind. Der Bundesrat und das Parlament verhindern mit ihrer Neutralitätspolitik eine klare Sicht auf die vorhandene Bedrohung für die Demokratie. Eine klarere, realistische und faktenbasierte und proaktive Kommunikation ist erforderlich. Die Hoffnung, als Sonderfall verschont zu bleiben, ist ein gefährlich frommer Wunsch.

Der Vortrag am WTI wurde von rund 50 eingeladenen Personen besucht aus Parlament, Bundesverwaltung und diplomatischen Vertretungen in Bern sowie von Studierenden am WTI und Mitgliedern der ASE.

Die Schweiz droht den Kompass zu verlieren von Markus Mohler

Derzeit werden für drei Volksinitiativen, welche mit bestehenden Regelungen zwischen der Schweiz und der EU zu tun haben, Unterschriften gesammelt: Für die Nachhaltigkeitsinitiative (keine 10-Millionen-Schweiz), für die Grenzschutzinitiative (Asylmissbrauch stoppen), beide lanciert von der SVP, sowie für die Kompass-Initiative, die sich gegen eine Institutionalisierung der Binnenmarktverträge mit der EU wendet; zudem strebt sie das  obligatorische Referendum bei wichtigen völkerrechtlichen Verträgen an. Was wären die Folgen bei einer Annahme dieser Initiativen?

Die Grenzschutzinitiative peilt auf eine Verfassungsänderung, durch welche systematische Grenzkontrollen wieder eingeführt werden sollen. Was dies allein in den Räumen Basel, Bodensee, Genf und Tessin bedeutete, kann man täglich dort beobachten. Mit der Nachhaltigkeitsinitiative soll die Wohnbevölkerung vor dem Jahr 2050 auf unter zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohner mit verschiedenen rechtlichen Massnahmen begrenzt werden.

Beide Initiative berühren damit den freien Personenverkehr. Dieser ist jedoch ein Fundament der EU. Dieses Fundament gilt gleichermassen für die Staaten, welche mit ihr auf unterschiedliche Weise assoziiert sind, wie die Schweiz. Die EU findet «ihren Ausdruck im freien Überschreiten der Binnengrenzen durch alle Angehörigen der Mitgliedstaaten» (Präambel 1 des Schengen-Übereinkommens von 1985). Dem hat die Schweiz mit den Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkommen von 26. Oktober 2004 (SAA und DAA) zugestimmt. Von den damals zur Diskussion stehenden insgesamt acht Abkommen unter der Bezeichnung «Bilaterale II» wurde nur gegen «Schengen» und «Dublin» das Referendum ergriffen. Dieses wurde am 5. Juni 2005 mit 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt, diese Assoziierungsverträge also explizit angenommen.

Ohne die Aufrechterhaltung des freien Personenverkehrs ist die Assoziation zu «Schengen» und «Dublin» unmöglich. Für den Fall, dass die Schweiz den freien Personenverkehr als Inhalt des EU-Rechts nicht (mehr) akzeptierte, werden die Assoziierungsabkommen automatisch beendet (Art. 4 SAA, Art. 6 DAA).

Was «Schengen» und «Dublin» beinhalten

Beim Schengen-Abkommen geht es zunächst um die polizeiliche und strafrechtliche Zusammenarbeit, einschliesslich Grenzkontrollen. «Dublin» ist eine inzwischen mehrfach revidierte Asylrechtsregelung. Auch wenn die beiden eng miteinander verknüpft sind, darf man diese nicht einfach vermischen. Anders als «Schengen» ist das Asylrecht von verschiedenen Grundrechtsansprüchen unmittelbar geprägt. Dazu gehört etwa das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip, nach welchem niemand in ein Land, in dem einer Person Verfolgung, Folter oder Tod drohen (Art. 25 Abs. 2 und 3 der Bundesverfassung, BV), ausgeschafft werden darf. Mit dem Asylrecht verbunden ist auch das Recht auf Familie (Art. 14 BV).

Bei «Schengen» geht es mittlerweile um weit mehr als die polizeiliche und strafrechtliche Zusammenarbeit. Ausgelöst durch den Kampf gegen den Terrorismus wurden zunächst gemeinsame Visums-Regelungen eingeführt (Schengen-Visum, das für alle Schengen-Staaten gilt). Um dieses wirksam durchzusetzen, folgten später das EU- bzw. Schengen-weite System der Ein- und Ausreisekontrolle (Entry-/Exit-System, EES) und dann das Europäische Reiseinformations- und Genehmigungssystem (European Travel Information and Authorisation System, ETIAS). Dieses ETIAS gilt für Personen aus nicht dem Visumszwang unterworfenen Staaten (neu bspw. das Vereinigte Königreich). Auch diesem ist die Schweiz beigetreten.

Ein Kernstück von «Schengen» ist das Schengen-Informationssystem (SIS). Es ist zum einen ein europaweites Fahndungsregister. Gespiesen wird es von allen EU- und Schengen-assoziierten Staaten. Die schweizerischen Behörden rufen das SIS täglich über 100’000mal ab, dies ergibt rund 500’000 automatisierte technische Zugriffe auf die verschiedenen Datenbanken! Im laufenden Jahr führte dies alle zehn Minuten zu einem Treffer. Mit der technischen Interoperabilität der Systeme können die Behörden mit einer einzigen Abfrage über das bereits Bestehende hinaus auch das Ein- und Ausreise- und dann auch das Reiseinformations- und Genehmigungssystem konsultieren. Jegliche Fahndungen oder unerlaubte Aufenthalte werden mit einem Klick sofort evident. Ein Ersatz für das interoperable SIS auf rein nationaler Ebene ist selbstverständlich unmöglich. Das SIS ist auch nicht mit dem Interpol-Fahndungsregister gleichzusetzen, schon allein deshalb, weil sie mit Bezug auf Terrorismusfahndungen nicht übereinstimmen.

Schliesslich ist auch die derzeit gültige Befreiung von Schweizerinnen und Schweizern von der US-amerikanischen Visumspflicht (USA-Visa-Waiver-Programm) mit dem SIS verknüpft: Dieser Visumspflichtverzicht hängt damit zusammen, dass die Schweiz mit dem sogenannten EU-/Schengen-Prüm-Abkommen, speziell auf die Terrorismusbekämpfung ausgerichtet, assoziiert ist. Fiele dieses weg, würde auch die Visumspflichtpflicht durch die USA wieder eingeführt.

Was, wenn die Personenfreizügigkeit wegfiele?

Was bedeutete also die Aufgabe der Personenfreizügigkeit durch die Schweiz? Alle diese für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit unverzichtbaren Informationen entfielen gänzlich. Die Schweiz würde nicht zur zu einem Rückzugsort international gesuchter Delinquenten, sondern auch zu  einer logistischen Basis für kriminelle einschliesslich terroristische Organisationen. Zudem müsste die Schweiz auch mit allen Staaten, die von den EU-Visumsregelungen betroffen sind, wieder eigene Visums-Staatsverträge abschliessen. Wenn diese schweizerischen Visumsregelungen mit jenen der EU nicht vollständig kongruent wären, zwänge dies unsere Nachbarstaaten ebenso, systematische Grenzkontrollen einzuführen, um die Umgehung ihrer Visums- und Einreisegenehmigungsregelungen via Schweiz zu verhindern. Was dies bedeutete, kann man sich leicht ausmalen.

Nicht zu vergessen ist dabei, dass der Wegfall aller Informationen der erwähnten Register wie auch die systematische Grenzkontrolle und die verstärkte Überwachung der grünen und blauen Grenze eine enorme Personalvermehrung beim Bund und in den Kantonen verursachte. Ausser den damit massiv steigenden Kosten für die öffentliche Verwaltung ist auch sehr zu bezweifeln, dass das dafür nötige Personal überhaupt zu finden wäre. Das geltende Schengen-System erlaubt den einzelnen Mitglied- und assoziierten Staaten schon jetzt, in aussergewöhnlichen Lagen vorübergehend Grenzkontrollen einzuführen (Art. 25 f. und 28 ff. des Schengen-Grenzkodex [SR 0.362.380.067]). Derzeit machen zehn EU-Länder davon Gebrauch.

Massive Ausweitung obligatorischer Referenden

Mit der Kompass-Initiative wollen die Initianten alle wichtigen völkerrechtlichen Verträge dem obligatorischen Referendum unterstellen. Nun sind alle Weiterentwicklungen des sogenannten Schengen-Besitzstandes zwischen der Schweiz und der EU je ein völkerrechtlicher Vertrag jedoch unterschiedlicher Tragweite. Seit Februar 2008 bis Ende September 2024 waren es 449 Weiterentwicklungen. Sie werden derzeit in drei Kategorien eingeteilt: Rechtsgrundlagen für neue oder geänderte technische Vorgänge (Datenbanken, Abfragesysteme), verwaltungsrechtliche und materiell-rechtliche Bestimmungen. Von den 449 Weiterentwicklungen gehörten 49 zur dritten Kategorie und wurden  als wichtige Rechtsänderungen dem Parlament zur Genehmigung oder Ablehnung vorgelegt. Nach dem Sinn dieses Initiativbegehrens hätten also mindestens diese 49 dem obligatorischen Referendum unterstellt sein sollen. Da die Übernahme von Weiterentwicklungen an eine Frist von maximal zwei Jahren gebunden ist, könnten für solche Referendumsabstimmungen nicht immer die im Voraus festgelegten Termine taugen, es könnte zusätzliche brauchen. Demgegenüber wurde das Referendum nur drei Mal ergriffen (betreffend biometrische Pässe, Verschärfung der Waffenrechtsetzung und Beteiligung an Frontex); alle Referenden wurden abgelehnt.

Zudem eignen sich die wenigsten dieser sehr komplizierten und komplexen Änderungen der Schengen-Rechtsetzung für eine Diskussion im Rahmen einer Abstimmungskampagne.

Fazit: Die Beendigung der Schengen- und Dublin-Assoziierung bedeutete nicht nur einen enormen Verlust punkto innerer Sicherheit hierzulande und in ganz Europa sowie eine massive Personalaufstockung, die Schweiz würde im Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts, was die EU seit dem Amsterdamer-Vertrag anstrebt, eine Insel der Unsicherheit. Und diese Insel der Unsicherheit produzierte im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in sehr unsolidarischer Weise viele vermeidbare erhebliche Sicherheitsrisiken. Angesichts der globalen Situation eine unverantwortbare Politik.

Markus H. F. Mohler ist Jurist mit Promotion in Strafrecht. Er war Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt sowie Dozent für öffentliches, speziell Sicherheits- und Polizeirecht an den Universitäten von Basel und St. Gallen

Mit Homestories gegen Europa von Daniel Woker

Weil Regierung und Parlament zur wichtigsten aussenpolitischen Aufgabe der Schweiz, der Europapolitik, stumm bleiben, haben die EU-Gegner leichtes Spiel. Ehemalige helvetische Grössen unterstützen nun die Kampagne der Bewegung Kompass/Europa gegen die Bilateralen III.

Martin Gollmer hat am 7. Oktober auf dieser Website («Ein David gegen zwei Goliaths») aufgezeigt, was die Anti-EU-Initiative von Kompass/Europa will und wo deren gut finanzierte Kampagne falsch liegt und Unwahrheiten verbreitet. Tatsächlich geht die Kompass-Initiative sowohl an der europäischen Realität wie an den Bedürfnissen der Schweiz vorbei.

So verlangt die Initiative, dass in der Zukunft zahlreiche Staatsverträge sowohl dem Volk wie den Ständen (Kantonen) zur Annahme oder Ablehnung unterbreitet werden müssen (obligatorisches Referendum). Ebendies ist in Form einer Initiative der Aktion für eine unabhängige Schweiz (Auns; heute: Pro Schweiz) im Jahr 2012 von 75 Prozent des Stimmvolks verworfen worden.

Verzerrung zugunsten kleiner Kantone

Die Anti-Europa-Initiative will bei kommenden Abstimmungen zu bilateralen Verträgen mit der EU auch obligatorisch ein Ständemehr verlangen. Dadurch würde die Gesetzgebung massiv zugunsten kleinerer Kantone verzerrt. Es geht nicht an, dass in aussenpolitischen Fragen, welche die kantonale Souveränität nicht tangieren, eine Stimme aus Glarus hundert Mal mehr zählt als eine aus Zürich.

Mit direkter Demokratie hat das nichts zu tun, wohl aber mit der Hoffnung, dass die Landbevölkerung, die tendenziell konservativ abstimmt, eine kommende Europa-Vorlage bodigen könnte. Die Zuger Finanzhaie fürchten nämlich wegen zukünftigen EU-Bestimmungen gegen den Kasinokapitalismus geschäftliche Nachteile.

Zu Besuch bei Kurt Aeschbacher

«Beim Eintreten in die Wohnung kommt mir die Hündin schwanzwedelnd entgegen und bringt mir ihr Stofftier.» So beginnt eine als Interview kaschierte Homestory in einem grossen schweizerischen Zeitungsverbund mit dem Ex-Fernsehmoderator Kurt Aeschbacher. Dieser gibt zahlreiche der faktenfreien «Tatsachen» aus dem Skript der Kompass-Initianten zum Besten. So etwa, dass wir mit den Bilateralen III alle EU-Gesetze «automatisch» übernehmen müssten.

Das stimmt nicht. Jede Übernahme ist letztlich von einem schweizerischen Entscheid abhängig. Dies gesagt, entspricht schon heute eine Mehrheit schweizerischer Gesetze ganz oder grösstenteils europäischer Gesetzgebung, und zwar ganz einfach, weil diese erstens neue Materien vernünftig regeln und zweitens den Zugang zum europäischen Binnenmarkt aufrechterhalten. Der wirtschaftliche Austausch mit der EU war und ist für einen guten Teil des schweizerischen Wohlstandes verantwortlich.

Dass wir angeblich «gut mit bestehenden Abkommen leben können», ist eine weitere Lüge aus der Giftküche der Kompass-Initianten. Einige der bestehenden bilateralen Abkommen mit der EU sind schon abgelaufen, was schweizerischen Exporteuren etwa in der Medizinalbranche unnötige Arbeit und Kosten verursacht. Andere werden in naher Zukunft verfallen. Nichts anderes als dies bildet ja den Hauptgrund für unsere intensiven Verhandlungen mit Brüssel.

Die Mär vom EU-Monster

Wenn ihnen andere Argumente ausgehen, machen die Kompass-Initianten auch etwa geltend, die EU sei ein «bürokratisches Monster».

Fakt ist: Die EU beschäftigt insgesamt 60’000 Personen weltweit. Die schweizerische Bundesverwaltung und der Kanton Zürich zusammen kommen auf rund 80’000 Personen. Genauso wie unsere Staatsangestellten für eine Vielzahl von öffentlichen Aufgaben arbeiten, sind die EU-Beamten zuständig für das reibungslose Funktionieren des erwähnten Binnenmarktes, ebenso etwa für die weltweit fortschrittlichsten Richtlinien für Klimapolitik oder auch den Schutz der EU-Aussengrenzen.

Geradezu rührend sind Aeschbachers Erzählungen, wie er seinen staunenden Nachbarn in Frankreich die Vorteile unserer halbdirekten Demokratie vor Augen führt. Nun lässt sich das von seiner Geschichte und Geographie, aber auch von weitgehender staatlicher Dienstleistung für seine Bürger geprägte politische System Frankreichs nicht mit jenem der Eidgenossenschaft vergleichen. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Wo beispielsweise eine schweizerische Mittelklassefamilie allein für ihre Gesundheitsversorgung (ohne Zahnarzt) einen erheblichen Teil ihres Einkommens ausgeben muss, erhalten Franzosen gleichwertige medizinische Dienstleistungen für einen kleinen Bruchteil dieser Summen.

Angewiesen auf Solidarität und Schutz der EU

Was stört an Aeschbachers Ausführungen, ist ihr aus dem Anti-EU-Skript von Kompass/Europa übernommenes Dogma, wir seien politisch und strukturell nicht mit der EU kompatibel. Das ist Unsinn. Politisch bleibt die halbdirekte schweizerische Demokratie in jeder Form der Zusammenarbeit bis und mit einem Beitritt zur EU unangefochten. Das gilt ebenso für die föderalistische Struktur der Schweiz.

Die EU ist ein Zusammenschluss von politisch und strukturell sehr verschiedenen Ländern, die aber überzeugt sind, dass Europa auf globaler Ebene nur gemeinsam bestehen kann. In Anbetracht des Gewichts gegenwärtiger und zukünftiger Grossmächte kann nur ein gemeinsames Europa seinen Bürgern und Bürgerinnen Schutz und nachhaltiges Wachstum bieten. Dabei konstruktiv mitzumachen, sollte für die kerneuropäische Schweiz sowohl Aufgabe als auch Ehre sein.

Ulrich Ochsenbein und der Neue Sonderbund von Thomas Cottier

Die Epoche des Sonderbunds in den 1840er-Jahren hat Ähnlichkeiten mit der heutigen Zeit. Beide Male geht es um die Souveränität. Brauchte es damals einen weitsichtigen historischen Verfassungskompromiss, um den Konflikt zwischen den katholisch-konservativen Kantonen und den protestantisch-liberalen Ständen zu überwinden, ist jetzt erneut ein historischer Kompromiss vonnöten: Diesmal zwischen dem Neuen Sonderbund und jenen Kreisen, die für die Integration der Schweiz in Europa einstehen. Er besteht darin, die Ziele der Integration unseres Landes in der Verfassung zu verankern, aber die Mittel dazu offenzulassen. So kann die Schweiz ihre Heimat in Europa finden. Das ist das zentrale Anliegen der Volksinitiative für eine starke Schweiz in Europa (Europa-Initiative).

Hier geht es zum Aufsatz von Thomas Cottier (PDF)

Zur Rolle des Schiedsgerichts bei den Bilateralen von Ulrich E. Gut

Die Gegnerschaft einer neuen Vertragsgrundlage für die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) erweckt den Eindruck, die vorgesehene Streitschlichtung laufe faktisch auf eine umfassende Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg hinaus. Das vorgesehene Schiedsgericht sei ein Feigenblatt zur Verharmlosung des Souveränitätsverlusts, der der Schweiz drohe. Was ist davon zu halten?

Aktuelle Diskussionsgrundlage ist Kapitel 10, «Dispute Settlement», des «Common Understanding», das die beiden Verhandlungsparteien Schweiz und EU als Ausgangsbasis der laufenden Verhandlungen über das Vertragspaket «Bilaterale III» veröffentlichten:

«The European Commission and Switzerland share the view that, in the event of difficulty of interpretation or application of the bilateral agreements in the fields related to the internal market in which Switzerland participates, the parties should consult each other in the respective sectoral committees to find a mutually acceptable solution. If a sectoral committee does not manage to find a solution to the abovementioned difficulty, the parties should have the possibility to ask an arbitral tribunal, where both parties are represented, to settle the dispute. Where the dispute raises a question concerning the interpretation or application of a provision referred to in paragraph 8 second sentence, and if the interpretation of that provision is relevant to the settlement of the dispute and necessary to enable the arbitral tribunal to decide on the matter, the arbitral tribunal should refer that question to the Court of Justice of the EU for a ruling that would be binding on the arbitral tribunal. Where the dispute raises a question concerning the interpretation or application of a provision that falls within the scope of an exception from the dynamic alignment obligation set out in paragraph 9 and where such dispute does not involve the interpretation or application of concepts of Union law, the arbitral tribunal should decide the dispute without referring to the Court of Justice of the EU. »

Vorweg ist zu fragen, was im Streitfall geschähe, wenn kein rechtliches Streitschlichtungsverfahren vereinbart und kein Schiedsgericht vorgesehen wäre. Die Auseinandersetzungen würden zwischen politischen Behörden ausgetragen. Käme es zu keiner Einigung und würde eine Streitpartei deshalb Gegenmassnahmen treffen wollen, würde sie diese nach ihrem Gutdünken bestimmen. Wenn die andere Partei diese Gegenmassnahmen als unverhältnismässig betrachten würde, könnte sie vielleicht in bestimmten Fällen bei der Welthandelsorganisation WTO klagen, hätte aber oft kein Gegenmittel, ausser die Auseinandersetzung durch eigene Gegen-Gegenmassnahmen eskalieren zu lassen.
Die Schaffung eines Verfahrens zur rechtlichen Regelung von Streitigkeiten und eines Schiedsgerichts ist deshalb im Interesse beider Parteien, wenn sie dadurch vor unverhältnismässigen Gegenmassnahmen geschützt werden und eine für die bilateralen Beziehungen gefährliche Eskalation verhindert wird.

Unparteiische Rechtsprechung vonnöten

Voraussetzung ist allerdings, dass das Schiedsgericht zu einer unparteiischen Rechtsprechung befähigt wird. Die Gegnerschaft einer neuen Grundlage der bilateralen Verträge erweckt nun den Eindruck, die Streitfälle, die dem Schiedsgericht vorgelegt würden, würden faktisch samt und sonders und definitiv durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg entschieden. Das Schiedsgericht werde dessen Urteile nur noch abnicken können. Der EuGH sei aber eine Behörde der Gegenpartei, mit dem politischen Auftrag, die Integration Europas zu fördern, womit ihm schweizerische EU-Gegner geradezu absprechen, überhaupt ein Gericht zu sein. Was ist davon zu halten?
Paragraph 10 des «Common Understanding» besagt, was dem EuGH zu unterbreiten ist:

Where the dispute raises a question concerning the interpretation or application of a provision referred to in paragraph 8 second sentence, and if the interpretation of that provision is relevant to the settlement of the dispute and necessary to enable the arbitral tribunal to decide on the matter, the arbitral tribunal should refer that question to the Court of Justice of the EU for a ruling that would be binding on the arbitral tribunal.

Wenn der Streit eine Frage der Auslegung von EU-Recht aufwirft, die für die Streitschlichtung relevant ist und deren Beantwortung nötig ist, damit das Schiedsgericht ein Urteil fällen kann, hat das Schiedsgericht diese Frage dem EuGH zu unterbreiten, und dessen Antwort ist für das Schiedsgericht verbindlich.
Sodann legt das Common Understanding dar, was dem, EuGH nicht zu unterbreiten ist:

« Where the dispute raises a question concerning the interpretation or application of a provision that falls within the scope of an exception from the dynamic alignment obligation set out in paragraph 9 and where such dispute does not involve the interpretation or application of concepts of Union law, the arbitral tribunal should decide the dispute without referring to the Court of Justice of the EU. »

Schiedsgericht ist kein Feigenblatt

Weshalb verdient das vorgesehene Schiedsgericht wirklich diese Bezeichnung und wäre kein Feigenblatt?
Erstens, weil nur ein Teil der Fälle, die vor das Schiedsgericht kommen werden, Fragen der Auslegung von EU-Recht aufwerfen werden.
Zweitens, weil auch in den Fällen, in EU-Recht auszulegen ist, dessen Auslegung nur einer von mehreren Faktoren ist, die zur Urteilsfindung des Schiedsgerichts beitragen. Wichtig sind auch die Abklärung eines Sachverhalts, der umstritten sein kann, die Anwendung der ausgelegten Norm auf den konkreten Sachverhalt, allfällige Ermessensentscheide, und schliesslich die Bestimmung angemessener, verhältnismässiger Konsequenzen, wenn eine Vertragsverletzung festgestellt wird.

Bedeutung der Auslegungskompetenz des EuGH

Die Auslegung von EU-Recht durch den EuGH kann in einem Streitfall von grosser Bedeutung sein. Es wäre rechtlich unrichtig und politisch kontraproduktiv, dies zu bestreiten.
Matthias Oesch, Professor für öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht am Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht der Universität Zürich, legt in seinem kürzlich erschienenen Buch «Der EuGH und die Schweiz» einerseits dar, dass viele EuGH-Urteile bereits heute in der Schweiz bedeutsam sind. In einem am 21. Januar 2024 erschienenen Interview mit «Unser Recht» sagt er:

«Die Schweiz übernimmt seit Jahrzehnten Urteile des EuGH, sei es auf dem Weg der Rechtsvergleichung und des autonomen Nachvollzugs, sei es bei der Durchführung der bilateralen Abkommen. Unsere Juristinnen und Juristen sind sich gewohnt, Urteile des EuGH zu rezipieren und das schweizerische Recht im Licht der Dikta aus Luxemburg weiterzuentwickeln. Der Schritt, dem EuGH neu eine Rolle bei der Streitbeilegung zuzuordnen, wäre institutionell und rechtskulturell ein beachtlicher – praktisch wären die Folgen aber überschaubar.»

Präzisierung der Zuständigkeit des EuGH

Für die Verhandlungen schlägt Matthias Oesch jedoch einschränkende Präzisierungen der Zuständigkeit des EuGH vor. Auszug aus dem Interview:

«Die neuen Verhandlungen sollten tatsächlich genutzt werden, um das 2014-2018 entwickelte Modell weiter zu perfektionieren. Ein wesentliches Augenmerk sollte darauf gerichtet sein, die Verpflichtung eines Schiedsgerichts zur Anrufung des EuGH möglichst klar zu umreissen. Eine Vorlagepflicht, welche sich einzig um das Vorliegen eines «Begriffs des EU-Rechts» (gemäss Entwurf des institutionellen Abkommens von 2018) oder «eines Konzepts des EU-Rechts» (Common Understanding von 2023) dreht, ist konkretisierungsbedürftig.
Eine Vorlagepflicht scheint klarerweise zu bestehen, wenn es um die Klärung eines unionsrechtlichen Konzepts im EU-Recht geht, und die Einheitlichkeit der Auslegung und Anwendung in der EU gewährleistet sein muss. In dieser Konstellation beruht die Befassung des EuGH auf der unionsrechtlich bedingten, nachvollziehbaren Logik: Es handelt sich um EU-Recht, das zwar auf die Schweiz ausgedehnt wird, seinen genuin unionsrechtlichen Charakter aber nicht verliert. Es bleibt wesensmässig EU-Recht, dessen Auslegung dem EuGH obliegt.
Die Ausgangslage präsentiert sich nach meinem Dafürhalten anders, wenn ein Konzept des EU-Rechts im bilateralen Kontext EU-Schweiz geklärt werden muss. Hier mag einem Schiedsgericht eine durchaus eigenständige Rolle zukommen. Die der Klärung eines Konzepts des EU-Rechts im Binnenmarktkontext nachgelagerte Frage, ob im Verhältnis zur Schweiz auf der Grundlage eines bilateralen Abkommens eine parallele oder eine von der EuGH-Praxis abweichende Auslegung sachgerecht ist, muss dem EuGH nicht vorgelegt werden. Ein Schiedsgericht ist in der Lage, diese «Übersetzungsaufgabe» zu leisten, ohne dass die Einheitlichkeit des EU-Rechts gefährdet würde. Ein Schiedsgericht legt diesfalls – anders formuliert – nicht EU-Recht aus (was zwingend dem EuGH vorbehalten bleibt), sondern wendet die Praxis des EuGH im bilateralen Kontext EU-Schweiz an.
Es ist, wie Sie zu Recht anmerken, unklar, ob der EuGH eine solche Umschreibung der Vorlagepflicht eines Schiedsgerichts akzeptieren würde. Dessen ungeachtet argumentieren gewichtige Stimmen, dass eine dergestalt eigenständige Rolle eines Schiedsgerichts auch auf der Grundlage der Umschreibung der Vorlagepflicht im Entwurf des institutionellen Abkommens von 2018 möglich wäre. Es würde diesfalls an den Schiedsgerichten liegen, eine Praxis zur Vorlagepflicht zu entwickeln – selbstredend unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Autonomie des EU-Rechts und die Zuständigkeit des EuGH zu seiner verbindlichen Auslegung.»
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Die juristische und politische Beurteilung des Streitschlichtungsverfahrens und insbesondere des Schiedsgerichts wird nicht allein entscheiden, ob das Ergebnis der laufenden Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz in Parlament und beim Volk mehrheitsfähig wird. Aber sie kann sich umso stärker auswirken, je umstrittener andere wichtige Kriterien bleiben, wie vor allem der Nutzen und die Notwendigkeit eines staatsvertraglich gesicherten guten Marktzugangs.

Ulrich E. Gut ist Jurist sowie ehemaliger Politiker (FDP) und Chefredaktor (Zürichsee-Zeitung). Heute arbeitet er als freischaffender Publizist. Der vorliegende Artikel erschien zuerst in seinem Blog PolitReflex.ch.

Eine Meinung, aber keine Ahnung von Daniel Woker

Die von den Finanzmilliardären der Private-Equity-Gesellschaft Partners Group angeführte und üppig finanzierte Kampforganisation Kompass/Europa gibt sich bieder bürgerlich, fördert aber mit ihrer EU-feindlichen Rhetorik den nationalkonservativen Populismus und Extremismus in der Schweiz.

 

Weil sie dank Tiefzinsperiode und mit einer tüchtigen Prise von Kasinokapitalismus im Steuerparadies Zug zu Finanzmilliardären geworden sind, glauben Alfred Gantner, Marcel Erni und Urs Wietlisbach, die drei Gründer der Partners Group, sie seien nun auch zur Politik berufen. Mit einer Initiative wollen sie zunächst den Bilateralen III, über die die Schweiz und die EU gegenwärtig verhandeln, den Garaus machen.

Kompass/Europa weiss, was sie nicht will – eine angebliche «Passivmitgliedschaft» der Schweiz in der EU –, aber nicht, wie der künftige Weg der Schweiz in Europa aussehen soll. Es wird vage auf überseeische Exportmärkte verwiesen sowie auf eine Fortführung bilateraler Zusammenarbeit auch ohne ein neues Abkommen mit der EU. Das ist unmöglich. Die zahlreichen Bereiche der Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU brauchen ein Dach, welches für beide gemeinsam ist, beide schützt und beide an anderen Problemen in Ruhe arbeiten lässt.

Von Brüssel einen Sonderweg allein für die Schweiz verlangen zu wollen, ist helvetischer Grössenwahnsinn. Höflicher, aber ebenso klar hat dies Brüssel gegenüber allen schweizerischen Unterhändlern immer wieder festgestellt. Entweder ein Abkommen mit institutionellen Bestimmungen oder ein schweizerisches (Wirtschafts-)Leben in der Kälte des europäischen Aussenseiters. Was in der Schweiz bislang von rechts-nationalistischen Populisten und Extremisten vertreten worden ist.

Finanzunternehmer und Mitläufer

Gehört Kompass/Europa mit ihrer lügnerischen Anti-EU Rhetorik nun nicht auch zu diesen, unbesehen der behaupteten Mittelstellung? Was die Partners Group sicher will, ist ihre offensichtlich lukrative Tätigkeit als Finanzdienstleistungsunternehmen ungestört von europäischen Regeln zum Schutz von Anlegern weiterführen.

Um mehr Publizität zu erlangen, hat sich Kompass/Europa mit einer Koterie helvetischer Prominenz von Kurt Aeschbacher bis Bernhard Russi umgeben. Was offensichtlich gelungen ist. Diese Promis haben sich von der trutzigen Rhetorik einer Tell-Schweiz einnehmen lassen, verstehen aber nicht, was für unser Land mit den Bilateralen III auf dem Spiel steht. Nicht nur der Verbleib im EU-Binnenmarkt, eingeschlossen Schengen und Dublin, sondern auch die Zukunft der Schweiz in Europa.

Schweiz zu klein

Kompass/Europa scheint keine Ahnung zu haben vom grossen Projekt der europäischen Einigung und den immensen Anstrengungen dahinter, unseren Kontinent wirtschaftlich und politisch auf Augenhöhe mit den Supermächten des 21. Jahrhunderts zu bringen. Die EU also, deren Vertreter sehen, dass die europäischen Länder einzeln weder wirtschaftlich noch politisch und schon gar nicht sicherheitspolitisch (Aggressor Putin!) in der Lage sind, sich gegenüber den Grossen (USA, China, Indien/ASEAN, dereinst wohl auch einmal Afrika) behaupten zu können. Man erinnert sich an den Ausspruch der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel: «Deutschland allein ist zu klein». Was für die Schweiz in noch erhöhtem Masse gilt.

Der hier oft gehörte Einwand der unabhängigen innovativen Kleinschweiz als dem künftigen «Singapur Europas» fällt flach. Singapur, wo der Schreibende sechs Jahre lang die Schweiz vertreten hat, ist ein Vorreiter des internationalen Zusammenschlusses zur Bündelung aller gleichgesinnten Kräfte, weil seine Dirigenten wissen, dass nur so der chinesische Drache im Zaun gehalten werden kann.