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Daniel Woker: « Die Nato, die EU und die Schweiz »

Die Zeitenwende des Ukrainekriegs bringt auch die schweizerische Aussenpolitik in Bewegung. Allein bleiben ist kaum mehr eine Option. Eine Hinwendung muss aber primär Richtung EU erfolgen, welche allein eine umfassende, auch soziale Alternative zum Sonderweg Schweiz bietet.

Der FDP Präsident Thierry Burkart fordert eine engere Anlehnung an die NATO, da die Schweiz, wie der Ukrainekrieg zeigt, sich allein nicht gegen nackte Aggression verteidigen kann. Er schliesst zwar eine Nato-Mitgliedschaft für die neutrale Schweiz aus, aber engere Zusammenarbeit geschieht via gemeinsame Übungen, Rüstungsbeschaffung und Vernetzung von Kommandostrukturen.

Wenn die Forderung nach engerer Anlehnung wirklich ernst gemeint ist, wird sie über die bisherige, lose Zusammenarbeit im Rahmen der sogenannten Partnership for Peace – der sich die Schweiz unter dem staatsmännischen Führung des damaligen Verteidigungsministers Dölf Ogi zu Beginn der 90er Jahre angeschlossen hat – hinausgehen müssen in Richtung assoziierte Nato-Mitgliedschaft. Das ist ein durchaus ernsthaft zu prüfender, immerhin aber entscheidender Schritt weg vom Dogma des neutralen und bewaffneten Igels, das offiziell weiterhin gilt.

Sicherheitspolitik in der EU

Weniger radikal ist eine resolute Annäherung an die EU, welche zwar sicherheitspolitisch nicht mit der NATO verglichen werden kann, aber auch in diesem Bereich vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges vor entscheidenden Schritten steht. Die im Gegensatz zu früheren Ankündigungen konkrete Schaffung einer «Raschen Eingreiftruppe», die aus verschiedenen europäischen Streitkräften zusammengesetzt ist, aber unter einem einheitlichen EU-Kommando stehen soll, ist bereits beschlossen.

Die anderen bisherigen Neutralen in Europa sind alle drei Mitglied der EU und werden sich voraussichtlich daran beteiligen. Finnland, allenfalls auch Schweden werden voraussichtlich nun auch der Nato beitreten, befinden sich geopolitisch aber in einer offensichtlich anderen Situation als unser Land mit ihren weit offenen Flanken zu Putins aggressivem Russland. Falls die Schweiz sich wirklich sicherheitspolitisch internationaler ausrichten will, wäre eine Mitbeteiligung im Rahmen dieser Eingreiftruppe ein erster Schritt, der in Brüssel wohl auch von einem EU-Nichtmitgliedsland begrüsst würde. Zumal von einem Land wie der Schweiz, das über durchaus ernst zu nehmende Streitkräfte verfügt und wo laut einer ersten Umfrage eine Mehrheit militärische Zusammenarbeit mit der EU wünscht.

Schnelle Aufnahme der Ukraine in die EU?

Die Frage nach der Relevanz oder Berechtigung einer sicherheitspolitischen EU neben der Nato ist durchaus angebracht. Dies insbesondere in einer Zeit, in der ohne partielle Unterstützung durch Nato-Länder die Ukraine möglicherweise durch die russische Aggression bereits überrollt und zumindest das Baltikum durch den Putinschen Wahn eines imperialen Russlands akut gefährdet wäre. Allerdings bleibt die Nato mit der schweren Hypothek einer allfälligen Wiederkehr von Trump ins Weisse und seinem Desinteresse an diesem Bündnis belastet.

Die Aktualität zeigt, dass die EU-Mitgliedschaft auch sicherheitspolitische Relevanz hat. So etwa, wenn die Ukraine parallel zu ihrem heldenhaften Verteidigungskrieg und auch das ebenfalls akut gefährdete Moldawien um Eilaufnahme in die EU ersuchen. Ohne Lukaschenko dürfte dies auch die überwiegenden Mehrheit in Belarus so anstreben, wie die dort mit Hilfe von Moskau brutal niedergeschlagene Bürgerrevolte gezeigt hat. Alle drei wären wohl bessere Mitglieder als der langjährige Kandidat Serbien unter dem russophilen Präsidenten Vucic oder auch als Ungarn unter dem autokratischen Putin-Freund Orban. Im Gegensatz zu einer Nato-Mitgliedschaft dieser drei EU-Kandidaten (welche auch bei einem allfälligen Sturz von Putin kaum möglich erscheint) ist die Aufnahme in die EU keineswegs ausgeschlossen.

Auftritt von EU-Kommissar Schmit in Zürich

Natürlich nicht nur sicherheitspolitisch sondern, und hauptsächlich als breite Organisation für demokratische und soziale Marktwirtschaft bietet «Brüssel» für diese drei Länder eine attraktive Alternative zu politischer Autokratie und Planwirtschaft oder oligarchengesteuertem Neoliberalismus.

In einer eindrücklichen Präsentation in der Churchill-Aula der Universität Zürich hat der Luxemburger EU-Kommissar Nicolas Schmit am vergangenen Freitag dargelegt, dass und wie die EU – neben dem, und ergänzend zum gemeinsamen Binnenmarkt – auch schon weit fortgeschritten ist bei der Schaffung eines sozialen Raumes in Europa. Er räumte zu Beginn ein, dass es parallel zu globalen Strömungen um die Jahrtausendwende durchaus eine gewisse Tendenz in grossen EU-Mitgliedstaaten Richtung Neoliberalismus gegeben hätte. Spätestens nach der Wirtschaftskrise ab 2004 habe sich aber die Einsicht Bahn gebrochen, dass neben dem wirtschaftlichen Hauptpfeiler Binnenmarkt eine ebenso wichtige europäische Säule sozialer Rechte errichtet werden müsse.

Solidarität und Subsidiarität

Schmit legte detailliert dar, wie Brüssel nicht einen Sozialstaat Europa – Eckpunkte der Sozialpolitik wie beispielsweise die Ausgestaltung der Rentenpolitik bleiben bei den einzelnen Mitgliedstaaten – aber ein soziales Europa errichtet als notwendige Ergänzung zum grenzüberschreitendem Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr. Dies einerseits in Form von Direktiven zur Aufrechterhaltung von EU-weiten Mindeststandards (Mindestlöhne, Tarifpolitik) und andererseits durch gezielten Beihilfen zur Behebung von Missständen (Kinderarmut, Obdachlosigkeit). Zu den letzteren Problemen, die ja auch in der Schweiz nicht unbekannt seien, machte er auf die innovative Politik Finnlands aufmerksam, wo tatsächlich kaum mehr Leute auf der Strasse leben.

Mit Blick auf die Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU fügte er freundlich, aber unmissverständlich bei, dass in einem solchen kontinentweiten Sozialraum eben auch dieselben Regeln für alle Teilnehmer zur Anwendung kommen, welche in letzter Instanz von einem gerichtlichen Gremium entschieden werden müssen.

Helvetisches Klein-Klein

Die an Schmits Ausführungen anschliessende Podiums- und Publikumsdiskussion begann recht gehaltvoll mit einem Plädoyer von Monika Rühl, Direktorin von Economiesuisse. Sie betonte die Bedeutung der Zeitenwende des Ukraine-Kriegs für eine Neuorientierung unserer Europapolitik. Daran schloss sich zunächst auch der zweite Panelist, der SP-Nationalrat Eric Nussbaumer, Präsident der EBS (Europäische Bewegung Schweiz) an. Der folgerte daraus allerdings, die EU müsse doch bei der Regelung der Schiedsgerichtsbarkeit auch an einer politischen Lösung mit der Schweiz interessiert sein – was Schmit wiederum höflich aber kategorisch ausschloss. Erstaunlich angesichts des Europa-affinen Publikums sackte anschliessend das Diskussionsniveau ab, mit den bekannten helvetischen Nörgeleien an sozialen Standards der EU. Dabei tat sich ein hoher Gewerkschaftsfunktionär speziell hervor, der beleidigt verstummte, als seine langfädigen Ausführungen von ungeduldigen Zurufen aus dem Publikum unterbrochen wurden. Das dürfte wohl einigermassen typisch sein für die doppelbödige Europapolitik der schweizerischen Linken. Einerseits wird EU-Nähe beschworen, andererseits werden europäische Schlüsselmomente für die Schweiz sabotiert – so im Zusammenhang mit dem einseitigen Abbruch der Rahmenverhandlungen und jetzt wieder bei der Unterstützung des selbstzerstörerischen Referendums gegen den Schweizerischen Frontex-Beitrag. Als wirklicher Europafreund ist man da versucht, gemäss dem bekannten Diktum auszurufen: «Mit solchen Europafreunden, wer braucht da noch die Europafeinde aus der SVP?»

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Dieser Artikel wurde am 14. April im Journal21 veröffentlicht: https://www.journal21.ch/artikel/die-nato-die-eu-und-die-schweiz

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Webinar ASE & ELEC: « The Future of Swiss-EU Relations »

Webinar, April 7, 2022

An eminent panel composed of Ambassador Petros Mavromichalis, Permanent Representative of the EU to Switzerland and Liechtenstein, Deputy State Secretary Patric Franzen, Swiss Department of Foreign Affairs, Corneliu Hödlmayr, Legal Service of the Commission, Ambassador Eric Foerner, Ambassador of Norway to Switzerland, and former State Secretary Jean Daniel Gerber, Platform of Swiss-EU Relations, discusses the prospect of Swiss EU negotiations. The context of the war in Ukraine brings to bear commonalities in terms of shared values and interests, rather than, as before, dividing differences. In this new spirit, the panel discusses approaches and angles of the impending negotiations and the way forward in dealing with institutional and substantive issues. The experience of Norway in the EEA confirms that alleged difficulties on sovereignty and  in labour relations do not stand the test of practical experience. The panel ends on a hopeful and positive note that efforts under way will succeed.

The recording of the webinar can be watched here.

 

Discours de Thomas Cottier « La guerre en Ukraine : un tournant dans les relations entre la Suisse et l’UE avec l’Union européenne et l’OTAN ? »

La guerre en Ukraine nous bouleverse.

La tragédie humaine dans les images quotidiennes, la lutte courageuse et impressionnante des Ukrainiens pour la liberté, qui nous montre ce qui est en jeu pour la Suisse également : Démocratie et liberté. Ni plus ni moins.

Quelles seront les conséquences de cette guerre sur nos relations avec l’UE et l’OTAN? C’est la question que Thomas Cottier s’est posé dans l’exposé qu’il a présenté le 26.3.22 devant la Société suisse de droit militaire et de droit des conflits armés. Sa principale préoccupation est que la Suisse doit enfin intégrer les changements géopolitiques dans sa politique européenne.

 

Vous trouverez le discours complet >ici.

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Memorandum von Thomas Cottier « Ukraine: die Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P) der Staatengemeinschaft »

Der Krieg in der Ukraine betrifft uns alle, auch die La Suisse en Europe.

Die völkerrechtswidrige Beschiessung von Städten und das Aushungern der Zivilbevölkerung durch die russischen Streitkräfte in der Ukraine fordern die humanitäre Schweiz heraus. Sie kann sich nicht auf die Betreuung von Flüchtenden beschränken, sondern muss sich dafür einsetzen, das menschliche Leid in der Ukraine selbst zu lindern. Sie muss sich gemeinsam mit dem IKRK für geschützte Korridore einsetzen. Das fordert ein persönliches Memorandum von Thomas Cottier vom 19.März 2022 zur Responsibility to Protect (R2P), die bislang in diesem Konflikt noch nicht ins Spiel gebracht wurde.

Das Memorandum wurde dem EDA, dem IKRK, der EU und den Mitgliedstaaten sowie weiteren Regierungen unterbreitet.

Das vollständige Memorandum (englisch) finden Sie >hier

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Webinar « The Future of Swiss-EU Relations » am 07. April 15.00 – 17.00 Uhr – ASE & ELEC

ASE organisiert zusammen mit der European League for Economic Cooperation ELEC am 07. April (15.00 – 17.00 Uhr) ein Webinar via Zoom zum Thema «The Future of Swiss-EU Relations».

Folgende Referenten werden an dieser Paneldiskussion teilnehmen:

Petros Mavromichalis, EU-Botschafter in der Schweiz
Patric Franzen, Botschafter, Stellvertretender Staatssekretär, EDA
Corneliu Hödlmayr, Juristischer Dienst der EU-Kommission
Erik Førner, Botschafter von Norwegen in der Schweiz
Jean-Daniel Gerber, Staatssekretär a.D., Präsident der Groupe de réflexion der Plattform-Schweiz-Europa

– Vorsitz: Javier Arias, Präsident der ELEC
– Moderation: Thomas Cottier, Präsident La Suisse en Europe und ELEC Schweiz
– Monitoring: François Baudu, Generalsekretär der ELEC

Für dieses Webinar ist keine Anmeldung notwendig.

Weitere Informationen zum Webinar und den technischen Details finden Sie >hier.

Artikel von Daniel Woker: « Welche Neutralität? »

Neutralität war immer ein Mittel, nicht ein Zweck der schweizerischen Aussenpolitik. In der globalisierten Wirtschaftswelt des 21. Jahrhunderts spielt sie praktisch keine Rolle mehr, wie der Ukrainekrieg zeigt.

Chronique de Paul Fivat: « Urgence de la relance de la négociation Suisse-UE »

Dans une nouvelle chronique, Paul Fivat, ancien ambassadeur suisse et membre du Groupe de réflexion de la Plateforme Suisse-Europe, présente les prochaines étapes que le Conseil fédéral suisse devrait entreprendre en ce qui concerne les relations Suisse-UE. Se basant sur le fait que la Suisse dépend d’une coopération avec l’UE dans plusieurs domaines et que la décision du Conseil fédéral d’interrompre les négociations sur l’accord-cadre a fortement affaibli la réputation et la position de la Suisse vis-à-vis de l’Union, Paul Fivat propose un message détaillé que le Conseil fédéral pourrait envoyer à l’UE et qui pourrait améliorer considérablement l’état des relations.

L’ASE soutient une initiative populaire européenne

L’association La Suisse en Europe soutient le projet d’une initiative populaire pour la participation de la Suisse au processus d’intégration européenne. En 2018 et 2020, le peuple et les cantons ont massivement rejeté les initiatives contre cette participation par plus de 60% des voix. Le Conseil fédéral et le Parlement n’ont cependant pas donné suite à ce mandat du peuple et des cantons, sous l’influence d’intérêts particuliers. Ils ont conduit la politique européenne de la Suisse dans une impasse.

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ASE unterstützt eine Europa-Volksinitiative

Die Vereinigung La Suisse en Europe unterstützt das Projekt einer Volksinitiative zur Teilhabe der Schweiz am Prozess der Europäischen Integration. 2018 und 2020 haben Volk und Stände Initiativen gegen diese Teilhabe mit jeweils über 60 Prozent der Stimmen massiv verworfen. Bundesrat und Parlament haben diesem Mandat von Volk und Ständen indessen unter dem Einfluss von Sonderinteressen keine Folge geleistet. Sie haben ziellos die Europapolitik der Schweiz in eine Sackgasse geführt.

Es ist daher notwendig, eine breite und umfassende Debatte über die mittel- und langfristigen Ziele der schweizerischen Europapolitik zu führen. Es ist an der Zeit, sich für verfassungswürdige Jalons zu engagieren. Volk und Stände sollen der Politik verfassungsrechtliche Leitlinien vorgeben. Die Verfassung selbst schweigt sich dazu bis heute gänzlich aus. In einer rasch wandelnden Zeit muss dabei die Wahl der Mittel Aufgabe von Bundesrat und Parlament bleiben. Diese werden Referendumsrecht unterstehen und sind nicht Gegenstand dieser Initiative. Ob dies der bilaterale Weg, ein Beitritt zur Union oder zum Europäischen Wirtschaftsraum oder ein neuer Weg sein wird, soll die Verfassung in der Zeit offen lassen. Die Volksinitiative trägt diesem Anliegen Rechnung.

Coming_soon

ASE-Paper « A Road Map for Swiss – EU Relations »

Die Road Map vom 22. Dezember 2021 verlangt angesichts geopolitischer Veränderungen und ernsthaften Problemen der Wirtschaft eine rasche Wiederaufnahme der am 26. Mai 2021 abgebrochenen Verhandlungen. Es schlägt drei Optionen für die institutionellen Fragen und die Verankerung der Streitbeilegung vor.

  • Modifizierung des Entwurfs vom 23.11.2018 und Präzisierung, dass sich die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes auf Fragen es EU Rechts im engeren Sinne beschränkt, insbesondere von übernommenen Richtlinien und Verordnungen
  • Ausarbeitung eines institutionellen Protokolls das den einzelnen Verträgen, einschliesslich des Freihandelsabkommens von 1972, beigeordnet wird.
  • Andocken an die Institutionen des EWR Vertrages.

Die Road Map relegiert inhaltliche Fragen in die Verhandlungen zu den einzelnen Abkommen. Es legt offene Probleme und die Notwendigkeit ihrer Regelung dar. Personenfreizügigkeit und Dienstleistungen (Sozialrechte und Entsendung von Arbeitskräften) werden mit autonomen Schutzklauseln gegen Missbräuche abgesichert. Mittelfristig schlägt die Road Map eine umfassende Revision des Freihandelsabkommens von 1972 vor . Langfristig muss angesichts der geopolitischen Veränderungen und einer erstarkten EU die Option des Beitritts wieder aufgenommen werden. Die Abkehr von der EU im Sinne von Global Switzerland ist im Lichte geopolitischer Entwicklungen eine Illusion.

 

Die Road Map in englischer Sprache mit deutscher und französischer Zusammenfassung finden Sie hier.